News: Mit nicht-viraler Gentherapie gegen Krebs
Für die Studie verwendeten die Wissenschaftler ein Modell zur Gentherapie, das in der Forschung über menschlichen Krebs in Tierversuchen weitverbreitet ist: Sie stimulierten die zelluläre Expression eines Herpes simplex Virus-Thymidin-Kinase-Gens (HSV-TK-Gens) in Tumoren und behandelten dann die tumortragenden Tiere mit dem Medikament Ganciclovir. So konnten 30 Prozent der Tumor permanent eliminiert werden.
Ähnliche Tests des HSV-TK/Ganciclovir-Protokolls haben schon früher darauf hingewiesen, daß es Krebszellen auf effektive Weise abtötet. Bisher wurden aber virale Vektoren genutzt, um das HSV-TK-Gen in die Zellen zu transportieren. Da virale Vektoren dauerhaft in der Zelle verbleiben, ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Viren gesunde Zellen infizieren und dadurch Mutationen verursachen, die dann Teil des Genoms werden. Aus diesem und anderen Gründen haben Wissenschaftler nach einem nicht-viralen Transportsystem für den Einsatz bei Gentherapien gesucht, sagte Xiao Chen, Hauptautor der Studie und Assistenzprofessor für klinische Forschung am Edison Biotechnology Institute der Ohio University und am College of Osteopathic Medicine.
"Virale Gentherapie-Vektoren sind sehr effizient beim Transport therapeutischer Gene in bestimmte Zielzellen. Es gibt jedoch gewisse Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit den Virus-Vektoren", erklärte Chen. "Die Ergebnisse aus vier Studien über das T7-System deuten darauf hin, daß es als Alternative zu viralen Vektoren für die Krebsbehandlung und andere Gentherapien eingesetzt werden kann, oder für biologische Anwendungen, die eine vorübergehende aber schnelle und effiziente Genexpression erforderlich machen."
Wissenschaftler der Ohio University vermuten schon lange, daß das T7-Genexpressionssystem zu ähnlichen Reduktionsraten bei Tumoren führen könnte wie virale Vektoren. Nach Thomas Wagner von der Ohio University wird diese These durch die neue Studie bestätigt. Der Vorteil des Einsatzes von T7 für die Gentherapie, so Wagner, ist, daß die in die Zelle eingefügten Gene sich dort nur vorübergehend halten und nicht Teil der Chromosomen werden. Da bei diesen Genen die Expression auch außerhalb des Kerns stattfinden kann, läßt sich die Methode auch bei Zellen einsetzen, die sich nicht teilen (Human Gene Therapy vom 20. März 1998). "Wir glauben, daß wir deshalb derart positive Ergebnisse bei der endgültigen Eindämmung von Tumoren erzielt haben", sagte Wagner. "Während sich die meisten Krebszellen teilen, gibt es im Kern vieler Tumoren große Ansammlungen von Zellen, die sich nicht teilen. Diese Zellen könnten die Quelle des Wiederauflebens von Krebs sein."
In den vorliegenden Experimenten veranlaßte das T7-System jedoch die Expression des HSV-TK-Gens in allen Zellen des entsprechenden Tumors, sogar in denen, die sich nicht teilten. Wagner ist der Meinung, ein weiterer Vorteil des T7-Systems liegt darin, daß das Ausmaß der Genexpression auf seine Komponenten zurückzuführen ist. Während andere Gentherapie-Techniken reines genetisches Material in Form von DNA verwenden, benutzt die T7-Methode DNA, an die bereits T7-RNA-Polymerase gebunden ist: ein Protein, welches das Gen veranlaßt, sofort RNA zu erzeugen – ein wichtiger Schritt in der Proteinbiosynthese innerhalb einer Zelle.
Mit der T7-Technologie, die von der Ohio University im Januar 1997 patentiert wurde, befaßt sich auch die Firma Progenitor. Dort führen Wissenschaftler Tierversuche mit T7 durch, um seine Wirksamkeit bei der Behandlung von Gehirn- und Hautkrebs zu untersuchen. Ihre Studien waren zwar erfolgreich, die Wissenschaftler versuchen jedoch, die Wirksamkeit der Technologie sowie die Produktform für kommerzielle Zwecke zu verbessern, sagt Ralph Snodgrass von Progenitor.
Nach Aussage der Forscher werden in Zukunft klinische Tests möglich sein. Vor dem Start von Versuchen möchten die Wissenschaftler aber das Expressionssystem verbessern, um so eine höhere Rate bei der Tumorrückbildung zu erzielen. Bei ihren Studien haben die Wissenschaftler der Ohio University und bei Progenitor festgestellt, daß die Tumorrückbildung bei einigen Mäusen nur teilweise stattfand, während sie bei anderen vollständig war. Snodgrass glaubt, daß dies damit zusammenhängt, auf welche Weise die DNA in die Tumorzellen transportiert wird. "Bei einigen Tumoren muß eine Genexpression nur in etwa zehn Prozent der Zellen ablaufen, um eine Wirkung zu erzielen. In anderen Tumoren ist jedoch möglicherweise eine Expression in 25 Prozent der Zellen erforderlich", sagt er. "Einige Zellen nehmen die DNA sehr leicht auf, andere jedoch brauchen möglicherweise Hilfe."
Wissenschaftler untersuchen die Möglichkeit, unterschiedliche Lipide oder andere Moleküle einzusetzen, um die Transporteffizienz und die Konsistenz des T7-Systems zu verbessern. Wenn klinische Tests tatsächlich beginnen, könnte das System folgendermaßen aussehen: Ärzte untersuchen den Tumor mittels Computertomographie und bestimmen seine exakte Position. Ein automatisiertes Injektionssystem würde dann eingesetzt, um das T7-Proteinpaket in jedes Segment des Tumors zu injizieren. Chen und Wagner haben herausgefunden, daß eine Reihe von Injektionen die Tumorrückbildung steigert. Daher ist es wahrscheinlich, daß der Patient sich mehrmals dieser Therapie unterziehen muß.
Sobald das HSV-TK-Gen in der Zelle mit der Expression beginnt, erhält der Patient intravenöse Dosen von Ganciclovir. Die Tumorrückbildung sollte innerhalb weniger Tage erkennbar sein, sagte Snodgrass. Im Gegensatz zur Chemotherapie, bei der Zellen nicht selektiv abgetötet werden, würde diese Gentherapie lediglich erkrankte Zellen auslöschen.
Snodgrass untersucht auch den Einsatz von T7 zur Vermeidung eines häufigen postoperativen Problems bei Herzpatienten, die sich einer Angioplastie unterziehen. Das System könnte für den Transport eines Moleküls eingesetzt werden, das Blutgefäße daran hindert, sich zu verschließen. Dies geschieht nach einer Angioplastie oft. "Die Tatsache, daß T7 ein nicht-virales System ist, das nicht in das Genom integriert wird, bedeutet, daß wir hier keine Sicherheitsbedenken haben müssen, wie es bei viralen Vektoren der Fall ist", sagt Snodgrass. "Dies und die Tatsache, daß keine Zellteilung notwendig ist, damit das System funktioniert, macht diese Technik für uns äußerst interessant."
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