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Forschungspolitik: »Mich ärgert, dass ein Tag schnell rum ist«

Die neue Forschungsministerin Anja Karliczek ist nun länger als drei Monate im Amt - Zeit für eine erste Zwischenbilanz. Wie entwickeln sich die Pläne zur Hochschulpoltik und Förderung von Forschung und Innovation?
Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Spektrum.de: Frau Karliczek, Sie sind seit knapp drei Monaten Forschungsministerin und damit verantwortlich für ein Thema, mit dem Sie vorher kaum Berührungspunkte hatten. In 80 Tagen durch die Welt der Wissenschaft: Was hat Sie bislang am meisten überrascht, gefreut, geärgert?

Überrascht: die Vielfalt. Draußen am Ministerium steht »Bildung und Forschung«, aber ich glaube, was das im Detail bedeutet, können sich viele nicht vorstellen. Ich konnte es ehrlich gesagt auch nicht. Gefreut hat mich die Offenheit, mit der viele Leute trotz meiner fehlenden Erfahrung auf mich zugegangen sind. Und was mich ärgert: dass der Tag so schnell rum ist. Bei vielen Themen merke ich, da müsste ich mich erst in Ruhe einlesen, um sie wirklich zu durchdringen. Aber nachdem schon die Koalitionsverhandlungen so lange gedauert haben, ist in der Gesellschaft zu Recht der Anspruch da, dass es jetzt endlich mal weitergeht. Das war schon hart in den ersten Wochen, Entscheidungen treffen zu müssen, ohne in jedes Thema komplett eingearbeitet zu sein.

Und wie gehen Sie dann vor?

Indem ich mir möglichst viele unterschiedliche Meinungen anhöre und darauf vertraue, dass ich so einen gesunden Ausgleich der Perspektiven und Interessen erhalte.

Haben Sie da keine Sorge, der Agenda Ihrer Gesprächspartner aufzusitzen?

Besteht die Gefahr nicht immer und überall? Jeder Mensch hat Gründe, warum er etwas will. Warum er etwas nicht will. Ich muss es halt erkennen, und es hilft, wenn man sich eine Person genau anschaut. Wo kommt sie her? Wer hat sie geschickt? Dass jeder für sein eigenes Thema und seine eigenen Leute nur das Beste herausholen will, ist doch auch legitim.

Bei welchen Themen wussten Sie: Da reicht es nicht, auf die Meinungen anderer zu hören, da muss ich mich trotz aller Zeitknappheit schleunigst selbst einarbeiten?

Da möchte ich zunächst die Forschung zur künstlichen Intelligenz nennen. Ein Thema, das ich für die Zukunft unserer Gesellschaft für zentral halte und das wir deshalb besonders fördern wollen. Da wollte ich von Anfang an eine Orientierung haben, woran geforscht wird und zu welchem Zweck. Genauso dringend war es für meine Arbeit, in das föderale Zusammenspiel unseres Bildungssystems einzudringen. Wir wollen die berufliche Bildung neu aufstellen, aber da sind wir als Bund gar nicht für alles zuständig. Auf welche Mitstreiter müssen wir zugehen, welche Akteure bedenken? Und ein drittes Thema, das mich von Anfang an besonders interessiert hat, ist die Wissenschaftskommunikation.

Tatsächlich sind das auch die Themen, die Sie schon wenige Tage nach Ihrem Amtsantritt genannt haben. Woher kam so schnell die Bestimmtheit zu wissen: Darauf kommt es mir an?

Weil ich in den letzten Jahren in den Diskussionen in meinem Wahlkreis vieles mitgenommen habe. Ich habe den intensiven Kontakt zu denen gepflegt, die nicht in diesem Berliner Betrieb unterwegs sind.

In der Blase

Das haben Sie gesagt. Ja, aber das ist wichtig! Die Kernaufgabe von Politik besteht darin, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Strukturen zu schaffen, damit alle dazu ihren Beitrag leisten können. Und wenn das die Kernaufgabe der Politik insgesamt ist, dann gilt das auch für mein Ministerium. Ich möchte helfen, die Kommunikation zwischen den Welten, zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zu verbessern.

