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Raumfahrt: Mission JUICE: Das Planetenbillard hat begonnen

Mit dem Flugmanöver an Mond und Erde am 19. und 20. August 2024 nahm die europäische Jupitersonde JUICE ihre Serie von vier Planetenvorbeiflügen auf, um beim Riesenplaneten im Jahr 2031 ankommen zu können. Die gekoppelte Passage von Mond und Erde ist eine Premiere in der Raumfahrt.
Künstlerische Darstellung der Planetensonde JUICE, die ab Sommer 2031 Jupiter und seine großen Monde erkunden soll.
Zukunftsmusik: Ab Juli 2031 soll die europäische Raumsonde JUICE Jupiter und seine Monde erkunden.

Die Raumsonde JUICE der Europäischen Weltraumbehörde ESA, der Jupiter Icy Moons Explorer, begann im April 2023 mit ihrer acht Jahre langen Reise zum Gasriesen Jupiter und seinen Monden. Da selbst die seinerzeit stärkste europäische Trägerrakete, die Ariane 5, die Sonde nicht auf eine direkte Bahn zum Riesenplaneten befördern konnte, muss JUICE die Unterstützung von vier dichten Planetenvorbeiflügen in Anspruch nehmen, um schließlich genug Geschwindigkeit zum Erreichen ihres Ziels aufzunehmen.

Über den Wassern des Pazifiks | Rund neun Stunden nach der dichtesten Annäherung an die Erde am 20. August 2024 nahm eine der Monitoring Cameras an Bord von JUICE dieses Bild des Pazifischen Ozeans auf. Es zeigen sich die typischen Wolkenwirbel von irdischen Tiefdruckgebieten.

Zu schwache Rakete

Die Ariane 5 war mit der sechs Tonnen schweren Raumsonde praktisch voll ausgelastet und verlieh JUICE daher eine Überschussgeschwindigkeit, auch hyperbolische Exzessgeschwindigkeit genannt, von 2,5 Kilometern pro Sekunde (9000 Kilometern pro Stunde). Um aber Jupiter direkt anfliegen zu können, hätte JUICE eine Überschussgeschwindigkeit von 11 Kilometern pro Sekunde (39 600 Kilometern pro Stunde) benötigt. Bei dieser Mission ist die erforderliche Überschussgeschwindigkeit höher, da die Geometrie der Planeten zueinander aus energetischer Sicht ungünstig ist. Bei einer optimalen Geometrie würde eine Exzessgeschwindigkeit von 9 Kilometern pro Sekunde ausreichen. Mit einem Überschuss von 2,5 Kilometern pro Sekunde lässt sich Jupiter definitiv nicht erreichen. Deshalb mussten Mittel und Wege gefunden werden, diese Geschwindigkeit zu steigern.

Planetare Schleudern

Dazu bieten sich Schubmanöver mit dem Bordantrieb und nahe Vorbeiflüge an Planeten oder eine Kombination aus beidem an. Solche Planetenvorbeiflüge werden Swing-by-Manöver oder englisch: gravity assist maneuvers genannt. Mit einer Serie von Vorbeiflügen an der Erde allein lässt sich aber die Überschussgeschwindigkeit nicht erhöhen. Somit muss man ein Schubmanöver mit dem Bordantrieb auf dem Bahnbogen entweder zwischen zwei aufeinanderfolgenden Erdpassagen oder während des Flugs zu einem anderen Planeten durchführen.

Hätte man die Überschussgeschwindigkeit von JUICE mit einem Schubmanöver von 2,5 auf 11 Kilometer pro Sekunde erhöhen wollen, so wären dafür rund 60 Tonnen Treibstoff nötig gewesen, die natürlich nicht zur Verfügung standen. Mit der gegebenen Überschussgeschwindigkeit lassen sich aber die Nachbarplaneten Mars oder Venus erreichen. Mars weist jedoch nur etwa zehn Prozent der Erdmasse und demzufolge ein recht schwaches Schwerefeld auf. Zudem steht er nur selten in einer günstigen Position, um ihn anzufliegen. Die deutlich massereichere Venus lässt sich dagegen leichter und öfter anfliegen – allerdings muss man dafür näher an die Sonne heran.

