Stammzellforschung: Minigehirne aus der Petrischale
Es wäre ein ganz normaler Novembertag gewesen, hätte Madeline Lancaster nicht erkannt, dass sie gerade durch Zufall Gehirne gezüchtet hatte. Wochenlang hatte sie versucht, menschliche embryonale Stammzellen dazu zu bringen, neurale Rosetten auszubilden – Zellhaufen, die sich in viele verschiedene Neuronentypen differenzieren können. Aber aus irgendeinem Grund weigerten sich ihre Zellen, am Boden der Zellkulturplatte haften zu bleiben. Stattdessen schwammen sie durch das Medium und nahmen dabei die Form merkwürdiger, milchig aussehender Kugeln an.
"Ich wusste wirklich überhaupt nicht, was sie darstellen sollten", erinnert sich Lancaster, die damals Postdoc am Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien war. An jenem Tag im Jahr 2011 erspähte sie jedoch einen ungewöhnlichen Pigmentfleck in einem ihrer Kugelgebilde. Ein Blick durch das Mikroskop verriet, dass es sich hierbei um die dunklen Zellen einer sich gerade entwickelnden Netzhaut und damit quasi die Außenstelle eines Gehirns handelte. Und als sie schließlich eine der Kugeln aufschnitt, bot sich ihr eine Vielfalt an Neuronen. Lancaster stellte fest, dass die Zellen sich zu etwas Unverwechselbarem vereinigt hatten, wie etwa einem embryonalen Gehirn. Sie marschierte mit ihren Neuigkeiten schnurstracks zu ihrem Betreuer, dem Stammzellbiologen Jürgen Knoblich. "Ich habe etwas ganz Erstaunliches gefunden", verriet sie ihm. "Das musst du dir ansehen."
Lancaster und Kollegen waren nicht die Ersten, die ein Gehirn in der Petrischale zum Wachsen brachten. Bereits 2008 berichteten japanische Forscher, sie hätten embryonale Stammzellen von Mäusen und Menschen dazu gebracht, übereinandergelagerte Kugeln auszubilden, die an eine Großhirnrinde erinnern. Seitdem nahmen die Versuche, mit Hilfe von Stammzellen rudimentäre Organe zu züchten, mehr und mehr zu.
Mittels zeitlich streng festgelegter chemischer Umgebungsreize erzeugen heute Forscher auf der ganzen Welt dreidimensionale Strukturen, die den Geweben von Auge, Darm, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse, Prostata, Lunge, Magen und Brust ähneln. Diese Gewebestückchen nennt man Organoide, weil sie in Struktur und Funktion richtigen Organen ähneln. Zudem bringen sie unser Wissen über die menschliche Entwicklung voran, denn Forscher können sie als Modelle für Krankheiten verwenden sowie als Plattform für die Medikamentenforschung und langfristig auch, um Ersatz für beschädigte Organe zu entwickeln. "Das ist wahrscheinlich die bedeutendste Entwicklung der letzten fünf oder sechs Jahre auf dem Forschungsgebiet der Stammzellen", erklärt Austin Smith, Direktor des Wellcome Trust/MRC Stem Cell Institute der britischen University of Cambridge.
Die derzeitige Ausbeute an Organoiden ist allerdings nicht gerade perfekt. Den einen mangelt es an entscheidenden Zelltypen; andere imitieren nur die frühen Stadien der Organentwicklung, oder die einzelnen Zellhaufen eines Typs sind gar nicht untereinander vergleichbar. Also schuften die Forscher, um ihre Organoide weiterzuentwickeln – um sie komplexer, reifer und reproduzierbarer zu machen. Noch immer verblüfft es Biologen, wie wenig Unterstützung Zellen dabei benötigen, sich zu komplizierten Gebilden zu vereinigen. "Dazu braucht man überhaupt keine hoch entwickelte Biotechnik", erklärt Knoblich. "Wir lassen die Zellen einfach das tun, was sie tun wollen, und sie machen ein Gehirn daraus."