Was macht das Verständnis von Wissenschaft und Technik so schwierig?

Ich will das an einem Beispiel erklären. Meine Freundin hat früher über den Beruf ihres Vaters gesagt: Der macht, dass die Bahnschranken rauf- und runtergehen. Ihr Vater war Regeltechniker bei Siemens, und trotzdem war das, was er da machte, noch greifbar für Laien. Heute ist das vielfach anders. Die Technik und die Arbeitswelt insgesamt sind viel kleinteiliger geworden. Je spezieller aber die Aufgaben sind, die jemand im Job zu bewältigen hat, desto schwieriger wird es für die Menschen, das große Ganze zu verstehen. Das gilt sicherlich besonders für die Wissenschaft.

Ihr Blick von außen, die Art, wie Sie auf die Wissenschaft blicken, könnte Ihre größte Stärke werden. Aber auch Ihre größte Schwäche? Als Ihre Nominierung offiziell wurde, haben einige in der Wissenschaft fast beleidigt reagiert. Nach dem Motto: Die Merkel hätte uns einen richtigen Professor geben können. Doch wir kriegen die Karliczek.

Natürlich frage ich mich selbst: Wie bewältige ich diese Aufgabe? Wie schaffe ich es, mir die nötige Akzeptanz zu erarbeiten? Aber ich habe die Option, offen auf alle Menschen zuzugehen, gut zuzuhören und politisch wichtige Dinge in der Bundesregierung durchzusetzen. Das letzte kann die Wissenschaft nicht, jedenfalls nicht ohne mich.

Trotzdem: Haben Sie sich nicht geärgert über den Standesdünkel in mancher Hochschule, Wissenschaftsorganisation und deren Führungsetagen?

Ich will nicht über bestimmte Personen sprechen. Aber was ich grundsätzlich schon spüre als jemand, der neu hineinkommt in ein System: Vielen in der Wissenschaft ist gar nicht klar, dass es Leute gibt, für die es eben nicht so selbstverständlich ist, dass wir die Wissenschaft in einem solchen Umfang finanzieren. Die Begriffe wie Wissenschaftsfreiheit nicht als so zentral erachten oder sie sogar kritisch sehen. Ich begreife es als meine Aufgabe, auf solche Positionen im Wissenschaftssystem hinzuweisen — was nicht heißt, sie zu teilen.

Haben Forscher zu selbstverständlich das Selbstverständnis, sie seien die Guten und deshalb soll der Staat sie gefälligst auskömmlich finanzieren?

Ich finde es richtig, dass die Forschung gut ausgestattet ist. Für unsere Volkswirtschaft ist es entscheidend, dass wir diese Innovationspipeline, die aus der Forschung kommt, immer gefüllt halten. Aber im Umkehrschluss kann die Gesellschaft erwarten, dass sich die Forscher bemühen, über das, was sie tun, so zu reden, dass Nichtforscher sie verstehen können. Auch das ist eine Perspektive, die ich als Ministerin der Wissenschaft bieten kann: Ich bin ein Alltagsmensch. Ich kenne mich bei vielen Forschungsthemen im Detail nicht aus. Versucht es mir zu erklären, dann verstehen es auch andere.

Passiert das nicht längst an allen Ecken und Enden?

Es passiert unheimlich viel, aber manches läuft nebeneinander her, vieles kommt längst nicht bei allen an. Ich selbst wusste zum Beispiel bis zu diesem Jahr nicht, dass es ein Wissenschaftsschiff gibt. Die Wissenschaftskommunikation muss systematischer werden. Wissenschaft muss wieder rein in die Regionalredaktionen. In die Medien, die Menschen abseits der wenigen bundesweiten Titel nutzen.

Und was folgt daraus?

