Medizinerfolge: Mit HI-Viren gegen tödlichen Hirnschwund
Das Umsteigen auf eine andere Genfähre und biotechnische Feinarbeit ebnet den Weg zur erfolgreichen Gentherapie. Sie half zwei Kindern mit seltener Erbkrankheit.
Es ist schon ein wenig her, dass "Gentherapie" als Königsweg galt, auf dem viele vermeintlich unheilbare Krankheiten besiegt werden können. Die lautstarke Begeisterung für das so einleuchtende wie elegante, aber eben zunächst auch noch sehr theoretische Konzept begann zu verstummen, als Mediziner es in die Praxis übertragen wollten: Schwer überwindbar sind die technischen Probleme, genetische Defekte in den Zellen des Körpers durch die Transplantation gesunder Genkopien zu heilen. Manche Versuche endeten im Desaster: Der Einsatz von Viren als Gentransporter kann die therapierten Zellen entarten lassen, Blutkrebs folgt dem missglückten Heilungsversuch auf dem Fuß. Große Ankündigungen wurden leiser und seltener.
Und skeptischer beäugt. So auch vor zwei Jahren, als ein international zusammengesetztes Medizinerteam um Patrick Aubourg vom staatlichen französischen Gesundheitsinstitut INSERM begann, sich um zwei todkranke siebenjährige Kinder zu kümmern. Der Aufmerksamkeit zugute kam schon damals die Natur der tödlichen Krankheit, an der die beiden kleinen Franzosen litten – der Adrenoleukodystrophie (X-ALD), die mit dem Hollywood-Film "Lorenzos Öl" bekannt wurde. Eine Reihe publicitystarker Selbsthilfeorganisationen kümmern sich um Betroffene, bekannte Schirmherren – etwa der Fußballstar Zinedin Zidane – unterstützen ihre Arbeit mit Prominenz. Die Erbkrankheit trifft Jungen im Alter von sechs bis acht Jahren, sie zerstört schleichend das Gehirn und tötet fast immer vor der Pubertät.
Ursache der X-ALD ist ein vererbter Defekt im Gen ABCD1, einem Erbgutabschnitt auf dem X-Chromosom. Er kodiert für ein besonderes Transportprotein, ein ATP-bindendes Protein namens ALD, welches überlangkettige Fettsäuren durch die Membranen der Peroxisomen schiebt – Zellorganellen, die für den Abbau von Lipiden zuständig sind. In Hirnzellen spielen sie oft eine besondere Rolle: Störungen des Fettstoffwechsels der Peroxisomen verhindern hier die Myelinisierung von Neuronen, bei der die langen Hirnnerven mit einer für ihre Funktion entscheidenden Schicht von Lipidlagen umwickelt werden. Eben diese Myelinisierung unterbleibt im Hirn der kleinen ALD-Patienten nach und nach an immer mehr Stellen – und immer mehr Gehirnareale fallen aus.
Die Krankheit kann durch eine Knochenmarkspende gebremst werden – im Idealfall bilden sich dabei sogar neue Myelinschichten, die Behandelten können dann nicht selten lange ohne größere Beschwerden leben. Mit der Knochenmarkspende werden den Erbkranken hämatopoetische Stammzellen (HSC) des Spenders mit funktionsfähigen ABCD1-Genen übertragen – also die gesunden Stammformen aller Blutzellen. Das funktioniert recht gut, kommt aber bedauerlicherweise nur selten in Frage, weil ein passender Knochenmarkspender, dessen Gewebe vom kranken Kind nicht abgestoßen wird, oft nicht aufzutreiben ist.
Die Alternative ist Gentherapie, so kündigten Aubourg und Kollegen 2007 an, und begannen mit einem Versuch, dessen erste Ergebnisse jetzt abzusehen sind. Zunächst hatten die Mediziner dafür zwei jungen Patienten, für die keine Spender gefunden worden waren, Blutproben entnommen und daraus Blutzellen isoliert – genauer, endotheliale Vorläuferzellen. Wie alle Zellen von ALD-Kranken tragen sie keine funktionsfähige Kopie von ABCD1, sollten diese nun aber durch eine gentechnisch optimierte Virus-Genfähre erhalten, in deren Erbgut eine gesunde Genkopie eingebaut ist. Die gentherapierten Zellen werden dann wieder den Kindern transplantiert, wo sie, da körpereigen, vom Immunsystem nicht abgestoßen werden dürften.
Lentiviren haben aber auch Nachteile, die bei der Therapie der beiden ALD-Kinder einzukalkulieren waren. Denn anders als bei Gammaretroviren wachsen mit ihnen beimpfte Zellen nicht schneller als ihre natürlichen Nachbarn im Körper und überwuchern mit ihrer Nachkommenschaft deshalb nicht die schon vorhandene Population von blutbildenden Vorläuferzellen, welche selbstverständlich weiter das funktionslose Gen trägt. Am Ende würde der Therapieversuch mit wenigen gesund gemachten Zellen also ein nicht nachhaltiger Tropfen auf den heißen Stein bleiben.
