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News: Mit zweierlei Maß gemessen

Wie weit ist der Sternhaufen der Plejaden entfernt? Nicht weniger als die Größe des Universums hängt von der genauen Antwort auf diese Frage ab. Doch Messungen von der Erde aus und die Daten des Satelliten Hipparcos widersprechen einander.
Das fing nicht gut an. Kurz nach dem Start des neuen Satelliten Hipparcos, der im Auftrag der European Space Agency (ESA) die Sterne der näheren Umgebung vermessen sollte, gab es Probleme mit einem Triebwerk. Fast hatte man das Projekt schon aufgegeben, da schafften es die Ingenieure des Teams, ihren Satelliten zu retten. Auf einer unplanmäßig lang gestreckten, aber immerhin stabilen Umlaufbahn zog er fortan seine Kreise und lieferte fleißig Daten. Die Entfernungen und Bewegungen von mehr als 100 000 Sternen hat Hipparcos seitdem registriert – doch noch ein beachtlicher Erfolg.

Allerdings knarscht es in der astronomischen Gemeinschaft wegen einer dieser Angaben. Hipparcos behauptet nämlich, der Sternhaufen der Plejaden befände sich in 118 Parsec Entfernung, also etwa 385 Lichtjahre. Dem widersprechen manche Wissenschaftler entschieden, denn sie haben von der Erde aus ganze 132 Parsec, rund 430 Lichtjahre, gemessen. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn auf diesem Wert nicht eine Reihe von weiteren Daten und Modellen ruhen würden. Und die wirft man nun einmal nicht so schnell über den Haufen. Denn wer sagt denn, dass Hipparcos bei seinem holprigen Start nicht vielleicht einen kleinen Knacks abbekommen hat? Es wäre immerhin möglich, dass er prinzipiell zu kurz misst.

Was fehlt, um den Streit zu entscheiden, wäre ein verlässlicher Wert für die Strecke Erde-Plejaden. Doch die Distanzen zu weit entfernten Objekten am Himmel zu bestimmen, ist eine diffizile Angelegenheit. Handelt es sich bei dem Stern um einen Nachbarn, nutzen Forscher meist die Parallaxen-Methode. Das Prinzip kennt jeder vom Peilen mit dem Daumen: Mit zugekniffenem linken Auge bedeckt der hochgereckte Daumen genau den Kirchturm im Hintergrund. Öffnet man jedoch das linke Auge und schließt dafür das rechte, scheint der Kirchturm aus seiner Deckung zu springen und steht plötzlich "neben" dem Daumen. Den Effekt nennt man Parallaxe, und schuld daran ist der Abstand zwischen den Augen. Theoretisch ließe sich aus den beiden Positionen des Kirchturms, dem Augenabstand und dem Winkel der Sichtlinien die Entfernung zum Turm errechnen (oder zum Daumen, falls der Abstand des Turmes bekannt sein sollte). Das macht natürlich keiner, weil es viel einfacher ist, die Strecke abzuschreiten.

In der Astronomie nutzt man dieses Verfahren dagegen schon, wenn auch nicht mit dem Daumen. Dessen Funktion übernimmt der nahe Stern, den Kirchturm ersetzt ein weit entferntes Objekt, und an die Stelle des geringen Augenabstandes tritt die Erdumlaufbahn, indem zwei Aufnahmen, die im Abstand eines halben Jahres entstanden sind, verglichen werden. Die "Sprünge" des nahen Sterns vor dem Hintergrund sind allerdings ziemlich klein und werden in Bogensekunden gemessen, wobei 1 Bogensekunde 1/3600 Grad entspricht. Umgerechnet auf Entfernungen gibt dies 3,26 Lichtjahre für jede Parallaxensekunde, kurz Parsec.

Die Methode funktioniert gut für nahe Objekte wie zum Beispiel den Sternhaufen der Hyaden in rund 150 Lichtjahren Distanz. Schwieriger wird es für die Plejaden im Sternbild Stier. Diese auch Siebengestirn genannte Formation liegt an der Grenze des so Messbaren. Darum bediente man sich bei ihrer Entfernungsbestimmung einer kleinen Zusatzannahme: Wie die Hyaden auch, befinden sich die Plejaden in einer Phase, in der ihre Sterne Wasserstoff zu Helium fusionieren. Vergleicht man nun die scheinbaren Helligkeiten der Sterne aus beiden Haufen, müsste sich auf die Entfernung der Plejaden schließen lassen. Und nicht nur zu dem Siebengestirn, sondern auch zu anderen Sternhaufen, die wiederum Grundlage sind für Berechnungen, wie groß das Universum wohl sein mag. Und dann kommt Hipparcos und behauptet, schon der Wert für die Plejaden sei falsch!

Ein Team von Astronomen um Xiaopei Pan vom California Institute of Technology hat nun einen neuen Zeugen in diesem Disput aufgerufen. Es handelt sich dabei um Atlas, den zweithellsten Stern der Plejaden. Genau genommen sind es zwei Sterne, die einander dicht umkreisen. Mit dem Palomar Testbed Interferometer haben die Wissenschaftler die Bahndaten ermittelt und mit Keplers dritten Gesetz seine Entfernung zur Erde berechnet – sie stimmte mit den alten Parallaxenwerten überein und sprach gegen Hipparcos.

Ist der Fall damit geklärt? Skeptiker schütteln den Kopf. Auch bei der neuen Arbeit gehen einige Annahmen in die Kalkulation ein, die man anzweifeln kann. Sicherheit wird also erst eine gänzlich unabhängige Messung bringen. Zum Glück ist die mit der Gaia-Mission bereits geplant. Durch sie werden wir vielleicht erfahren, wie groß das Universum wirklich ist.

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