Kennen Sie »Prisma«, diese Zeitungsbeilage? Die liegt bei uns zu Hause, und da habe ich neulich einen Artikel gelesen, Titel: Was ist ein Algorithmus? Den fand ich hilfreich. Viele Forscher und Akademiker gebrauchen ständig Begrifflichkeiten, von denen sie sich nicht vorstellen können, dass sie für andere eben nicht Alltag sind. Und die anderen trauen sich oft schon gar nicht mehr zu fragen.

Mehr »Prisma« als »Zeit«? Geht es darum?

Am Ende ist es eine Mischung. Aber ja, »Prisma« hat mich mit seiner Herangehensweise beeindruckt. Und diese Blätter haben die meisten Leser.

Und sie werden längst von unseren Kommunikationsabteilungen bedient, könnten Forscher dem entgegenhalten.

Aber das reicht nicht, das in die Kommunikationsabteilungen auszulagern. Alle Forscherinnen und Forscher sind gefragt, und zwar persönlich. Sie alle sollten hin und wieder an Orte gehen, wo sie traditionell nicht hingehen. Frau Merkel hat das vor vier Jahren uns neuen Parlamentariern empfohlen: Gehen Sie zu denen, die Sie traditionell nicht wählen. Da lernen Sie andere Perspektiven kennen und bekommen Fragen gestellt, die ihnen sonst keiner stellt. Und das gilt für Forscher genauso.

Können Sie ein positives Beispiel nennen?

In Berlin gab es anlässlich des diesjährigen March for Science eine schöne Aktion. Da haben sich Forscher in Kneipen gesetzt und den Leuten dort ihr Wissenschaftsgebiet erklärt. Aber das ist eben in Berlin. In Berlin gibt es immer ganz viele Möglichkeiten, Forschung von innen betrachten zu können. Was mit den Gegenden, wo die nächste Universität oder Fachhochschule weit weg ist? Da tun wir uns schwer.

Vielleicht weil die Anreize in der Wissenschaft andere sind? Die Karriere von Forschern wird über wissenschaftliche Publikationen definiert, über Journalbeiträge und Konferenzen. Johannes Vogel, der Chef des Berliner Naturkundemuseums, sagt: Diese Wertigkeiten ändern sich erst, wenn die Politik von oben festlegt: »Ab jetzt werden zehn Prozent der Mittel für Wissenschaftskommunikation ausgegeben.« Wie finden Sie die Idee?

Das klingt spannend, aber wir sollten noch mal gründlich überlegen: Würde das helfen? Wer entscheidet dann, was mit dem Geld gemacht wird? Auf jeden Fall müssen wir den Forschern sehr grundlegend klarmachen, wohin es führt, wenn sich Wissenschaft nicht besser erklärt. Als Gesellschaft unterstützen wir das Wissenschaftssystem, damit die Menschen darin, die Forscherinnen und Forscher, einen Mehrwert und Ertrag für dieses Land generieren. Das ist die Grundlage von allem. Und deshalb finde ich, alle Wissenschaftler sollten ein gewisses Verständnis dafür mitbringen, dass sie auch eine Form von Rechenschaft ablegen müssen.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Ich komme zurück zur künstlichen Intelligenz. Das Vermittlungsproblem fängt schon beim Begriff an. Der ist falsch gewählt. Es geht nicht um Intelligenz, es geht um Wissensgenerierung aus Algorithmen.

Eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen

Ja, und mit solchen Dingen schlagen wir uns dann 30 und mehr Jahre herum. Den Begriff werden wir nicht mehr los, dabei verursacht er mehr Angst, als dass er Aufbruch verspricht. Aber daraus können wir für die Zukunft lernen. Wissenschaftskommunikation muss von denen aus gedacht werden, die sie erreichen soll, und nicht von denen, die sie machen. Das ist alles, was ich sagen will. Die Wissenschaft ist frei.

Welche wissenschaftspolitischen Pläne haben Sie sich sonst schon gesteckt?