Wie man einen Darm züchtet
Eigentlich ist das gar keine große Überraschung, meint die Molekularbiologin Melissa Little von der University of Queensland in Australien. "Es ist einfach unglaublich, wie ein Embryo es schafft, sich selbst zu organisieren; er braucht noch nicht mal eine Vorlage oder eine Strategie dafür." Das ist bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt, als Embryologen zeigten, dass sich Schwämme, die in einzelne Zellen unterteilt worden waren, wieder selbst zusammenfügen konnten. Solche Forschung kam jedoch aus der Mode, und moderne zellbiologische Arbeitsgruppen legen heute ihr Augenmerk eher darauf, die Zellen aufzureinigen und zu kultivieren – oftmals in flachen Schichten, die mit normalem menschlichem Gewebe wenig zu tun haben.
Untersucht man diese Zellen, um zu verstehen, wie ein Organ funktioniert, dann ist das, wie wenn man einen Stapel Bauklötze untersucht, um die Funktion eines Hauses zu verstehen, veranschaulicht Mina Bissell, eine Krebsforscherin am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien. "Wir sollten aber auch einfach mal damit anfangen, das Haus zu bauen", fügt sie hinzu. Bissells Forschung an Brustkrebszellkulturen half ihr dabei, das Konzept, dass sich Zellen in 3-D-Kulturen anders verhalten als in konventionellen flachen, voranzubringen.
Im frühen 21. Jahrhundert setzte sich dieser Gedanke dann durch. Der wachsende Enthusiasmus wurde von Yoshiki Sasai geschürt, einem Stammzellbiologen des RIKEN Center for Developmental Biology in Kobe, Japan, der große Aufmerksamkeit erregte, als er eine Großhirnrinde heranzüchtete, gefolgt von einem rudimentären Augenbecher samt Netzhaut sowie einer Hirnanhangsdrüse.
Nur ein Jahr, nachdem Sasai seine schichtige Großhirnrinde ankündigte, meldete Hans Clevers, ein Stammzellforscher am niederländischen Hubrecht Institute in Utrecht, die Erzeugung eines Minidarms. Dieser Fortschritt ging auf eine Entdeckung aus dem Jahr 2007 zurück, bei der Clevers und seine Kollegen Darmstammzellen in Mäusen identifizierten. Die Zellen schienen im Körper eine unbegrenzte Teilungsfähigkeit zu haben und die Darmverkleidung wieder aufzufrischen. Einem von Clevers Postdocs, Toshiro Sato, fiel damals die Aufgabe zu, sie im Labor heranzuzüchten.
Doch anstatt die Zellen flach in der Petrischale wachsen zu lassen, entschied sich das Forscherduo dazu, sie in eine Matrigelmatrix einzubetten – in ein weiches, geleeartiges Material, das der extrazellulären Matrix gleichkommt und als Molekülgeflecht die Zellen umgibt. "Wir waren einfach nur am Herumprobieren", so Clevers. "Wir hatten gehofft, vielleicht eine Kugel oder ein Klümpchen aus Zellen herzustellen." Einige Monate später, als Clevers durch Satos Mikroskop schaute, sah er jedoch mehr als nur Klümpchen. Die Zellen hatten sich geteilt, sich in mehrere Zelltypen ausdifferenziert und Hohlkugeln ausgebildet, die mit knorrigen Vorstülpungen geschmückt waren. Innerhalb dieser Hohlkugeln entdeckte das Team Strukturen, die den Nährstoff absorbierenden Darmzotten wie auch den dazwischenliegenden Tälern, den Darmkrypten, ähnelten. "Wir waren total überrascht, denn diese Gebilde sahen aus wie richtige Därme", erzählt Clevers. "Sie waren wunderschön."
