Biologische Innovation: Minifliege beherrscht den Super-Lotus-Effekt
Die kleine Gruppe der Salz- oder Sumpffliegen kennen Freunde von Outdoor-Aktivitäten als winzige, aber enorm störende Lästlinge: Gerne fallen die Bewohner von Tümpeln und Sumpfpfützen schwarmartig in unbedeckte Haar und Gesichtspartien ein. In diesem Fall wird das ungemein funktionell-elegante Design der kleinen Insekten dann rasch zur Nebensache – sollte es aber nicht, denn es erlaubt der Durchschnittssalzfliege, selbst unter Wasser zu gedeihen. Spezialisten wie die "Alkalifliege" Ephydra hians können dabei sogar besonders lebensfeindlichen Gewässern überleben, in dem nicht speziell ausgerüstete Verwandte schlicht untergehen würden. Wie die Insekten das machen, beschreiben zwei Forscher nun in "Current Biology": Die Fliegen haben sich im Lauf ihrer Evolution eine physikalisch geniale, superwasserabweisende Oberfläche zugelegt, von der Bionik-Forscher sich noch einige Tricks abschauen könnten.
Das Wissenschaftlerduo Floris van Breugel und Michael Dickinson vom California Institute of Technology in Pasadena hatte sich für die physikalischen Grundlagen der Atemblase interessiert, die von einigen Salzfliegenlarven als physiologische Anpassungen eingesetzt werden: Die Bläschen umschließen den Körper und werden zwischen ihren Körperhaaren – den Setae – mit Hilfe von Grenzflächeneffekten verankert, um unter Wasser als Atemgasreserve zu dienen. Solche in Haaren festgehaltenen Bläschen sind nichts völlig Außergewöhnliches: Ein ganz ähnliche Prinzip verfolgen etwa die unter Wasser jagenden Wasserspinnen, während etwa Wasserläufer mit in Haaren gefangenen Fußbläschen schlittschuhartig gleiten.
Den Salzfliegen, die vor der Haustür der Forscher im Mono-Lake in Kalifornien leben, sollten die physikalischen Bedingungen den Gebrauch der Gasblasentechnik aber eigentlich unmöglich machen. Denn das Wasser des Sees ist nicht nur recht basisch und extrem salzig, es enthält zudem große Mengen an Natriumcarbonat, einem sehr antichaotropen Salz. Solche Salze stabilisieren in der Flüssigkeit, in der sie gelöst sind, Wasserstoffbrückenbindungen – und sie fördern geringfügige Ladungsunterschiede an der Grenze zwischen Gasen und Flüssigkeiten. Beides schwächt die Grenzflächeneffekte, mit denen Salzfliegen ihre Gasblasen an Härchen festhalten: Flüssigkeit arbeitet sich daher viel leichter an den Setae entlang und benetzt sie, weshalb den Fliegen in der antichaotropen Salzbrühe des Mono-Lakes ihre Gasblase eigentlich sehr leicht davonflutschen sollte.
Ephydra hians kontert die erschwerten Bedingungen allerdings mit einer nochmals deutlich hydrophoberen Oberfläche ihrer Setae-Haare, als die Durchschnittsverwandtschaft aufzuweisen hat. Diese Haaroberfläche zeigt einen enormen Lotus-Effekt und ist also kaum benetzbar – auch nicht von der antichaotropen, also physikalisch zudringlichen Lösung ihres speziellen Lebensraums. Grundlage der enormen Hydrophobizität ist dabei wohl die Gestaltung der Haaroberfläche, zeigen die Forscher, die in ihren Experimenten eigens sechs unterschiedliche Salzfliegenarten verglichen und unterschiedlich chaotropen Lösungen ausgesetzt haben. Die Mono-Lake-Fliege Ephydra hians verfügt dabei nicht nur über dichter beieinanderstehende Setae, sondern baut in deren Cuticula-Oberfläche zudem ein typischen Set von eher kleinmolekulareren Kohlenwasserstoffen ein, die offenbar auch den Teilladungsaufbau bremsen. Kein Vorteil in der Natur bleibt aber ohne Nachteil, so die Forscher: Die von Wasser kaum benetzbaren Fliegen könnten stärker durch wasserunlösliche, hydrophobe Verunreinigungen in ihrem Ökosystem beeinträchtigt werden – wie etwa den in Kosmetikprodukten und Sonnenschutzmitteln häufigen Polydimethylsiloxan. Solche Silikonöle sind zwar nicht gesundheitsschädlich und chemisch inert, sie können aber wegen ihrer physikalischen Eigenschaften spezialisierte Organismen wie die Salzfliegen durchaus schädigen, warnen die Forscher.
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