Wir brauchen mehr Transfer. Mehr Ausgründungen aus Universitäten und Fachhochschulen. Wir brauchen mehr Tüftler, also nicht nur Leute, die die Dinge in der Theorie durchdenken, sondern auch solche, die daraus schneller praktische Ergebnisse generieren. Dazu gehört für mich, dass mehr Forscher sich trauen, sich auch einmal mit einer Idee selbstständig zu machen.

Warum gibt es in Deutschland so wenig Ausgründungen aus der Wissenschaft?

Das hat mit unserem Verständnis von Scheitern zu tun. Für viele hat die Vorstellung etwas Beängstigendes. Aber gescheitert ist nur der, der hingefallen ist und sich nicht traut, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Dahin müssen wir kommen. Übrigens in der Arbeitswelt insgesamt. Es gibt viele, die glauben: Ich hangele mich noch irgendwie bis zur Rente durch, all diese neuen Technologien brauche ich nicht mehr zu verstehen. Das ist ein Irrtum. Selbst wenn ich es mit der Einstellung bis zur Rente schaffe, der Fortschritt wälzt alle Lebensbereiche um. Wer nicht mitgeht, der verliert an gesellschaftlicher Teilhabe.

Schon wieder bewegen Sie sich gedanklich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Die Wissenschaft würde aber auch gern von Ihnen wissen, worauf sie sich finanziell einstellen muss. Ihre Vorgängerinnen Schavan und Wanka haben damit geprotzt, dass sie pro Legislaturperiode auf 25, 30 Prozent oder noch mehr Zuwachs kamen. Schaffen Sie das ebenfalls – noch dazu mit einem neuen Staatssekretär, der vorher im Finanzministerium war?

Aus der Ecke komme ich ja auch. Und ich glaube, das ist gut fürs Thema, gerade jetzt. Finanzpolitiker achten genau darauf, dass das vorhandene Geld effizient ausgegeben wird. Wenn Systeme innerhalb kurzer Zeit stark wachsen, kommt der Zeitpunkt zum Innehalten, zum Konsolidieren. Besonders in der Wissenschaft wird es in den kommenden Jahren nicht in erster Linie um zusätzliches Geld gehen, sondern um die Frage, ob die Schwerpunkte noch die richtigen sind. Haben wir unsere Förderpolitik mit der sich verändernden Zeit mitentwickelt? Darauf eine Antwort zu finden, ist wichtiger, als um den letzten Euro zu streiten.

Das klingt wie die Einstimmung darauf, dass die Zeit der großen Sprünge vorbei ist.

Moment. Es wird zusätzliches Geld geben. Für künstliche Intelligenz zum Beispiel. Auch Macrons Idee von den europäischen Universitäten wollen wir etwas entgegensetzen. Und denken Sie an die fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt, für die ich gerade eine Zusage bekommen habe. Die finden sich finanztechnisch gesehen nicht in meinem Haushalt wieder, aber das halte ich nicht für entscheidend.

Was heißt das konkret für die Wachstumsraten des Budgets?

Wir haben innerhalb von zwölf Jahren den Haushalt meines Ministeriums veranderthalbfacht. Es ist klar, dass das in der Geschwindigkeit nicht weitergehen kann. Aber trotzdem kommt Neues. Um eine Agentur für Sprunginnovationen zu gründen, haben wir für die ersten Jahre 100 Millionen Euro eingespeist.

Keine sonderlich beeindruckende Summe

In der Tat höre ich schon die Kritiker sagen, das sei viel zu wenig im Vergleich zu den Milliarden, die DARPA in den USA zur Verfügung stehen. Vielleicht können wir ja noch etwas nachlegen. Aber wenn wir schon über mehr Bundesgeld für die Wissenschaft reden, vergessen Sie bitte nicht die steuerliche Forschungsförderung. Auch die wird sich nicht in meinem Haushalt abbilden, aber starke Effekte haben.

Fragt sich nur welche. Steht nicht zu befürchten, dass vor allem Großunternehmen davon profitieren, und das Geld fehlt dann den Forschungseinrichtungen und Hochschulen?

