Artensterben: "Misserfolge kehren jährlich wieder"
Leere Nester, verhungerte Erwachsene: Den Papageitauchern, Möwen oder Seeschwalben geht es dieses Jahr rund um die Nordsee vielfach schlecht - zum wiederholten Male seit Beginn der 1990er Jahre. spektrumdirekt sprach mit dem Ornithologen Euan Dunn von der britischen Royal Society for the Protection of Birds über die Ursachen.
spektrumdirekt: Mister Dunn, wie geht es den britischen Seevögeln dieses Jahr?
spektrumdirekt: Welche Arten sind denn im Einzelnen betroffen?
spektrumdirekt: Sind Misserfolge wie 2004 oder dieses Jahr Ausnahmen, oder erkennen Sie einen Trend?
spektrumdirekt: Und wie sieht es außerhalb Großbritanniens aus?
spektrumdirekt: Warum gelingt es den Tieren nicht mehr, Nachwuchs zu zeugen und großzuziehen?
Dunn: Ohne Zweifel hängt dies mit Nahrungsknappheit zusammen. Die Vögel fangen nicht mehr genügend Fisch, um ihre Küken zu versorgen oder verhungern sogar selbst. Während der Brutzeit stehen offensichtlich zu wenige oder zu kleine und damit wenig nahrhafte Sandaale – die wichtigste Beute – zur Verfügung, sodass die Erwachsenen längere Zeit auf See bleiben müssen, um Futter zu finden. Vielfach gaben sie aus diesem Grund ihre Brutversuche für dieses Jahr auf. Zudem kamen eine Menge erwachsener Tiere bereits selbst unterernährt vom Winter auf See zu ihren Nistplätzen zurück, andere verhungerten und wurden tot an den Strand geschwemmt.
spektrumdirekt: Und warum mangelt es plötzlich an Sandaalen?
Nach neuesten Zahlen reduzierte sich die Biomasse des Zooplanktons im Nordost-Atlantik während des letzten Jahrzehnts um 70 Prozent. Zugleich ersetzte der Ruderfußkrebs Calanus helgolandicus aus wärmeren Gefilden nach und nach den Kaltwasserspezialisten Calanus finmarchicus – ein deutlicher Regimewechsel, der regelrechte Schockwellen durch die Nahrungskette schicken musste. Es überrascht daher nicht, dass die Seevögel am oberen Ende unter einem mittlerweile chronischen Rückgang leiden.
spektrumdirekt: Wenn Erwärmung eine Rolle spielt, warum leiden dann gegenwärtig mehr Kolonien im britischen Norden als weiter südlich, wo die Brutresultate besser sind?
spektrumdirekt: Spielt auch Überfischung eine Rolle?
Dunn: Örtlich auf alle Fälle ja, doch insgesamt spielt die Fischerei bei Weitem keine so große Rolle wie die ökologischen Veränderungen. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Sandaal-Fänge die Lage nicht noch weiter verschlechtern. Folgerichtig gilt es die hier geltenden strengen Nutzungsregeln beizubehalten. Darunter fällt beispielsweise das Fangverbot vor dem östlichen Schottland, das 2000 eingeführt wurde, um die dortigen Vogelfelsen zu schützen. Dreizehenmöwen und Seeschwalben hängen in besonderem Maße von den Sandaalen ab und würden von der Fischerei entsprechend getroffen. Ihre Jagd beschränkt sich auf die oberste Wasserschicht, und im Gegensatz zu den tiefer tauchenden Alken können sie ihrer Beute nicht in größeren Tiefen nachstellen.
spektrumdirekt: Was bedeuten diese schlechten Jahre für die Zukunft der europäischen Seevogelkolonien?
spektrumdirekt: Mister Dunn, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Euan Dunn: Vielerorts zeichnen sich – je nach Standort und Nahrungsvorlieben der Vögel – starke Ausfälle ab. Vor allem unsere wichtigsten "Seevogelstädte" auf den schottischen Orkney- und Shetland-Inseln haben miserable Brutergebnisse, was uns besorgt. Noch ist aber unser Bild unvollständig, da wir bislang nicht alle Zahlen unserer Vogelwarte aus den Brutkolonien haben. Ein totales Desaster wie im Jahr 2004, als praktisch überall kaum ein Jungvogel überlebte, scheint es jedoch diesmal nicht zu werden.
spektrumdirekt: Welche Arten sind denn im Einzelnen betroffen?