Das Team um Aubourg musste also, nachdem der Einsatz der Lentiviren mitsamt ABCD1 auf die aus den Kindern isolierten Blutzellen gut gelungen war, zu drastischen Maßnahmen greifen, um den transplantierten Zellen im Körper der Patienten auch eine Chance zu geben: Sie unterzogen sie einer Myeloablation, unterdrückten also den natürlichen Blutzellnachschub der Kinder und schufen so Freiräume für die injizierten gentherapierten Blutvorläuferzellen.
Dann hieß es warten und hoffen: Über zwei Jahre beobachteten die Ärzte die Kinder, ihr Blut und die Entwicklung der Zerstörungen ihrer Hirnnerven. Nun freuen sie sich vorsichtig über einen offenbar großen Erfolg – beide Kinder leben, bei beiden ist der sonst grassierende Schwund der Myelinscheiden gestoppt. Die Gentherapie scheint etwa ebenso gut zu wirken, wie eine erfolgreiche Knochenmarkstransplantation von einem passenden Spender.
Vielleicht, spekuliert zum Beispiel Luigi Naldini von der San Raffaele Universität in Mailand, liegt das daran, dass in einer gentherapierten Zelle nun viele Genfähren integriert sind – also auch mehrere Kopien von ABCD1, die dann auch mehr des benötigten Proteins ALD produzieren. Erfreulich jedenfalls, dass trotz der Multiintegration des Virus in das Erbgut der Zelle nicht besonders häufig die Regionen betroffen sind, in die auch die früher verwendeten Gammaretroviren besonders gerne hineinspringen – und dabei Krebs auslösen. Die Gefahr, die von mit Lentiviren gentherapierten transplantierten Zellen ausgeht, könnte geringer sein – das, konstatieren Aubourg und Co, muss aber unbedingt noch über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Hoffentlich spielen die beiden nun neunjährigen Franzosen noch lange Jahre auch unter dieser Beobachtung Hauptrollen bei der erfolgversprechenden Gentherapie.
Und skeptischer beäugt. So auch vor zwei Jahren, als ein international zusammengesetztes Medizinerteam um Patrick Aubourg vom staatlichen französischen Gesundheitsinstitut INSERM begann, sich um zwei todkranke siebenjährige Kinder zu kümmern. Der Aufmerksamkeit zugute kam schon damals die Natur der tödlichen Krankheit, an der die beiden kleinen Franzosen litten – der Adrenoleukodystrophie (X-ALD), die mit dem Hollywood-Film "Lorenzos Öl" bekannt wurde. Eine Reihe publicitystarker Selbsthilfeorganisationen kümmern sich um Betroffene, bekannte Schirmherren – etwa der Fußballstar Zinedin Zidane – unterstützen ihre Arbeit mit Prominenz. Die Erbkrankheit trifft Jungen im Alter von sechs bis acht Jahren, sie zerstört schleichend das Gehirn und tötet fast immer vor der Pubertät.
Ursache der X-ALD ist ein vererbter Defekt im Gen ABCD1, einem Erbgutabschnitt auf dem X-Chromosom. Er kodiert für ein besonderes Transportprotein, ein ATP-bindendes Protein namens ALD, welches überlangkettige Fettsäuren durch die Membranen der Peroxisomen schiebt – Zellorganellen, die für den Abbau von Lipiden zuständig sind. In Hirnzellen spielen sie oft eine besondere Rolle: Störungen des Fettstoffwechsels der Peroxisomen verhindern hier die Myelinisierung von Neuronen, bei der die langen Hirnnerven mit einer für ihre Funktion entscheidenden Schicht von Lipidlagen umwickelt werden. Eben diese Myelinisierung unterbleibt im Hirn der kleinen ALD-Patienten nach und nach an immer mehr Stellen – und immer mehr Gehirnareale fallen aus.
Die Krankheit kann durch eine Knochenmarkspende gebremst werden – im Idealfall bilden sich dabei sogar neue Myelinschichten, die Behandelten können dann nicht selten lange ohne größere Beschwerden leben. Mit der Knochenmarkspende werden den Erbkranken hämatopoetische Stammzellen (HSC) des Spenders mit funktionsfähigen ABCD1-Genen übertragen – also die gesunden Stammformen aller Blutzellen. Das funktioniert recht gut, kommt aber bedauerlicherweise nur selten in Frage, weil ein passender Knochenmarkspender, dessen Gewebe vom kranken Kind nicht abgestoßen wird, oft nicht aufzutreiben ist.