Die möglichen Mitnahmeeffekte haben mir auch Sorge gemacht. Weswegen ich erst lange gegen die steuerliche Forschungsförderung gekämpft habe. Aber ich bin optimistisch, dass wir ein sinnvolles Modell hinbekommen. Indem wir eine Obergrenze setzen, wie viel Geld maximal in ein Projekt fließen darf.

Warum beschränken Sie die Förderung nicht gleich ganz auf kleine und mittlere Unternehmen?

Weil wir dann ausgerechnet diejenigen Unternehmen ausschließen würden, die dank ihrer Forschungstätigkeit zuletzt aus der KMU-Größe herausgewachsen sind. Gerade deren Dynamik brauchen wir aber.

Sie doktern an den Regeln der steuerlichen Forschungsförderung herum. Stattdessen könnten Sie die negativen Effekte ganz einfach vermeiden, indem Sie das Geld direkt in die Agentur für Sprunginnovation stecken.

So einfach ist es aber nicht. Die Agentur wird nicht alle unsere Innovationsprobleme lösen können. Sie kann helfen, das Entstehen ganz neuer Ideen und Ansätze zu fördern. Aus nichts plötzlich etwas zu machen. Das ist wichtig, aber etwas völlig anderes als die steuerliche Förderung, die vorhandene Forschungsprojekte auf das nächste Level heben soll.

Wie wollen Sie eigentlich verhindern, dass die etablierten Forschungsorganisationen die neue Agentur kapern und die Führungs- und Aufsichtsstrukturen nach dem üblichen Muster und Proporz besetzen?

Es kommt entscheidend auf den Kopf an, der am Ende die ganze Unternehmung strukturieren wird. Und über diesen Kopf diskutieren wir zurzeit. Klar ist: Von der Struktur her muss die Agentur eine eigene, unabhängige Organisation sein, die auch mehr Freiheiten genießt. Sie muss neben die bestehenden Institutionen gestellt werden, sonst bringt sie nichts.

Ist da der Streit mit dem Bundesrechnungshof nicht vorprogrammiert?

Nur, wenn wir uns nicht die Rückendeckung aus dem Parlament für das Vorhaben sichern. Das Parlament vertritt die Gesellschaft. Und nicht der Bundesrechnungshof.

Seit vielen Jahren erhalten die außeruniversitären Forschungsorganisationen über den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) regelmäßige Zuwächse. Auch deren Verwendung kritisiert der Bundesrechnungshof immer wieder. Gehen Max Planck, Helmholtz & Co effektiv mit dem Geld um?

Ich glaube, wir müssen dringend unterscheiden, über welche Art von Forschung wir reden. An die Grundlagenforschung kann ich nicht mit quantitativen Kennziffern herangehen. Da muss in der Finanzierung die größtmögliche Freiheit herrschen. Aber es gibt Fragestellungen aus Gesellschaft und Wirtschaft, mit der wir die Wissenschaft noch gezielter konfrontieren werden. Das Ziel muss eine bessere Vernetzung sein.

»An die Grundlagenforschung kann ich nicht mit quantitativen Kennziffern herangehen«

Vernetzung: Das ist auch so ein Stichwort, was man immer wieder von Ihnen hört.

Ja, weil ich die Vernetzung für eines der großen Themen der nächsten Jahre halte. Die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft und Gesellschaft. Aber auch die Vernetzung der Wissenschaftsdisziplinen untereinander. Wie schaffen wir es, dass die Erkenntnisse, die eine Disziplin gewinnt, den anderen schneller und leichter zur Verfügung stehen? Das sind die Fragen, denen sich die Grundlagenforschung genauso stellen muss wie die angewandte Forschung.

Was heißt das konkret für die anstehenden Neuverhandlungen des PFI?