Dunn: Schon früh diese Saison haben beispielsweise die Trottellummen und Tordalken jeden Brutversuch auf Shetland aufgegeben und ihre Nester wie Eier auf den Felsen verlassen, um selbst genügend Nahrung auf See finden zu können. Auch die Dreizehenmöwen hatten große Probleme und brachen die Brut ab. Weiter im Süden, an der Küste von Aberdeenshire, sieht es etwas ermutigender aus, da alle drei Arten wohl einigermaßen erfolgreich gebrütet haben. Verglichen mit früher sind die Zahlen allerdings immer noch deutlich geringer. An der schottischen Westküste wiederum erging es den Küstenseeschwalben ganz gut, während Tordalke und Dreizehenmöwen auch hier versagten.
spektrumdirekt: Sind Misserfolge wie 2004 oder dieses Jahr Ausnahmen, oder erkennen Sie einen Trend?
Dunn: Die Fehlschläge in den bedeutendsten Seevogelkolonien kehren mittlerweile jährlich wieder und bleiben keine seltenen Ausreißer mehr – die letzten 15 Jahre zeichnen ein alarmierendes Bild. In unserem Schutzgebiet Copinsay auf Orkney beispielsweise brach in den letzten beiden Jahrzehnten der Bestand an Dreizehenmöwen um mehr als 80 Prozent ein. An wichtigen Brutplätzen der Papageitaucher schrumpften in den letzten fünf Jahren die Populationen um mehr als ein Drittel. Einbrüche, die sich auch an vielen weiteren Orten Schottlands und Englands wiederholten und die mittlerweile ein ernstliches Problem bedeuten. Immerhin lebt in Schottland fast die Hälfte aller Seevögel der Europäischen Union.
spektrumdirekt: Und wie sieht es außerhalb Großbritanniens aus?
Dunn: Wir beobachten diese negative Entwicklung im gesamten nordöstlichen Atlantik – von Island bis Norwegen. Auf Island etwa blieb 2005 wie 2006 nahezu der komplette Nachwuchs bei Papageitauchern aus, 2007 brüteten nur sechs Prozent erfolgreich, und auch dieses Jahr könnten die Nester noch aufgegeben werden, denn Nahrungsfische sind wohl knapp. Gleiches gilt auch für andere Seevögel der Insel. Ebenfalls schlechte Nachrichten kommen aus Norwegen, wo Dreizehenmöwen und viele Papageitaucher ein schlechtes Jahr hatten.
spektrumdirekt: Warum gelingt es den Tieren nicht mehr, Nachwuchs zu zeugen und großzuziehen?
Dunn: Ohne Zweifel hängt dies mit Nahrungsknappheit zusammen. Die Vögel fangen nicht mehr genügend Fisch, um ihre Küken zu versorgen oder verhungern sogar selbst. Während der Brutzeit stehen offensichtlich zu wenige oder zu kleine und damit wenig nahrhafte Sandaale – die wichtigste Beute – zur Verfügung, sodass die Erwachsenen längere Zeit auf See bleiben müssen, um Futter zu finden. Vielfach gaben sie aus diesem Grund ihre Brutversuche für dieses Jahr auf. Zudem kamen eine Menge erwachsener Tiere bereits selbst unterernährt vom Winter auf See zu ihren Nistplätzen zurück, andere verhungerten und wurden tot an den Strand geschwemmt.
spektrumdirekt: Und warum mangelt es plötzlich an Sandaalen?
