Wirksamkeit von Medikamenten: Mikrobiom mit Risiken und Nebenwirkungen
Die Mikroben, die unseren Darm besiedeln, haben einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Zum Beispiel bestimmen sie mit, wie gut die Medikamente wirken, die wir einnehmen. Denn manche Darmbakterien können mit den Wirkstoffen etwas anfangen. Was, ist allerdings von Mensch zu Mensch verschieden. Denn unser Mikrobiom enthält Hunderte verschiedener Bakterienstämme, die mit den unterschiedlichsten Stoffwechselenzymen ausgestattet sind. Zudem liegen die Mikroben in individuell verschiedenen Mengenverhältnissen vor.
Das hat bislang viele Forscher davon abgehalten, das Zusammenspiel unseres Mikrobioms mit verschiedenen Medikamenten systematisch zu untersuchen. Nicht so ein Team um den Molekularbiologen Mohamed Donia von der Princeton University: »Wir verstecken uns nicht vor der Komplexität des Mikrobioms, sondern nehmen sie an«, sagt Donia in einer Pressemitteilung der Universität.
Die Forscher untersuchten Stuhlproben von 21 Personen und katalogisierten die darin enthaltenen Bakterien anhand des Erbguts. Anschließend züchtete das Team die Mikrobiome im Labor nach und setzte ihnen insgesamt 438 unterschiedliche Medikamente vor, darunter Antibiotika, Schmerzmittel, Antidepressiva, Krebs- und Parkinsonmedikamente.
Die Ergebnisse dieses umfangreichen Tests, den die Forscher als »Microbiome-Derived Metabolism-Screen« bezeichnen, stellen sie im Fachmagazin »Cell« vor. Insgesamt identifizierte das Team um Donia 57 Medikamente, auf die die Testmikrobiome einen wesentlichen Einfluss hatten. Für 45 davon war bisher noch gar nicht bekannt, dass sie von Darmbakterien umgewandelt werden können. Zwischen den einzelnen Spendern beobachteten die Wissenschaftler zum Teil große Unterschiede: Während das Mikrobiom mancher Menschen wenig oder gar keinen Einfluss auf manche Medikamente hatte, verarbeiteten die Darmbakterien anderer Personen diese rasch.
Darmbakterien können Nebenwirkungen verursachen
Dass Arzneimittel in unserem Körper abgebaut werden, ist normal und erwünscht – schließlich wollen wir meist gar nicht, dass sie dauerhaft wirken. Manche Medikamente werden durch bestimmte Umwandlungen überhaupt erst aktiv. Diese finden aber für gewöhnlich durch die Enzyme in unserer Leber und nicht durch Bakterien im Darm statt.
»Das Mikrobiom spielt eine bislang unterschätzte Rolle bei der Metabolisierung von Medikamenten«, sagt Till Strowig vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Nicht nur unsere eigenen Enzyme, auch die der Bakterien seien maßgeblich an unserem Stoffwechsel beteiligt, erklärt der Mikrobiologe.
Tabletten, Kapseln oder Säfte, die wir oral einnehmen, gelangen zunächst in den Magen und dann in den Darm. Dort werden die Wirkstoffe von Schleimhautzellen aufgenommen und ins Blut abgegeben – sofern unsere Darmbakterien sie nicht vorher schon weggefuttert haben. Das vermindert nicht nur die erwünschte Wirkung eines Medikaments, sondern kann auch unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen: Die Bakterien produzieren mitunter Stoffwechselprodukte, die wir nicht vertragen.
So beobachtete das Team um Donia zum Beispiel, dass manche Spendermikrobiome das Chemotherapeutikum Doxifluridin in seine aktive Form 5-Fluoruracil umgewandelt hatten. Dieser Stoff zerstört Krebszellen. Liegt er bereits im Darm vor, könnte er den Forschern zufolge jedoch Übelkeit und Erbrechen hervorrufen – Nebenwirkungen, die typischerweise dem Medikament zugeschrieben werden.
Michael Zimmermann vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg geht davon aus, dass unser Mikrobiom für einen Teil der Nebenwirkungen verantwortlich ist, die Arzneimittel verursachen. Bei einigen Medikamenten sei das bereits bekannt. »Die durch die Darmbakterien veränderten Wirkstoffe können zu unerwünschten Effekten im Körper und auf Grund der räumlichen Nähe oft zu Beschwerden im Magen-Darm-Trakt führen«, sagt der Mikrobiologe.
Welcher Anteil solcher Nebenwirkungen sich insgesamt auf unser Mikrobiom zurückführen lässt, ist allerdings schwer zu sagen. Um das systematisch zu untersuchen, müsse man das Mikrobiom von seinem Wirt trennen und beweisen, dass bestimmte Reaktionen allein durch die enthaltenen Bakterien verursacht werden, sagt Christoph Kaleta von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Solche Studien seien schwierig und würden bislang nur für einzelne Medikamente anhand von Mausmodellen durchgeführt, erklärt der Systembiologe und Bioinformatiker.
Das menschliche Mikrobiom bis ins Detail zerlegt
An der Studie von Donias Team gefällt Kaleta nicht nur, dass ein relativ großer Satz von Medikamenten getestet wurde, sondern auch, »dass die Forscher den kompletten Weg von der Hochdurchsatzmethode bis hin zu Detailuntersuchungen gegangen sind«. Für insgesamt 23 Wirkstoffe schaute sich die Arbeitsgruppe genau an, welche Stoffwechselprodukte entstanden waren, und versuchte rückwirkend zu ermitteln, welche Bakterienstämme dafür verantwortlich waren.