Ein Swing-by bedeutet einen Austausch der Bahnenergie des betreffenden Planeten mit derjenigen der Sonde. Bei einer Beschleunigung der Sonde reduziert sich die Bahnenergie des Planeten um einen unmessbaren Bruchteil, bei einer Abbremsung gewinnt der Planet einen winzigen Bruchteil hinzu. Eine Raumsonde hat im Vergleich zu einem Planeten de facto keine Masse, so dass die Auswirkungen auf ihre Geschwindigkeit bei diesem Energieaustausch beträchtlich sind.

Bei JUICE plante die ESA einen Vorbeiflug an der Venus ein, um die Überschussgeschwindigkeit beim nächsten Erdvorbeiflug zu steigern. Um die Venus nach dem Start erreichen zu können, wurde zunächst am 17. November 2023 ein großes Schubmanöver mit dem Bordantrieb durchgeführt. Das Triebwerk feuerte für 43 Minuten und verbrauchte dabei 363 Kilogramm Treibstoff, was praktisch zehn Prozent des Gesamtvorrats entspricht. Das Manöver erhöhte die Geschwindigkeit der Sonde um 200 Meter pro Sekunde (720 Kilometer pro Stunde), und daraus ergab sich eine Erhöhung der Überschussgeschwindigkeit an der Erde im August 2024 auf 3 Kilometer pro Sekunde. Das Schubmanöver hätte auch noch länger ausfallen und die Sonde auf eine Überschussgeschwindigkeit von 3,3 Kilometern pro Sekunde bringen können, allerdings auf Kosten des Treibstoffvorrats. Um diesen zu schonen und Treibstoff für die bevorstehende Mission zu sparen, hatten sich die Missionsanalysten am European Space Operations Centre ESOC im hessischen Darmstadt schon vor dem Start das LEGA-Manöver ausgedacht.

Suchen Sie den Mond! | Am 21. August 2024, etwa drei Stunden nach der dichtesten Annäherung, hatte sich JUICE schon wieder ein ganzes Stück von der Erde entfernt. Am linken Bildrand ist klein der Mond zu sehen. Da er sich aus dem Blickwinkel der Sonde deutlich hinter der wesentlich näheren Erde befand, erscheint er hier nicht im richtigen Größenverhältnis.

LEGA: eine Premiere im All

Der als LEGA bezeichnete Planetenvorbeiflug, der Lunar-Earth Gravity Assist, nutzt zum ersten Mal auch die Schwerkraft des Mondes aus. Bei allen anderen bisherigen Erdvorbeiflügen von Raumsonden wurden die Bahn und die Zeit der Erdannäherung so gewählt, dass der Mond möglichst weit entfernt war. Seither wurde nämlich das Schwerefeld unseres Trabanten bei allen Passagen am Heimatplaneten als Störeffekt aufgefasst, der tunlichst vermieden werden sollte. Im Fall des LEGA-Manövers, bei dem zuerst der Mond und einen Tag später die Erde passiert wurde, erhöhte der Mondvorbeiflug die Überschussgeschwindigkeit an der Erde von 3 auf etwas mehr als 3,3 Kilometer pro Sekunde. Dadurch hätten theoretisch bis zu etwa 150 Kilogramm Treibstoff gespart werden können, die dann der Mission beim Jupiter zugutegekommen wären. In der Praxis muss man aber einberechnen, dass ein LEGA viel größere Korrekturmanöver benötigt als ein gewöhnlicher Swing-by. Von den theoretischen Ersparnissen geht also etwas durch die erforderlichen Korrekturen verloren.

Das LEGA-Manöver wurde mit großer Präzision geflogen, Mond und Erde wurden exakt zur geplanten Zeit im engen Vorbeiflugkorridor passiert (siehe »Über den Wassern des Pazifiks«). Am 19. August 2024 um 23:15 Uhr MESZ erreichte JUICE den geringsten Abstand zur Mondoberfläche von 751 Kilometern; die geringste Distanz zur Erde wurde am 20. August um 23:57 Uhr über der Wasserwüste des Pazifiks in 6840 Kilometer Höhe durchlaufen. Nun befindet sich JUICE auf dem Weg zur Venus.

JUICE macht die Augen auf

Während sich JUICE im Erde-Mond-System befand, war der größte Teil der zehn wissenschaftlichen Instrumente an Bord eingeschaltet und zeichnete Bilder und Messdaten auf. Diese dienen vor allem dazu, die Instrumente anhand der wohlbekannten Eigenschaften von Mond und Erde zu eichen, um ihre Aussagekraft im Hinblick auf die späteren Untersuchungen im Jupitersystem zu erhöhen. Unter anderem war auch die wissenschaftliche Hauptkamera JANUS aktiv und nahm rund 300 Bilder von Erde und Mond auf (siehe »Blick auf Luzon«).