Die Minidärme, die erstmals im Jahr 2009 in der Literatur auftauchten, könnten zu einem effektiven Werkzeug für die personalisierte Medizin werden. Clevers und sein Team nutzen diese Organoide, um die Wirksamkeit von Arzneimitteln bei Mukoviszidosepatienten zu untersuchen. Ursache der Krankheit sind Gendefekte, die sowohl die Ionenkanäle beeinträchtigen als auch den Wassertransport derjenigen Zellen unterbrechen, die Lungen und Darm auskleiden. Die Forscher entnehmen den Patienten Rektumgewebeproben, isolieren die Zellen, um auf das Individuum zugeschneiderte Darmorganoide herzustellen, und setzen dann ein potenzielles Medikament ein. Öffnet die Behandlung die Ionenkanäle, kann das Wasser in die Zellen fließen, und die Darmorganoide blähen sich auf. "Das ist ein Schwarz-Weiß-Experiment", erklärt Clevers, "eins, das sich als schneller und preiswerter herausstellen könnte, als die Wirksamkeit von Medikamenten am Menschen zu testen."
Er verwendete das System bereits, um zu testen, ob ein Arzneimittel namens Kalydeco und fünf andere Medikamente gegen Mukoviszidose bei rund 100 Patienten wirken würden; mindestens zwei von ihnen nehmen Kalydeco bereits ein.
Organoide können Ärzten auch dabei helfen, die besten Therapien für Krebspatienten zu wählen. Anfang des Jahres gab Clevers preis, dass er eine Organoid-Biobank aus Zellen kolorektaler Tumoren herangezüchtet hatte. David Tuveson, ein Krebsforscher am Cold Spring Harbor Laboratory in New York, arbeitete mit Clevers an der Entwicklung von Pankreas-Organoiden mittels Gewebeproben von Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs. In beiden Fällen dienten die Organoide dazu, neue Wirkstoffe zu finden, die am besten gegen bestimmte Tumoren helfen. "Die Patienten wünschen sich eine logische Vorgehensweise bei ihrer Krebsart", so Tuveson. "Ich bin hellauf begeistert von dem, was wir hier gerade lernen."
Ein Magen im Kleinformat
Diese Begeisterung teilt auch der Entwicklungsbiologe James Wells, der letztes Jahr verkündete, er habe gemeinsam mit seinem Team ein Organoid geschaffen, das einem Abschnitt des menschlichen Magens gleichkomme.
Wells startete mit einem anderen Ausgangsmaterial als dem von Clevers, dessen Organoide aus adulten Stammzellen hervorgehen, die aber nur eine begrenzte Anzahl an Zelltypen generieren können. Wells, der am Cincinnati Children's Hospital Medical Center in Ohio forscht, fertigt gemeinsam mit seinen Kollegen Organoide aus embryonalen Stammzellen an, die dazu befähigt sind, sich in fast jeden Zelltyp auszudifferenzieren. Auf diese Weise gelang es ihnen auch, komplexere Miniaturorgane herzustellen.
Vor einem Jahrzehnt bereits starteten Wells und Kollegen den Versuch, menschliche embryonale Stammzellen zur Bildung von Darmzellen zu bringen. Als das Forscherteam zwei Hauptsignalübertragungswege manipulierte, produzierte die Zellschicht winzige runde Knospen. Wells fiel auf, dass diese so genannten Sphäroide Abschnitte des ursprünglichen Darmschlauchs nachformten, der sich vier Wochen nach der Zeugung ausbildet. Das war äußerst spannend, denn er stellte fest, dass er hiermit gerade einen Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Vielzahl von Organoiden gefunden hatte. "Jedes Organ vom Mund bis hin zum Darmausgang – Speiseröhre, Lunge, Luftröhre, Magen, Bauchspeicheldrüse, Leber, Darm, Blase –, sie alle stammen von diesem einen Urdarm ab", verdeutlicht er.
