News: Mit dem 'inneren Auge' fühlen
Zusammen mit seinen Kollegen erweiterte Sathian Versuche, die andere Wissenschaftler mit Blinden durchgeführt hatten. Während die Testpersonen Texte in Braille ertasteten, war ihr visueller Cortex aktiv an der Informationsverarbeitung beteiligt. Sathian führte seine Experimente mit sehenden Probanden durch. In einem ersten Durchgang drückte sein Team den Teilnehmern, deren Augen geschlossen oder zusätzlich noch verbunden waren, ein Objekt mit einer Rille auf die Fingerspitzen. Alleine durch Tasten versuchten die Probanden zu bestimmen, ob die Vertiefung quer oder längs zu ihrem Finger verlief (Nature vom 7. Oktober 1999). "Die Teilnehmer erzählten uns, sie hätten sich 'mit dem inneren Auge' die Orientierung der Rille an der Fingerspitze vorgestellt. Das veranlaßte uns zu der Annahme, die visuelle Bilddarstellung vereinfache diese Tastaufgabe", sagt Sathian.
Zur Überprüfung ihrer Hypothese ließen die Forscher ihre Freiwilligen abermals eine Reihe von Tests durchlaufen, darunter wieder die Frage nach der Richtung der Rille. Außerdem sollten sie entscheiden, ob die Vertiefung breit oder schmal war. Während des Versuchs blockierten die Wissenschaftler mit Hilfe einer harmlosen transcranialen magnetischen Stimulation vorübergehend bestimmte Gehirnzentren. Wie sich herausstellte, verschlechterte sich die Fähigkeit, die Orientierung korrekt zu ertasten, wenn eine Schlüsselregion des visuellen Cortex gehemmt wurde. Die Bestimmung der Spaltbreite blieb dagegen weiterhin gleich erfolgreich. Eine Blockade des somatosensorischen Cortex hingegen beeinflußte beide Aufgaben.
Aus den beiden Versuchsblöcken schließen die Wissenschaftler, daß die visuelle Bearbeitung im Gehirn mithilft, die Orientierung einer Markierung zu ertasten. Eventuell könnten die entsprechenden Bereiche an allen Richtungsunterscheidungen beteiligt sein.
"Diese Ergebnisse sind nicht nur wichtig, um zu verstehen, wie das Gehirn normalerweise sensorische Informationen verarbeitet, sondern auch, wie diese Prozesse verändert werden durch Blindheit, Gehörlosigkeit oder Verlust des Tastsinns...", meint Sathian.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 14.1.1999
"Sehen wie Hören"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 31.7.1998
"Mit den Händen hören"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 13.1.1998
"Überflieger in Blindenschrift"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.