Ich möchte mir im Moment noch nicht anmaßen zu sagen, in welche Richtung wir gehen werden. Da haben die Länder genauso mitzureden, und deren Interessen unterscheiden sich bereits untereinander teilweise erheblich. Klar ist: Es wird auch neue Schwerpunkte geben müssen und neue Formen der Rechenschaftslegung.

Die Paktberichte, die jede Forschungsorganisation regelmäßig abgeben muss, sollen also noch länger und detaillierter werden, als sie es ohnehin schon sind?

Das Ziel kann nicht sein, die Parlamentarier mit immer mehr kleinteiligen Informationen zu fluten. Wir brauchen mehr Relevanz. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.

Der zweite große Pakt gilt den Hochschulen, und auch der steht 2020 zur Verlängerung an. Der Wissenschaftsrat hat jüngst gefordert, wenn auch auf sehr diplomatische Weise, dass der Hochschulpakt wie der PFI dynamisiert werden solle. Sprich: Auch die Hochschulen sollen jedes Jahr garantierte Zuwächse bekommen. Die Hochschulrektorenkonferenz verlangt das auch – schon aus Gründen der Augenhöhe mit den Außeruniversitären. Was antworten Sie den Hochschulen?

Dass der Hochschulpakt aus einer anderen Idee heraus entstanden ist als der PFI. Der Bund hat damit den Aufbau von Studienplätzen finanziert, obwohl das im Gegensatz zur außeruniversitären Forschungsförderung keine originäre Aufgabe des Bundes ist. Und jetzt sollen wir auch noch bei den Hochschulen jedes Jahr etwas drauflegen? Wir wollen die Mittel verstetigen und damit auf die Länder einen großen Schritt zugehen. Ich möchte daran erinnern, dass die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode zehn Milliarden an die Länder gegeben hat, dauerhaft, jedes Jahr. Wenn die Länder uns die zurücküberweisen, haben wir die Luft für alle möglichen Zusatzwünsche. Wenn nicht, dann sollen sie erstmal selbst mehr Geld dorthin geben, wo es am dringendsten gebraucht wird. Ich persönlich würde die Hochschulen dazuzählen.

Also kein dynamisierter Hochschulpakt?

Das passt nicht zur Logik dessen, was wir vorhaben. Wir wollen künftig nicht in immer noch mehr Studienplätze investieren, sondern in die Qualität von Studium und Lehre insgesamt. Worüber wir viel eher reden sollten: Wie stellen wir sicher, dass die Qualität tatsächlich besser wird? Sicher nicht, indem ich den Ländern einfach Festsummen überweise. Sondern, indem wir gemeinsam mit den Ländern neue, genau zugeschnittene Förderprogramme entwickeln.

Kritisieren Sie die Länder grundsätzlich für ihre Nehmerqualitäten?

Wir haben in den vergangenen Jahren als Bund den Aufwuchs beim PFI allein bezahlt. Warum das so gekommen ist und ob es so kommen musste, möchte ich gar nicht beurteilen. Fest steht: Wir müssen zu den alten Quoten bei der Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen zurück. Im Koalitionsvertrag sind weiter Steigerungen von drei Prozent vorgesehen, wenn die Länder zu der bewährten Finanzierung zurückkehren.

Einige Länder signalisieren bei dem Thema Verhandlungsbereitschaft.

Ja, aber fragen Sie bitte auch, ob diese Länder nur bei der nächsten Paktrunde wieder mitzahlen wollen oder ob sie bereit sind, auch die drei Prozent Zuwachs für die vergangenen fünf Jahre nachzuholen.

Sie wollen eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und der Welt um sie herum sein. Ab wann gehören Sie selbst zum System?

Natürlich merke ich schon jetzt, dass ich immer stärker die Perspektive der Wissenschaft einnehme, je länger ich im Ministerium bin. Doch ein Stück des Nicht-dazu-Gehörens will ich mir auf jeden Fall erhalten. Weil man durch das Hinterfragen des eigenen Systems bessere Entscheidungen trifft. Ich hoffe, das gelingt mir.


Die Fragen stellte Jan-Martin Wiarda.

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