Microlauncher-Wettbewerb: Der Traum vom deutschen SpaceX
Deutschland träumt von seinem eigenen SpaceX – von einem jung dynamischen Raumfahrtunternehmen, das die Branche aufmischt und Schwung in den verkrusteten europäischen Raketenmarkt bringt. Und seit Freitag hat dieser Traum einen Namen: Isar Aerospace.
Das Start-up aus Ottobrunn bei München ist Gewinner des ersten deutschen Wettbewerbs für Microlauncher, wie kleine Raketen mit einer Nutzlast von einigen hundert bis hin zu 1000 Kilogramm genannt werden. Als Preisgeld gibt es elf Millionen Euro – verpackt in zwei Aufträgen für Starts in den Jahren 2022 oder 2023. Und das, obwohl Isar Aerospace bislang keine einzige flugfähige Rakete zusammengeschraubt hat.
Keine Erfahrung im Raketenbauen – bis jetzt
Egal, sagt sich zumindest das Bundeswirtschaftsministerium, das den Wettbewerb ausgeschrieben und den Gewinner nun verkündet hat. Der Preis ist vielmehr eine Wette auf die Zukunft. Er soll Ansporn sein, Gütesiegel, Werbung. Er soll ein Start-up groß und bekannt machen, in der Hoffnung, dass es in einigen Jahren im hoch umkämpften Raketenmarkt Fuß fassen kann. Der deutsche Wettbewerb ist aber noch mehr. Er ist ein gezielter politischer Nadelstich gegen die etablierten Strukturen in Europas Raumfahrt: gegen ein System, von dem zwar alle gut leben, das bislang aber nur immens teure und wenig innovative Raketen hervorgebracht hat.
»Spectrum« heißt das Geschoss, mit dem Isar Aerospace groß herauskommen will. Laut ihren Entwicklern kann die Rakete bis zu 1000 Kilogramm in eine Erdumlaufbahn transportieren. Zur Orientierung: Das ist fast nichts, verglichen mit Europas etablierter Schwerlastrakete Ariane 5, die fast 22 Tonnen ins All wuchten kann. Doch die Microlauncher peilen einen anderen Markt an: Sie wollen primär Satelliten transportieren, die künftig zu hunderten oder tausenden in Form so genannter Konstellationen um die Erde kreisen und selbst nur einige hundert Kilogramm wiegen. Wie genau Isar Aerospace das erreichen will, zum Beispiel mit welchem Treibstoff, darüber schweigt sich das Start-up bislang aus.
Doch auch das war beim Wettbewerb egal, zumindest weitgehend: Mit nur 25 Prozent flossen die technischen Kompetenzen und der Status der Entwicklung in die Bewertung ein. Dies zeigen die Wettbewerbskriterien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das die Microlauncher-Initiative im Auftrag des Ministeriums organisiert hat. Ein weiteres Viertel entfiel auf Finanzen und Wachstumsprognosen. Die Hälfte der erreichbaren Bewertungspunkte konnten die Wettbewerber hingegen mit ihrer Betriebsbereitschaft holen: Wie viele Startverträge wurden bereits abgeschlossen? Wie viele unterschiedliche Kunden stehen Schlange? Wie hoch wird der Startpreis sein?
Der Geist von SpaceX
»Wir machen keine reine Technologieentwicklung, sondern das Gesamtpaket muss stimmen«, sagt Walther Pelzer, Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, bei einem Pressegespräch wenige Tage vor Bekanntgabe des Gewinners. »Es muss ein Paket sein, mit dem wir die Dienstleistungen, die wir einkaufen wollen, auch bekommen.« Denn auch das ist neu: Statt wie bislang genau vorzugeben, wie eine Rakete auszusehen hat, wie leistungsstark sie sein soll und welche Firma welche Komponenten baut, will das DLR bei den Microlaunchern nur noch Geld für die tatsächlich benötigte Startdienstleistung ausgeben. »Für uns ist das eine ganz andere Art und Weise, wie wir unsere Geschäfte machen«, sagt Pelzer.