Die Alternative ist Gentherapie, so kündigten Aubourg und Kollegen 2007 an, und begannen mit einem Versuch, dessen erste Ergebnisse jetzt abzusehen sind. Zunächst hatten die Mediziner dafür zwei jungen Patienten, für die keine Spender gefunden worden waren, Blutproben entnommen und daraus Blutzellen isoliert – genauer, endotheliale Vorläuferzellen. Wie alle Zellen von ALD-Kranken tragen sie keine funktionsfähige Kopie von ABCD1, sollten diese nun aber durch eine gentechnisch optimierte Virus-Genfähre erhalten, in deren Erbgut eine gesunde Genkopie eingebaut ist. Die gentherapierten Zellen werden dann wieder den Kindern transplantiert, wo sie, da körpereigen, vom Immunsystem nicht abgestoßen werden dürften.
Schon beim Anfangsschritt wichen Aubourg und Co von althergebrachten Routinen ab und folgten einem moderneren Ansatz, der sich gerade durchsetzt: Statt eines Gamma-Retrovirus als Fähre setzten sie ein von HIV-1 abgeleitetes Lentivirus ein. Das hat Vorteile, denn lentivirale Vektoren infizieren, anders als früher die Gammaretroviren, auch Zellen, die sich nicht teilen. Außerdem hoffen Forscher, dass die HIV-Verwandten nicht das manchmal fatale Verhalten von Gammaretroviren zeigen, die sich gerne gerade in solche Regionen des Erbguts der Empfängerzelle einklinken, in denen Gene für die Teilung oder Wachstumsgeschwindigkeit und -steuerung liegen. Hier hinein springende Viren könnten gut die Ursache dafür sein, dass mit Gammaretroviren "therapierte" Zellen allzu oft entarten.
Lentiviren haben aber auch Nachteile, die bei der Therapie der beiden ALD-Kinder einzukalkulieren waren. Denn anders als bei Gammaretroviren wachsen mit ihnen beimpfte Zellen nicht schneller als ihre natürlichen Nachbarn im Körper und überwuchern mit ihrer Nachkommenschaft deshalb nicht die schon vorhandene Population von blutbildenden Vorläuferzellen, welche selbstverständlich weiter das funktionslose Gen trägt. Am Ende würde der Therapieversuch mit wenigen gesund gemachten Zellen also ein nicht nachhaltiger Tropfen auf den heißen Stein bleiben.
Das Team um Aubourg musste also, nachdem der Einsatz der Lentiviren mitsamt ABCD1 auf die aus den Kindern isolierten Blutzellen gut gelungen war, zu drastischen Maßnahmen greifen, um den transplantierten Zellen im Körper der Patienten auch eine Chance zu geben: Sie unterzogen sie einer Myeloablation, unterdrückten also den natürlichen Blutzellnachschub der Kinder und schufen so Freiräume für die injizierten gentherapierten Blutvorläuferzellen.
Dann hieß es warten und hoffen: Über zwei Jahre beobachteten die Ärzte die Kinder, ihr Blut und die Entwicklung der Zerstörungen ihrer Hirnnerven. Nun freuen sie sich vorsichtig über einen offenbar großen Erfolg – beide Kinder leben, bei beiden ist der sonst grassierende Schwund der Myelinscheiden gestoppt. Die Gentherapie scheint etwa ebenso gut zu wirken, wie eine erfolgreiche Knochenmarkstransplantation von einem passenden Spender.
Und das, wie die Forscher überrascht ermittelten, obwohl nur rund 9 bis 14 Prozent der Granulozyten, Monozyten, T- und B-Zellen sowie Knochenmarkszellen, die den Patienten entnommen wurden, am Ende der Therapie tatsächlich auch das Protein ALD bilden konnten. Offenbar besteht ein recht großer Anteil von blutbildenden Zellen weiter aus den alten Varianten ohne ABCD1. Die geringe Zahl von Nachkommen der gentherapierten Zellen reicht im Körper dennoch offenbar aus, um die Folgen des Gendefektes der anderen Zellen zu stoppen und die Myelinisierung der Hirnnerven zu gewährleisten.
Vielleicht, spekuliert zum Beispiel Luigi Naldini von der San Raffaele Universität in Mailand, liegt das daran, dass in einer gentherapierten Zelle nun viele Genfähren integriert sind – also auch mehrere Kopien von ABCD1, die dann auch mehr des benötigten Proteins ALD produzieren. Erfreulich jedenfalls, dass trotz der Multiintegration des Virus in das Erbgut der Zelle nicht besonders häufig die Regionen betroffen sind, in die auch die früher verwendeten Gammaretroviren besonders gerne hineinspringen – und dabei Krebs auslösen. Die Gefahr, die von mit Lentiviren gentherapierten transplantierten Zellen ausgeht, könnte geringer sein – das, konstatieren Aubourg und Co, muss aber unbedingt noch über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Hoffentlich spielen die beiden nun neunjährigen Franzosen noch lange Jahre auch unter dieser Beobachtung Hauptrollen bei der erfolgversprechenden Gentherapie.
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