Dunn: Das hängt mit einem Wandel in der Meeresumwelt zusammen, über den wir insgesamt noch wenig wissen. Er ist jedoch eng verbunden mit der Erwärmung des Wassers und dem dadurch verursachten Wandel in den Planktongemeinschaften, mit denen die Nahrungskette beginnt. Die Larven der Sandaale fressen nur bestimmte Planktonbestandteile, die zur richtigen Zeit im Winter vorhanden sein müssen, wenn die jungen Fische schlüpfen. Die Sandaalschwärme sind jedenfalls deutlich schmäler als in den 1990er Jahren. Wir vermuten daher, dass weniger Larven überleben und heranwachsen.
Nach neuesten Zahlen reduzierte sich die Biomasse des Zooplanktons im Nordost-Atlantik während des letzten Jahrzehnts um 70 Prozent. Zugleich ersetzte der Ruderfußkrebs Calanus helgolandicus aus wärmeren Gefilden nach und nach den Kaltwasserspezialisten Calanus finmarchicus – ein deutlicher Regimewechsel, der regelrechte Schockwellen durch die Nahrungskette schicken musste. Es überrascht daher nicht, dass die Seevögel am oberen Ende unter einem mittlerweile chronischen Rückgang leiden.
spektrumdirekt: Wenn Erwärmung eine Rolle spielt, warum leiden dann gegenwärtig mehr Kolonien im britischen Norden als weiter südlich, wo die Brutresultate besser sind?
Dunn: Wir vermuten, dass dies mit Veränderungen im Golfstromsystem zusammenhängt. Die winterlichen Wassertemperaturen sind in der nördlichen Nordsee daher momentan höher als weiter im Süden, was die Entwicklung der Sandaale unterschiedlich beeinflusst. In warmen Wintern geht es ihren Populationen schlechter, was letztlich auf die Seevögel durchschlägt. Ich schätze aber, dass in den nächsten Jahrzehnten vor allem die südlicheren Kolonien am stärksten leiden, da mit der fortgesetzten Erwärmung der Nordsee die Kaltwasserfische verschwinden werden.
spektrumdirekt: Spielt auch Überfischung eine Rolle?
Dunn: Örtlich auf alle Fälle ja, doch insgesamt spielt die Fischerei bei Weitem keine so große Rolle wie die ökologischen Veränderungen. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Sandaal-Fänge die Lage nicht noch weiter verschlechtern. Folgerichtig gilt es die hier geltenden strengen Nutzungsregeln beizubehalten. Darunter fällt beispielsweise das Fangverbot vor dem östlichen Schottland, das 2000 eingeführt wurde, um die dortigen Vogelfelsen zu schützen. Dreizehenmöwen und Seeschwalben hängen in besonderem Maße von den Sandaalen ab und würden von der Fischerei entsprechend getroffen. Ihre Jagd beschränkt sich auf die oberste Wasserschicht, und im Gegensatz zu den tiefer tauchenden Alken können sie ihrer Beute nicht in größeren Tiefen nachstellen.
spektrumdirekt: Was bedeuten diese schlechten Jahre für die Zukunft der europäischen Seevogelkolonien?
Dunn: Viele Seevögel leben sehr lang und können bis zu 30 Jahre alt werden, sodass sie oft brüten können. Einzelne schlechte Jahre gleichen sie dadurch gut aus und wirken sich kaum auf die Gesamtzahl aus. Folgen aber einige Jahre mit totalem Misserfolg am Nest wie gegenwärtig und reduziert sich sogar noch die Überlebensrate der erwachsenen Tiere, brechen die Bestände rasch und dramatisch ein. Die Dreizehenmöwe ist so ein Beispiel: Sie geht bereits unerbittlich an Zahl zurück, ganze Kolonien drohen ausgelöscht zu werden oder sind wie auf den Shetlands bereits verschwunden. Ich mache mir jedenfalls große Sorgen über die britischen Seevögel.
spektrumdirekt: Mister Dunn, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben