Direkt zum Inhalt

Artenschutz: Mit Innovationen gegen die Barbarei

Die letzten Nashörner im südlichen Afrika sind in einer verzweifelten Lage. Die Nachfrage nach dem Horn auf den Schwarzmärkten Asiens ist enorm. Alle acht Stunden wird ein Nashorn von Wilderern attackiert. Nun versucht eine Gruppe von Wissenschaftlern und Privatunternehmern mit neuen Ideen und Methoden eine Kehrtwende im Kampf gegen die Wilderei herbeizuführen.
Tierärzte entfernen das Horn eines Nashorns, um es zu schützen

Die Wunde war so groß wie eine Tischplatte. Als Safari-Unternehmer Johan Lottering und seine Mitarbeiter im Mai 2015 im Lombardini Game Reserve in der Eastern-Cape-Provinz Südafrikas ein verletztes Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum) fanden, dachte niemand an eine Überlebenschance. Ein gigantisches blutendes Loch erstreckte sich von der Schnauze zu den Augen des weiblichen Nashorns und legte das gesamte System der Nasennebenhöhlen offen. "Die Brutalität war unglaublich. Neben ihm fanden wir ein totes Jungtier, vermutlich sein Kalb", sagt Lottering. Wilderer hatten das Nashorn zuvor mit Pfeilen betäubt und bereits das vordere der beiden Hörner komplett abgehackt. Als sie sich an das hintere Horn machten, wachte das Tier entweder auf oder etwas anderes veranlasste die Kriminellen zur Flucht. "Sie dachten wahrscheinlich, es würde einfach verbluten."

Doch das Nashorn, das später "Hope" getauft werden sollte, zeigte unglaublichen Überlebenswillen. Lotterings Männer schafften das zwei Tonnen schwere Tier zum nächsten Tierarzt, der seinerseits die Hilfsorganisation "Saving The Survivors" (Die Überlebenden retten) verständigte. Seitdem hat die Geschichte von Hope die Tiermedizin revolutioniert: Ein Team um die Veterinäre Johan Marais und Gerhard Steenkamp von der University of Pretoria erprobte an dem Nashorn erfolgreich Methoden aus der plastischen Chirurgie für Menschen.

Breitmaulnashörner | Ein Anblick, der leider immer seltener wird: drei ausgewachsene Breitmaulnashörner mit intaktem Nashorn.

In dem guten Jahr, das seit der Attacke vergangen ist, musste Hope zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen. Der neueste Eingriff bediente sich einer Technik, die sonst bei Bauchoperationen an Menschen zum Einsatz kommt. Bei der so genannten ABRA-Methode, einer Art Klebeverschlusssystem für das menschliche Abdomen, werden Elastikbänder dazu verwendet, die Ränder der Wunde zusammenzuziehen. So sieht Hopes Gesicht derzeit wie ein riesiger Basketballstiefel aus, denn die Bänder erinnern an zusammengezogene Schnürsenkel.

Es geht um jedes einzelne Tier

"Die Methoden funktionieren", sagt Marais. Hopes Wunde konnte im vergangenen Jahr um rund 60 Prozent geschlossen werden. "Es geht ihr gut, und wir sind zuversichtlich, dass wir Hope wieder in die Wildnis entlassen können, wenn alles verheilt ist." Der Veterinär betont, wie wichtig es sei, solche neuen Techniken zu erlernen. "Das Ziel ist nicht nur, Wilderei zu verhindern. Wir müssen auch neue Wege finden, um die verletzten Tiere zu retten." Die Erkenntnisse von Marais und seinen Kollegen werden nun Hopes Artgenossen nach Überfällen von Wilderern bessere Überlebenschancen geben. Bislang hat "Saving The Survivors" zehn Nashörner behandeln können. Neun haben überlebt.