Vorbild bei all dem ist die US-Raumfahrtbehörde NASA, die für den Transport von Fracht und Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS ein ähnliches Modell gewählt hat: einen Wettbewerb, eine Anschubfinanzierung, viel Vertrauen. Heute fliegen die einstigen Start-ups SpaceX und Orbital Sciences, mittlerweile aufgekauft vom Raumfahrtkonzern Northrop Grumman, regelmäßig Güter und Menschen ins All, wobei die NASA nur noch für den Transport bezahlt.
Der deutsche Microlauncher-Wettbewerb ist zugleich auch ein Angriff auf Europas bisherige Vergabepraxis für Raumfahrtaufträge. Denn die Bundesregierung darf zwar den Gewinner auswählen, das Preisgeld kommt aber letztlich von der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA. So hat es Deutschland Ende 2019 bei der ESA durchgesetzt. Die Deutschen hoffen, dadurch neuen Schwung in die äußerst verkrustete europäische Auftragsvergabe zu bringen: mehr NASA, mehr Wettbewerb und Kommerz, weniger klassische ESA.
Das gefällt nicht jedem, insbesondere nicht den Franzosen, der treibenden Kraft hinter Europas Ariane-Raketen. Die wurden bislang stets nach demselben Prinzip vergeben: Die Politik klüngelte die gewünschten Spezifikationen aus, die immergleichen Konzerne bekamen die Aufträge, Arbeitsplätze und Industrieförderung standen im Mittelpunkt. Zwar machte die Industrie bei der neuesten Version, der gerade im Bau befindlichen Ariane 6, ein paar Zugeständnisse. Zwar investierte sie auch aus eigener Tasche und akzeptierte einen Festpreis. Trotzdem hat sie immer wieder Ausreden gefunden, um zusätzliches Geld von der ESA fordern zu können. Mindestens vier Milliarden Euro soll die Entwicklung der Ariane 6 nun kosten, an einen Erstflug ist frühestens Mitte 2022 zu denken.
Zwei unterlegene Bewerber
Bis dahin könnte – zumindest nach den optimistischsten Plänen – Isar Aerospace bereits seine erste Rakete gestartet haben. Auch die beiden unterlegenen Wettbewerber, die Rocket Factory Augsburg und HyImpulse aus dem württembergischen Neuenstadt am Kocher, wollen nächstes Jahr abheben. Dann lockt auch neues Geld, in der zweiten Runde des Wettbewerbs: »Das Ganze wird keine Eintagsfliege sein«, verspricht Walther Pelzer. »Wir geben den unterlegenen Bewerbern die Chance, nachzubessern und sich um weitere elf Millionen Euro zu bewerben.«
Das Geld steht aber ohnehin nicht im Mittelpunkt. Nachdem die Wasserstoffblase an den Börsen gerade platzt und Wagniskapitalgeber nach neuen Märkten suchen, können sich viel versprechende Raumfahrt-Start-ups derzeit kaum vor Investoren retten. So konnte Isar Aerospace nach eigenen Angaben bereits 100 Millionen Euro einwerben. Der Microlauncher-Preis hat daher andere Qualitäten. Er verspricht Aufmerksamkeit, lobende Worte vom Wirtschaftsminister, vor allem aber zwei verlässliche Startaufträge, mit denen wiederum Investoren geködert werden können. Zumindest in der Theorie.
Ob das alles klappen wird – sowohl mit dem deutschen SpaceX als auch dem Umkrempeln der ESA – scheint indes fraglich. Die Konkurrenz unter Microlaunchern ist groß, viele US-Start-ups sind deutlich weiter. Und die alten Kräfte in Europas Raumfahrt sind stark. Fürs Erste geben sich die Deutschen dennoch demonstrativ zuversichtlich. Optimismus überwiegt – und der Glaube an das große Vorbild: »SpaceX«, sagt DLR-Manager Pelzer, »hat mit genau dem Produkt begonnen, welches wir jetzt im Wettbewerb fördern: einem Microlauncher.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.