Blick auf Luzon | Mit der wissenschaftlichen Kamera JANUS an Bord von JUICE wurden auch Bilder der Erdoberfläche aufgezeichnet. Hier ist ein Teil der Hauptinsel Luzon in den Philippinen zu sehen; es lassen sich Gebirgszüge erkennen.

Der Laserhöhenmesser GALA, das Ganymede Laser Altimeter, sandte Laserpulse zur Mondoberfläche und registrierte die zurückkommende Strahlung. Das Radarinstrument RIME, das Radar for Icy Moons Exploration, erhielt bei der Mondpassage extra eine Messzeit von zehn Minuten, um ungestört von den anderen Instrumenten an Bord Radarimpulse zum Erdtrabanten zu senden und zu empfangen. Bei RIME gibt es Störungen innerhalb der Bordelektronik, so dass in einer ruhigen Messphase, bei der die anderen Instrumente im Standby-Modus waren, die empfangenen Signale analysieren und die Störungen dann später besser ausfiltern kann. Die Bilder und Messdaten wurden an Bord von JUICE gespeichert und bei Redaktionsschluss noch zur Erde übertragen.

Kraterlandschaft | Etwa neun Minuten nach der dichtesten Annäherung an den Mond am 19. August 2024 wurde diese Ansicht der Mondoberfläche mit einer der Monitoring Cameras von JUICE aufgezeichnet. Der markante Einschlagkrater mit Zentralberg am rechten Rand des Mondes ist der Krater Humboldt. Am linken Bildrand ist der vom Licht des Mondes beleuchtete Körper der Raumsonde sichtbar, der schwarze Strich quer durch das Bild ist ein Teil der Radarantenne von RIME.

Annähernd live wurden dagegen die Bilder der beiden Monitoring Cameras übermittelt, die mittels Weitwinkelobjektiven Teile der Sonde überblicken. Sie dienten kurz nach dem Start von JUICE dazu, das Ausklappen der Solarzellenflächen und der diversen Sensorausleger sowie Antennen zu verfolgen. Sie ähneln mit einer Auflösung von 1024 x 1024 Pixeln frühen Webcams und lieferten dennoch ansprechende Bilder (siehe »Kraterlandschaft«).

Zur Überraschung der ESA gelang es Funkamateuren mit der 20-Meter-Parabolantenne in Bochum, den Datenstrom von JUICE aufzufangen und darin die Datenpakete mit den Bilddaten der beiden Kameras zu erkennen, zu entpacken und erfolgreich darzustellen. Tatsächlich war es ihnen ebenfalls gelungen, zwei Mondbilder der Navigationskamera aus dem Datenstrom herauszufiltern (siehe »Über dem Mond«). Auf den Bildern der drei unterschiedlichen Kameras zeigten sich die markanten Krater der Mondvorderseite, denn am 19. August war Vollmond, und die Mondrückseite lag im Dunkel der Nacht.

Über dem Mond | Während des Mondvorbeiflugs wurde erstmals auch die Navigationskamera (NavCam) von JUICE auf einen Himmelskörper im Sonnensystem gerichtet. Diese Kamera dient vor allem der optischen Navigation und nimmt sonst Bilder von Sternfeldern auf, aus denen dann die exakte Position der Raumsonde bestimmt werden kann. Die NavCam eignet sich aber auch gut für andere Beobachtungen und hat ein größeres Sichtfeld als die wissenschaftlichen Kameras an Bord von JUICE.

Wie geht es weiter?

Mit dem erfolgreichen Abschluss des LEGA-Manövers hat JUICE noch einen viele Milliarden Kilometer langen Weg durch das Sonnensystem vor sich, bis sie endlich im Juli 2031 bei Jupiter ankommt (siehe »Fünf Runden um die Sonne«). Am 31. August 2025 wird sie die Venus im Abstand von 5100 Kilometern passieren. Im Bereich der Venusbahn bekommt JUICE rund die zweifache Energiemenge von der Sonne ab, die sie in Erdnähe erreicht. Dabei werden die dem Zentralgestirn zugewandten Teile der Sonde auf bis zu +250 Grad Celsius aufgeheizt. Um die empfindliche Bordelektronik zu schützen, wird daher die recht robuste, 2,5 Meter große Parabolhauptantenne von JUICE die ganze Zeit auf die Sonne gerichtet. Dadurch sind die Übertragungsmöglichkeiten für Messdaten und Bilder signifikant eingeschränkt.