Hope wurde so zu einer Symbolfigur im verzweifelten Kampf gegen die Ausrottung der Nashörner. Nach Angaben der Internationalen Naturschutzorganisation IUCN haben Wilderer seit 2008 über 6000 Nashörner getötet. Dabei starben 2015 so viele wie nie zuvor – allein 1175 in Südafrika, die meisten davon im Krügerpark. Das Land hat mit 70 Prozent der verbleibenden Nashörner die weltweit größte Population, was es zum Frontstaat im Kampf gegen die Wilderei macht. Die National Geographic Society schätzt, dass noch 4000 bis 5000 Spitzmaulnashörner (Diceros bicornis) und weniger als 20 000 Breitmaulnashörner existieren. Die Gesellschaft rechnet hoch, dass etwa alle acht Stunden ein weiteres Nashorn durch die Hände eines Wilderers stirbt.

Angetrieben wird das Abschlachten durch die enorme Nachfrage für Nashornpulver in Fernost, besonders in Vietnam und China. Dort kursieren Ammenmärchen über seine angebliche medizinische Wirkung, zum Beispiel als Potenz- oder Antikrebsmittel. Dabei besteht das Horn aus Keratin und ist in seiner chemischen Zusammensetzung am ehesten vergleichbar mit einem menschlichen Fingernagel. Auf dem Schwarzmarkt erzielt ein Kilogramm 80 000 US-Dollar, ein typisches Horn bringt dadurch rund 400 000 Dollar ein – Summen, die verarmte Menschen im südlichen Afrika in ihrem Leben nicht annähernd verdienen können, was die Versuchung zur Wilderei erklärt. Die größten Gewinne streichen jedoch die Hintermänner des Handels und nicht die Wilderer selbst ein.

Hunde gegen Wilderer | Speziell trainierte Hunde und Hundeführer kommen zunehmend gegen Wilderer zum Einsatz. Ein besonders erfolgreiches Tier konnte schon über 100 Kriminelle stellen.

Allianz gegen Wilderei

So wie die Veterinärchirurgen von "Saving The Survivors" kämpft deshalb eine ganze Reihe von Organisationen mit neuen Ideen um das Überleben der Nashörner. Manche Methoden sind kontrovers, andere teuer – etwa die Idee, die Tiere nach Australien auszufliegen, was etwa 60 000 US-Dollar für jedes evakuierte Nashorn kosten würde. Doch die schwindende Zahl der Nashörner unterstreicht, wie dringend Innovationen gebraucht werden. Alte Schutzmethoden greifen nicht mehr, weil die Wilderer sich angepasst haben. So bringt zum Beispiel das regelmäßige kontrollierte Enthornen der Tiere nicht mehr die gleichen Resultate. Wegen der enormen Preise töten die Täter Tiere selbst noch für den Stumpf des Horns. Und enthornte Nashörner werden sogar noch getötet, damit die Wilderer diese nicht versehentlich verfolgen.

Außerdem streiten sich die Experten, was mit dem so gewonnenen Horn geschehen soll. Wie beim Drogenhandel gibt es Argumente, dass eine Legalisierung des Nashornhandels den Kriminellen den Profit entziehen könnte. Gegner argumentieren, dass legales Nashorn den Schmugglern die Möglichkeit biete, ihr gewildertes Horn als sauber auszugeben. Der Journalist Julian Rademeyer bezweifelt, dass eine solche Legalisierung jemals stattfinden wird: "Für einen internationalen legalen Handel besteht derzeit überhaupt keine Chance. Es gibt zwar Ansätze in Südafrika, einen nationalen Markt zu legalisieren – aber da würde es keine Käufer geben, denn die gesamte Nachfrage kommt aus Asien."

Der Autor des Buches "Killing for Profit" (Morden für Profit) hat die illegalen Handelsrouten für gewildertes Nashorn in den vergangenen Jahren intensiv erforscht. Rademeyers detaillierte Dokumentation der Methoden dieser kriminellen internationalen Netzwerke ist sein Beitrag zur Rettung des Nashorns. "Nashorn ist auf dem Schwarzmarkt teurer als Gold oder Platin. Das ist ein Riesengeschäft, in dem sich hochgradig organisierte, skrupellose Verbrechersyndikate tümmeln", sagt Rademeyer. Demgegenüber stünden schlecht organisierte oder sogar korrupte nationale Gesetzeshüter entlang der typischen Schmuggelrouten. Es gebe auch entweder keine oder zu schwache internationale Zusammenarbeit: "Jegliche Verfolgung dieser Täter endet normalerweise an der jeweiligen Grenze."