Ob und zu welchem Produkt ein Bakterium ein Medikament umwandeln kann, hängt von seiner enzymatischen Ausstattung ab. Diese ist im Erbgut festgelegt. Um an einem Beispiel zu überprüfen, ob sie mit ihrem Verdacht richtiglagen, schalteten die Forscher die Gene für die vermuteten Enzyme in einem bestimmten Bakterienstamm aus. Und tatsächlich: Diese Bakterien konnten das Medikament – in diesem Fall das Krebsmedikament Capecitabin – nicht mehr umwandeln.
Meist ist aber nicht nur ein einzelner Bakterienstamm für die Umwandlung eines Medikaments verantwortlich: Wie Donia und Kollegen feststellten, verfügten 17 der 21 Mikrobiomspender über diverse Bakterienstämme, die Capecitabin zu dem bisher unbekannten Stoffwechselprodukt Deglycocapecitabin verwandeln können. Um herauszufinden, ob diese Reaktion ebenso in einem lebenden Organismus stattfindet, legten sie das Darmmikrobiom von Labormäusen mittels Antibiotika lahm und pflanzten ihnen dann die Mikroben eines menschlichen Spenders ein. Bereits 20 Minuten, nachdem die Mäuse eine Dosis Capecitabin gefressen hatten, ließ sich in ihrem Darm das Umwandlungsprodukt Deglycocapecitabin nachweisen.
Das sei ein Indiz dafür, dass die beobachteten Stoffwechselvorgänge nicht nur im Reagenzglas stattfänden, schreibt das Team. Ob sie sich so tatsächlich ebenfalls im Darm von Menschen zutragen, hat es allerdings noch nicht überprüft.
Das Gesamtpaket ist entscheidend
Zu untersuchen, wie sich Darmbakterien auf den Metabolismus von Medikamenten auswirken, sei keine neue Idee, sagt Strowig. Mit seinen Kollegen untersucht der Mikrobiologe, wie unsere Mikrobengemeinschaft den Verlauf von Infektionskrankheiten beeinflusst. In den vergangenen Jahren sei das immer mehr in den Fokus geraten.
So fand ein Team um Peter Turnbaugh von der Harvard University beispielsweise heraus, dass der Bakterienstamm Eggerthella lenta das Herzmedikament Digoxin inaktiviert. Eine systematische Untersuchung von fast 300 Medikamenten hat eine Gruppe um Andrew Goodman von der Yale University School of Medicine im Jahr 2019 durchgeführt. Daran war auch EMBL-Forscher Zimmermann beteiligt. Die Wissenschaftler verabreichten die Arzneistoffe 76 unterschiedlichen Bakterienstämmen. Das Ergebnis: Etwa zwei Drittel der untersuchten Medikamente konnten durch Bakterien verarbeitet werden; jeder Stamm schnappte sich 11 bis 95 Wirkstoffe.
Wie sich das gesamte Mikrobiom des Menschen auf die Wirkung von Arzneimitteln auswirkt, hat bislang allerdings kaum eine Studie untersucht. Das sei vor allem deshalb wichtig, da die ablaufenden Stoffwechselprozesse sich gegenseitig beeinflussen können, sagt Donia.
Ein Schritt in Richtung personalisierte Medizin
Und wahrscheinlich geht der Einfluss des Mikrobioms noch weiter: So deuten Untersuchungen von Kaletas Team beispielsweise darauf hin, dass das Diabetes-Medikament Metformin die Darmbakterien von Würmern dazu anregt, einen bestimmten Stoff herzustellen. Dieser verbessert den Fettstoffwechsel der Würmer und macht sie gesünder. Die Methoden von Donias Team müssten es eigentlich auch erlauben, chemische Verbindungen zu detektieren, die nicht direkt aus dem Abbau der Medikamente stammen, meint Kaleta. Sie wurden in den Untersuchungen aber scheinbar nicht weiterverfolgt. Zudem könnten sich bestimmte Medikamente und deren Stoffwechselprodukte auf die Zusammensetzung des Mikrobioms auswirken, was ebenfalls negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann.
Auch Strowig hält die Arbeit des Teams für eine wertvolle Ressource. Dennoch glaubt er nicht, dass sich die vorgestellte Methode dazu eignet, Hunderte von Medikamenten auf potenzielle Nebenwirkungen bei Menschen zu screenen. Mit 21 sei die Zahl der Mikrobiomspender noch eher klein. Vielmehr hält er den umgekehrten Ansatz für praktikabel: dass man künftig Stuhlproben von einzelnen Personen untersucht, die ein bestimmtes Medikament bekommen sollen.
Vielleicht sei es möglich, darin bestimmte Markerenzyme oder Bakterienstämme zu identifizieren, die anzeigen, ob es nach der Einnahme zu Komplikationen kommen könne, sagt der Mikrobiologe. Besonders für Arzneimittel, die über einen langen Zeitraum verabreicht werden, wie HIV-, Diabetes- oder Herz-Kreislauf-Medikamente, wäre das laut Strowig hilfreich. So wäre es vielleicht einfacher, ein wirksames und gut verträgliches Präparat zu finden und die Dosierung richtig einzustellen. Bis dahin sei es zwar noch ein weiter Weg. Die Studie von Donia und seinen Kollegen könne Forschern aber helfen, in den nächsten Jahren dorthin – und damit einen Schritt weiter in Richtung personalisierte Medizin – zu gelangen, sagt Strowig.
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