Neandertaler: Mit den Genen der Fremdlinge
Wann immer der hochmobile Homo sapiens in Neandertalergebiet vordrang, beschaffte er sich eine Portion Erbgut von den Alteingesessenen und zog dann weiter. So jedenfalls das Bild, das sich aus der paläogenetischen Forschung der letzten Jahren ergibt: der moderne Mensch voller Tatendrang, der Neandertaler das in Zeit und Raum konstante Hintergrundrauschen.
Dass jedoch auch die uns so nah verwandte Art eine vielfältige und zeitlich tiefe Geschichte aufweist, demonstriert nun eine neue Studie. Ein Team um Sergi Castellano vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat dazu die DNA zweier rund 50 000 Jahre alter Neandertaler aus Sibirien analysiert. Dabei fanden sie Hinweise auf eine bislang unbekannte Vermischung mit dem modernen Menschen, die den Vorfahren der beiden sibirischen Neandertaler Gene des Homo sapiens bescherte.
Diese Vermischung datieren die Forscher auf einen Zeitpunkt vor rund 100 000 Jahren – und das ist insofern sehr außergewöhnlich, weil die Vorfahren heutiger Europäer und Asiaten eigentlich erst vor rund 50 000 bis 60 000 Jahren Afrika verließen. Wie konnten also Neandertaler schon vor 100 000 Jahren auf den anatomisch modernen Menschen getroffen sein?
Castellano und Kollegen sehen darin einen weiteren Beleg für die Annahme, dass es bereits eine erste, noch sehr frühe Auswanderungsbewegung des modernen Menschen gegeben haben muss. Sie führte Homo sapiens in den Nahen Osten. In der Levante oder dem südlichen Arabien kam es zu einer Vermischung mit den dort beheimateten Neandertalern. Und während die Gruppe der frühen Auswanderer möglicherweise einfach sang- und klanglos ausstarb, wanderten die ortsansässigen Neandertaler gen Norden, wo sich ihre Nachkommen unter anderem im sibirischen Altai-Gebirge niederließen. Das Erbgut der anatomisch modernen Menschen nahmen sie mit.
Die Forscher überprüften auch die DNA von Neandertalern aus Kroatien und Spanien auf Hinweise auf Genfluss vom modernen Menschen, wurden aber nicht fündig. Dies bedeutet, dass sich die Populationen der europäischen und der asiatischen Neandertaler bereits vor dem Vermischungsereignis voneinander abgespalten hatten und seitdem nicht mehr miteinander in Kontakt getreten waren. Auch die Denisova-Menschen, die sich in großen Teilen Asiens aufgehalten haben müssen und sich – viel später – mit den auswandernden anatomisch modernen Menschen vermischt haben, nahmen an dem frühen Kontaktereignis nicht teil. Ihre DNA, die Wissenschaftler ebenfalls in den sibirischen Altai-Bergen fanden, ist noch nicht mit den fremden Homo-sapiens-Einsprengseln versehen.
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