Moderne Medizin: Medikamente über einen geschuppten Schlauch
Mit einem speziell geformten Plastikröhrchen lassen sich künftig vielleicht Medikamente direkt in den Magen-Darm-Trakt, die Atemwege oder andere schlauchförmige Organe abgeben. Wie, beschreibt nun ein Team des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology im Fachmagazin »Nature Materials«. Die Gruppe um Giovanni Traverso orientierte sich beim Design des Schlauchs an der japanischen Papierkunst Kirigami – anders als bei der reinen Falttechnik Origami wird hier das Papier auch geschnitten. Die Methode des Kirigami nutzte das Team, um aus einer flachen Plastikhülle schuppenförmige Nadeln zu schneiden, die sich aufstellen können.
Medizinisch gesehen handelt es sich bei dem Schlauch um einen Stent. Er besteht aus einer acht Zentimeter langen Gummiröhre, die sich mehrere Zentimeter in die Länge dehnen kann. Die Röhre wird von einer dünnen Plastikschicht umhüllt, die im Sinn des Kirigami entwickelt wurde: Eingefräst in den Plastikmantel sind kleine Schuppen mit einer Nadelspitze. Sie verleihen dem Stent eine schlangenartige Optik. In den Nadeln befinden sich Mikropartikel, die Medikamente transportieren.
Das Team um Traverso führte den Stent über einen Schlauch in die Speiseröhre von sedierten Schweinen ein. Sobald er an der richtigen Stelle saß, wurde etwas Luft hineingeblasen, wodurch er länger wurde und sich die schuppigen Nadeln aufstellten. Sie drangen etwa einen Millimeter tief in die Schleimhaut ein und gaben dort die Mikropartikel mit einem Kortisonpräparat ab. Nach zwei Minuten ließ das Team die Luft aus dem Stent wieder ab und entfernte ihn unkompliziert. Die Mikropartikel verblieben etwa eine Woche lang im Gewebe und schütteten kontinuierlich das Präparat aus.
Die Forscherinnen und Forscher steuerten, wie tief die Nadeln ins Gewebe stachen, indem sie die Dicke der Plastikumhüllung des Stents oder die Form der Schuppen variierten. In weiteren Versuchen schafften sie es zudem, in der Länge angepasste Stents in größere Blutgefäße und die Luftröhre einzuführen.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden meist mit Arzneimitteln wie Kortison behandelt, die das Immunsystem unterdrücken. Die Betroffenen nehmen diese Mittel entweder in Tablettenform oder als Infusion ein. Dadurch wirken die Präparate im ganzen Körper und verursachen teils schwer wiegende Nebenwirkungen. Mit Hilfe der Stents könnten die Medikamente am Zielorgan in hoher Dosis verabreicht und gleichzeitig die Nebenwirkungen im restlichen Körper reduziert werden.
Geht es nach dem Team, sollen künftig auch andere Medikamente über die Stents gegeben werden. Zudem will die Arbeitsgruppe ihre Methode an Patientinnen und Patienten testen. Ziel sei es, Heilmittel lokal zu verabreichen, die so lange wirksam bleiben, dass ein Erkrankter »über Wochen, wenn nicht gar Monate oder sogar Jahre behandelt wird«, sagt Traverso in einer Pressemitteilung.
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