Deshalb sind die klassischen Routen zu den Abnehmermärkten weiterhin intakt, zum Beispiel über Mosambik, Äthiopien und Hongkong zu den Kunden in Vietnam. "Außerdem spielt Osteuropa eine immer größere Rolle. Da die Behörden stärker auf Vietnamesen Acht geben, rekrutieren diese nun Schmuggler in Tschechien, der Slowakei, der Ukraine, Russland oder Polen", erläutert Rademeyer. Um diesen internationalen Handel möglichst effektiv zu unterbinden, versuchen südafrikanische Behörden, die Schmuggler bereits bei der Ausreise zu ertappen. Dabei haben sich speziell ausgebildete Hunde bewährt. So gehören zum Beispiel Deutsche Schäferhunde und Belgische Malinois bereits zum Alltagsbild an Johannesburgs internationalem Flughafen O.R. Tambo. Dort schnüffeln die vierbeinigen Spezialeinheiten an den Koffern der Fluggäste und finden neben Nashorn auch Elfenbein und andere illegale Waren der Wilderer. "Wir züchten speziell diese beiden Rassen, weil sie so vielseitig und unglaublich motiviert sind", sagt Nico De Klerk, ein Direktor des Militär-und Luftfahrtkonzerns Paramount.

Auf Patrouille | Anti-Wilderer-Einheiten können sich nur schwer bewaffnet ins Gelände wagen: Ihre Gegner sind überwiegend nicht mehr arme Bauern aus dem Umfeld der Parks, sondern hochgerüstete Verbrechersyndikate, die bisweilen sogar Raketen gegen Hubschrauber einsetzen.

Hunde gegen Schmuggler

Nur eine zweistündige Autofahrt von Johannesburg entfernt unterhält Paramount seine Hundeakademie "K9 Solutions". Es ist Trainingstag: Der Hubschrauber kreist niedrig über dem Grasfeld. Ein Mann im Kampfanzug seilt sich daraus ab. Mit einem Geschirr an der Hüfte des Mannes eingehängt, wartet ein Schäferhund regungslos, bis der Boden erreicht ist. Dann spannen sich die Muskeln des Tiers, und der Hund sprintet los. Es dauert nur wenige Sekunden, ehe der vermeintliche Wilderer erreicht und gestellt ist.

Die Akademie trainiert derzeit 60 Hunde, darunter 30 Welpen, hauptsächlich im Aufspüren und Verfolgen von Wilderern im Busch und im Ausschnüffeln der Schmuggelwaren. "Wir beginnen bereits mit neurologischen Stimulationsübungen für die Welpen nur drei Tage nach ihrer Geburt", sagt De Klerk. Das Training setzt sich fort, erst mit viel Spiel und Sozialisation; zwischen dem 12. und 18. Monat beginnt dann das ernste Training.

Dabei ist das Verhältnis zwischen Tier und Hundeführer sehr wichtig. Ein typischer Tag beginnt für diese Paare mit dem Säubern des Zwingers und Fütterung, dann Verfolgungstraining bis Mittag sowie Aufspüren und Bisstraining am Nachmittag. Die besondere Beziehung, die so zwischen Mensch und Hund entsteht, macht einen großen Teil der Erfolgsgeschichte aus. 80 Hunde und ihre Vertrauenspersonen haben in den vergangenen drei Jahren das Training an der Akademie erfolgreich absolviert. Sie jagen nun mit Erfolg Wilderer in den Nationalparks. So gehen rund 70 Prozent aller Festnahmen im Krügerpark mittlerweile auf Hunde zurück. Der erfolgreichste von ihnen, ein Malinois mit dem bezeichnenden Namen "Killer", hat in den vergangenen vier Jahren 115 Kriminelle gestellt. "Dafür hat Killer im Dezember sogar eine Medaille von Prinz Harry erhalten", berichtet Nico De Klerk.