Wells und Kollegen durchforsteten die Fachliteratur und nutzten ihre eigenen Erfahrungen, um zu bestimmen, welche chemischen Signale diese Darmschläuche den gesamten Entwicklungsweg über in Richtung eines spezifischen Organs aussenden könnten. Mit Hilfe dieser Strategie entwickelte das Team im Jahr 2011 sein erstes menschliches Organoid, einen Darm von der Größe eines Sesamkorns. Einen Magen zu züchten, stellte allerdings eine größere Herausforderung dar. Beim Menschen hat das Organ zwei Schlüsselbereiche: oben am Mageneingang den Fundus, der am laufenden Band Säure produziert; unten am Magenausgang das Antrum, welches die wesentlichen Verdauungshormone produziert. Die Signalübermittlungswege, die vom einen zum anderen überleiten, waren unbekannt. Darüber hinaus "unterscheidet sich der menschliche Magen von dem der meisten Tiere, die wir im Labor einsetzen", und demnach gibt es auch noch kein gutes Tiermodell, erwähnt Kyle McCracken, ein ehemaliger Doktorand von Wells und mittlerweile Medizinstudent am Forschungszentrum.
Die Wissenschaftler wählten die Methode des Ausprobierens: Sie stellten einige wohlbegründete Vermutungen an und untersuchten in mühevoller Kleinarbeit verschiedene Kombinationen von Wachstumsfaktoren. Schlussendlich zahlten sich die Mühen aus. In einer Fachpublikation, die 2014 veröffentlicht wurde, enthüllten Wells und Kollegen, dass sie nun antrumähnliche Organoide kreiert hatten. Das Team verwendete diese als Modellsystem und berichtete, das chemische Signal gefunden zu haben, welches das Entstehen eines Magenfundus auslöst. Momentan befassen sich die Forscher mit anderen grundlegenden Fragen über Magenentwicklung sowie dessen Physiologie, wie zum Beispiel, welche Faktoren die Magensäuresekretion regulieren. Zudem versuchen sie, andere Miniorgane aus deren Urdarmschlauch zu erzeugen.
Die neu entdeckte Fähigkeit, die Entwicklung des Menschen näher zu beleuchten, reizt auch Daniel St Johnston, einen Entwicklungsgenetiker am Gurdon Institute der University of Cambridge. "Man kann tatsächlich mit ansehen, wie sich die Zellen selbst organisieren, um komplexe Strukturen auszubilden", erklärt er – etwas, was im menschlichen Embryo schlicht unmöglich ist. Allerdings sind die meisten Organoide noch immer einzelne Gewebe, was natürlich den Lerneffekt für Entwicklungsbiologen begrenzt, fügt er hinzu. "Einige Fragen kann man auch noch gar nicht beantworten, weil sie auf der Physiologie des gesamten Organismus beruhen."
