Psychologische Studie: Minutenlanges Anstarren löst Halluzinationen aus
Der Blick in menschliche Gesichter – und insbesondere in die Augen eines anderen – löst bekanntlich alle möglichen Gefühle in uns aus. Doch wie der Psychologe Giovanni Caputo nun zeigt, lässt sich das Ganze sogar noch dramatisch auf die Spitze treiben: In einem Experiment testete er jetzt, was es mit Probanden anstellt, wenn sie einander über zehn Minuten unverwandt in die Augen starren. Die Antwort: Bewusstseinsveränderung und gruselige Halluzinationen.
Der Forscher von der Universität Urbino postierte seine 20 Freiwilligen paarweise im Abstand von einem Meter gegenüber, so dass sie einander in die Augen schauen konnten. In einer Kontrollgruppe von 20 weiteren Teilnehmern saßen die Paare dagegen Rücken an Rücken. In beiden Fällen war das Licht so weit abgedunkelt, dass man eben noch die Züge seines Partners erkennen konnte.
Nach Ablauf der zehn Minuten befragte der Forscher seine Teilnehmer, denen gesagt worden war, sie nähmen an einem Meditationsexperiment teil, zu ihren Erfahrungen. Die Gruppe der "Starrer" berichtete über typische Wahrnehmungsveränderungen und Realitätsverzerrungen (Dissoziationen), wie zum Beispiel reduzierte Farbintensität und Geräuschempfindlichkeit. Vor allem aber gaben 90 Prozent der Teilnehmer an, während des Experiments "seltsame Gesichter" gesehen zu haben. Drei Viertel meinten gar, in ihrem Gegenüber ein Monster zu erblicken, 15 Prozent sahen hingegen das Gesicht eines Verwandten.
Die Illusion ähnelt ein wenig dem Monstergesichteffekt, der vor Kurzem durch ein Internetvideo berühmt wurde. Dabei wird das Gesichtsverarbeitungssystem des Gehirns durch schnell wechselnde Bilder in die Irre geführt. Als Zuschauer meint man bald, grotesk verzerrte Ungeheuer vor sich zu haben, tatsächlich jedoch handelt es sich um ganz normale Porträts. Das lange Starren auf das Gegenüber hat möglicherweise eine ähnliche Wirkung: Mit der Zeit blendet das Gehirn die eigentlichen Wahrnehmungsinhalte aus und füllt die Lücken im Gesamtbild durch Versatzstücke aus dem Gedächtnis.
Caputo räumt allerdings ein, dass seine Studie lediglich einen ersten groben Ansatz zur Erforschung des Phänomens darstellt. So könnte man beispielsweise zu Kontrollzwecken Probanden auf neutralere Muster starren lassen, um die spezielle Wirkung der Augen zu isolieren. Zudem waren die Effekte zwar unverkennbar vorhanden, scheinen aber in ihrer Ausprägung nicht sonderlich stark gewesen zu sein. Unterstützung erhält Caputo immerhin durch eine frühere Studie, die ähnliche Effekte bei Probanden hervorrief, die sich selbst im Spiegel in die Augen starrten – ebenfalls im Dämmerlicht – und von ganz ähnlichen Eindrücken berichteten.
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