Fünf Runden um die Sonne | Fünfmal wird die Jupitersonde JUICE die Sonne umrunden, bis sie nach acht Jahren und vier Planetenpassagen schließlich bei Jupiter eintrifft. Der Erdvorbeiflug EGA-1 = LEGA war eine Kombination von einer Passage am Mond am 19. August 2024, gefolgt von der Annäherung an die Erde einen Tag später. Die nächste Etappe von JUICE ist nun der Vorbeiflug an der Venus (VGA) am 31. August 2025.

Zudem müssen die beiden Solarzellenausleger mit einer Gesamtfläche von 85 Quadratmetern deutlich gegenüber der Einfallrichtung des Sonnenlichts verkippt werden. Das verhindert, dass sie sich zu stark aufheizen und viel zu viel Strom liefern. Im Umlauf um Jupiter sollen sie etwa 900 Watt an elektrischer Leistung produzieren. Bei voller Ausrichtung auf die Sonne im Bereich der Venusbahn würden sie 48 000 Watt erzeugen und damit die Elektronik von JUICE völlig überlasten.

Während des Venusvorbeiflugs am 31. August 2025 werden die wissenschaftlichen Instrumente im Gegensatz zur LEGA-Passage keine Daten sammeln. Vielleicht gelingt es mit den Monitoring Cameras, einige Bilder von der stets wolkenverhüllten Venus zu erhaschen. Allerdings würden diese nur eine helle Scheibe mit der Lichtphase zeigen, da die beiden Kameras nur im visuellen Bereich empfindlich sind und die permanente Wolkendecke in diesem Spektralbereich kaum Einzelheiten zeigt.

Nach der Venuspassage befindet sich JUICE dann auf einer Bahn um die Sonne, welche die Sonde am 28. September 2026 wieder zur Erde zurückführt. Diese wird in einem Abstand von 8600 Kilometern passiert. Die Raumsonde hat danach annähernd eine Überschussgeschwindigkeit von elf Kilometern pro Sekunde, kann aber Jupiter noch nicht erreichen. JUICE fliegt daher auf einer weiten Bahn, die sie bis an den inneren Rand des Asteroidengürtels jenseits der Marsbahn heranführt. Der maximale Abstand zur Sonne wird bei 2,4 Astronomischen Einheiten erreicht, das entspricht dem 2,4-fachen Abstand der Erde zur Sonne.

Etwa 27 Monate lang wird JUICE auf dieser Bahn die Sonne umrunden, bis sie am 17. Januar 2029 zum letzten Mal zur Erde zurückkehrt und sie in einem Abstand von 4600 Kilometern passiert. Dieser dritte Erdvorbeiflug erhöht die Energie der Transferbahn weiter, hebt dabei das Aphel deutlich an und sorgt dafür, dass JUICE in die Ebene der Jupiterumlaufbahn um die Sonne eintritt, die gegenüber der Erdbahn um 1,3 Grad geneigt ist. Zudem richtet der letzte Erdvorbeiflug die Flugbahn von JUICE auf Jupiter.

Es stehen noch einmal zweieinhalb Jahre Flug an, bis die Sonde am 21. Juli 2031 das wichtigste Schub­manöver der Mission durchführen muss: das Abbremsen in eine Umlaufbahn um den Gasriesen. Nur dann kann die auf mindestens vier Jahre Dauer geplante Mission stattfinden. Ihr Abschluss ist eine Umlaufbahn um Ganymed, den größten Planetenmond des Sonnensystems. Dieser Orbit kann nun mit dem beim LEGA eingesparten Treibstoff noch enger ausfallen, was schärfere Bilder erlaubt.

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  • Quellen

Literaturhinweise

Althaus, T.: Europa stößt in das Reich von Jupiter vor. Sterne und Weltraum 7/2023, S. 32 – 43 Michaelis, H. et al.: Mit JANUS den Jupiter erforschen. Sterne und Weltraum 9/2024, S. 31 – 35

Der Autor dankt den ESA-Flugdynamikern Arnaud Boutonnet, Frank Budnik und Michael Khan für ihre Unterstützung dieses Beitrags.

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