Die Babyniere
Melissa Little verbrachte über ein Jahrzehnt damit, die Vielschichtigkeit der Niere zu bestaunen. "Beim erwachsenen Menschen besitzt die Niere vermutlich 25 bis 30 unterschiedliche Zelltypen, die alle unterschiedliche Arbeiten verrichten", erzählt sie. Röhrenförmige Strukturen, die so genannten Nephrone, filtern die Flüssigkeit aus dem Blut und produzieren Urin. Die Umgebung, Zellzwischenraum oder auch Interstitium genannt, besteht aus einem verschachtelten Netzwerk von Blutgefäßen und Rohrleitungen, die den Urin wegtransportieren. 2010 begannen Little und Kollegen damit, die embryonalen Stammzellen in Vorläuferzellen zu verwandeln, die dann Nephrone ausbilden. Drei Jahre probierten sie verschiedene Kombinationen und Zeiteinteilungen an Wachstumsfaktoren aus. "Wir mussten wirklich ordentlich herumspielen, um überhaupt Fortschritte zu machen", erzählt sie. 2013 schließlich stieß das Team auf genau das richtige Gemisch. Little hatte eigentlich nur im Sinn gehabt, die Vorläuferzellen herzustellen. Als sie aber in die Petrischale schaute, konnte sie zwei Zelltypen erkennen, die sich ebenso spontan wie in einem Embryo bildeten. "Das war der Moment, in dem ich nur dachte: 'Oh wow, ist das nicht erstaunlich!'", erinnert sie sich.Dieses Organoid ähnelt eher der Niere eines Embryos als der eines Erwachsenen: Es besteht aus einem Mix von Nephronvorläufern und den Zellen, die sich zu Urin sammelnden Kanälen entwickeln. "Die Herausforderung liegt nun darin, sie weiterreifen zu lassen", sagt Little. Entsprechend arbeite ihr Team seither daran, eine komplexere Version zu züchten – mit Blutgefäßen und Interstitium. Ihre Hoffnungen ruhen darauf, die Miniorgane in Mäuse zu verpflanzen, um zu testen, ob sie reifen und Urin erzeugen werden. "Ich bin überaus begeistert davon, was wir so alles bauen können", so Little. Da die Niere eine Hauptrolle bei der Verstoffwechslung und Ausscheidung von Medikamenten spielt, geht Little davon aus, dass ihre Mininieren von großem Nutzen dabei sein könnten, Arzneimittelkandidaten noch vor den klinischen Studien auf Toxizität zu testen. Hierbei betonen Wissenschaftler, dass man auch an anderen, menschlichen Organoiden, wie dem Herz oder der Leber, ähnliche Experimente durchführen kann, um Arzneimittelkandidaten auf Giftwirkung zu überprüfen. Die Wirkung auf ein Organ wäre viel besser sichtbar als in der standardisierten Gewebekultur oder im Tierversuch.
Michael Shen hingegen, ein Stammzellforscher an der Columbia University in New York, der ein Prostata-Organoid erschuf, hat so seine Zweifel daran, ob diese Modellsysteme Labortiere vollständig ersetzen können. Mit Tieren kann man zum Beispiel zeigen, wie eine Therapie das Immunsystem beeinflusst – hierzu sind Organoidsysteme momentan jedoch noch gar nicht in der Lage. "Ein Wissenschaftler möchte dazu im Stande sein, seine Versuchsergebnisse auch in vivo zu überprüfen", erklärt er. "Und ich halte das für einen sehr gründlichen Test."
Kleine Lebern
Takanori Takebe bekam die Eingebung, eine Leber wachsen zu lassen, nachdem er eine sehr unschöne Zeit in New York hinter sich gebracht hatte. Während seiner Forschung in der Organtransplantationsabteilung der Columbia University im Jahr 2010 musste Takebe dabei zusehen, wie Menschen auf Grund von Organmangel an Leberversagen starben. "Das war eine sehr traurige Situation", erinnert er sich. Als er anfing, sich mit Tissue Engineering zu befassen, ging er davon aus, dass die herkömmlichen Methoden – Zellen auf einen künstlichen Zellträger zu verpflanzen – anscheinend zum Scheitern verurteilt waren. Ein Teil des Problems, sagt er, liegt in der großen Schwierigkeit, adulte Leberzellen zu züchten: "Wir können sie nicht mal für ein paar Stunden in Kultur halten."
Takebe, der eine Forschungsstelle an der Yokohama City University in Japan annahm, entschied sich dazu, an induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) zu arbeiten – adulten Zellen, die umprogrammiert werden, um sich wie embryonale Stammzellen zu verhalten. Er brachte humane iPS dazu, sich in Vorläufer von Leberzellen oder Hepatoblasten auszudifferenzieren. Im Embryo ist die Reifung der Hepatoblasten auf eine komplexe Sinfonie von Signalen benachbarter Zellen angewiesen. Takebe hielt es für möglich, dass diese Helferzellen ebenfalls zur Entwicklung der Leber in der Petrischale erforderlich seien. Also vermischten er und sein Team die Hepatoblasten mit jenen Helferzellen, den so genannten mesenchymalen und endothelialen Stammzellen – und es funktionierte. Dem Forscherteam gelang es, "Leberknospen" herzustellen – Strukturen, die nicht größer sind als eine Linse und die an die Leber eines sechs Wochen alten Embryos erinnern. Durch weitere Experimente fanden die Wissenschaftler heraus, dass solche Strukturen, ganz im Gegensatz zu reifen Leberzellen, länger als zwei Monate in Kultur überleben.
Eine Leberknospe ist aber immer noch weit entfernt von einer ganzen Leber – einem kräftigen, mehrfach gelappten Organ, das aus Zigmilliarden Hepatozyten besteht. Takebe hofft trotzdem, dass er es schaffen wird, die wichtigsten Funktionen eines versagenden Organs aufrechtzuerhalten und damit eine Transplantation überflüssig zu machen – wenn er mehrere Tausend dieser Knospen hineinträufeln kann. In Mäusen scheint die Methode bereits zu funktionieren. Als Takebe und seine Gruppe etwa ein Dutzend Knospen in die Bauchräume von Mäusen verpflanzten, beobachteten sie spektakuläre Effekte. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten sich die Leberknospen an die Blutzufuhr der Maus gehängt, und die Zellen entwickelten sich zu reifen Leberzellen, die leberspezifische Proteine herstellen sowie Medikamente verstoffwechseln konnten. Um ein Leberversagen zu simulieren, zerstörte das Forscherteam die natürliche Leberfunktion der Tiere mit einer giftigen Substanz. Einen Monat später waren die meisten Kontrollmäuse gestorben – der Großteil der Mäuse mit Leberknospentransplantat hingegen hatte überlebt.
Takebe und Kollegen hoffen nun darauf, schon in vier Jahren mit klinischen Studien am Menschen beginnen zu können. "Wir werden diejenigen Kinder anvisieren, die am dringendsten eine Lebertransplantation benötigen", antizipiert er. Das Forscherteam arbeitet im Augenblick daran, die Leberknospen kleiner zu machen und sie in größeren Mengen herzustellen, damit sie die große Pfortader, die die Leber ernährt, problemlos passieren können. Takebe denkt, dass das in einem vernünftigen Zeitrahmen "machbar" sein wird. Smith hingegen mahnt, dass die ganze Methode etwas zu übereilt wirkt und erst einmal die grundlegende Biologie dieser Organe verstanden werden muss, bevor sie im klinischen Bereich angewendet werden kann. "Das ist, als ob man rennt, bevor man eigentlich laufen kann", erklärt er anschaulich.
Biologen wissen sehr wohl, dass ihre Miniaturorgane immer noch ein unausgearbeitetes Nachahmerrohprodukt ihrer lebensgroßen Gegenstücke sind. Aber das bietet ihnen auch ein Ziel, meint Anthony Atala, Direktor des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in Winston-Salem, North Carolina. "Das langfristige Ziel ist doch, dass wir es schaffen, die Funktionsweise eines menschlichen Organs immer mehr zu kopieren." Das Forschungsgebiet hat bereits Entwicklungs- und Stammzellbiologen sowie klinische Forscher zusammengebracht. Das weitere Bestreben besteht nun darin, noch ausgefeiltere Organe zu bilden – größere Organe mit noch mehr Zelltypen.
Wells betont zudem, dass gerade die heutigen, rudimentären Organoide jene Entdeckungen erleichtern würden, bei denen man im Tiermodell Mühe gehabt hätte, sie überhaupt zu machen, da es hier eben schwierig sei, die molekularen Signale zu beeinflussen. "In einer Petrischale ist das ganz leicht", meint er. "Wir besitzen Chemikalien und Proteine, die wir einfach auf diese Zellen kippen können."
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