Drohne für den Artenschutz | Mittlerweile setzen auch die Ranger immer stärker auf Hightech: Mit ferngesteuerten Drohnen können sie größere Gebiete überwachen und Wilderer auch in unwegsamem Gelände aufspüren.

Drohnen gegen Wilderer

Rob Hannaford hingegen setzt nicht auf Hundenasen, sondern Wärmesensoren. Der Mitgründer der Firma UAV and Drone Solutions (UDS) bastelt mit seinem Team in einem Keller in Johannesburg an aufwändigen Drohnen, die illegale Jäger auch dann noch verfolgen können, wenn Menschen und Hunde nicht mehr weiterkommen. "Drohnen helfen bei Aufgaben, die zu schmutzig, öde und gefährlich für Menschen sind", sagt Hannaford. 90 Prozent der Wilderei findet nachts statt, und die UDS-Drohnen fliegen in der Dunkelheit in Gebiete, in denen bemannte Flugzeuge nicht operieren können. "Es geht darum, die Ranger am Boden mit Nachtsicht aus dem Himmel auszustatten."

Dazu sind die Drohnen mit wärmeempfindlichen Kameras ausgestattet. Sie können von einer mobilen Kommandozentrale in einem Kleinbus aus bis zu 30 Kilometer Entfernung gesteuert werden. "Wir fliegen sie in rund 100 Meter Höhe – sie sind für die Kriminellen praktisch unsichtbar und unhörbar", so Hannaford. Dabei gehe es nicht nur um Aufspürung, sondern auch um Abschreckung. "Wo unsere Drohnen fliegen, geht die Wilderei dramatisch zurück. Die Kriminellen sagen sich 'Da ist etwas am Himmel, das können wir nicht einmal sehen' und ziehen erst gar nicht los."

Der Krügerpark ist mit 20 000 Quadratkilometer Fläche allerdings so groß wie Wales, und ohne Vorabdaten ist es für ein Drohnenteam unmöglich, Wilderer aufzuspüren. UDS hat deswegen sein eigenes Computerprogramm für ein Wahrscheinlichkeitsmodell entwickelt. Es kreiert intelligente Flugrouten aus Daten, welche die örtlichen Ranger sammeln, zum Beispiel wenn sie ein totes Nashorn gefunden haben. Rob Hannaford erklärt: "Wilderer sind Gewohnheitstäter. Sie operieren in denselben Gruppen und betreten den Park an ähnlichen Stellen zu ähnlichen Zeiten." Dies werde alles in einer Datenbank verwertet. "Dann wissen wir: Es wird zu einer bestimmten Uhrzeit in einer Ecke im Süden des Parks kritisch, wenn Vollmond herrscht. Dort schicken wir dann die Drohne hin."

Rob Hannafords Drohnen sind ein relativ neues Mittel im Kampf um das Überleben des Nashorns. An Statistiken zu ihrer Effektivität wird noch gearbeitet – aber immerhin können die Drohnenjäger schon auf Festnahmen verweisen. Bislang hat UDS nur drei Drohnenteams im Einsatz, im Krügerpark und im nördlichen Natal. Mehr von ihnen sollen schon bald am Himmel über den Parks patrouillieren. Wie seine Mitstreiter weiß auch Hannaford, dass es nicht eine einzige effektive Waffe gegen die Wilderei gibt, dass all diese Initiativen miteinander arbeiten sollten und koordiniert werden müssen: "Drohnen sind nur ein Mittel, um den Rangern zu helfen. Es gibt so viel mehr: bewachte Schutzzonen, Bodenradar und mehr. Und wir müssen vor allem auch mit den Dorfgemeinschaften vor Ort zusammenarbeiten."

Dem pflichtet auch Julian Rademeyer bei: "Es gibt isolierte Gemeinschaften in Mosambik, die praktisch nur von der Wilderei leben." Auch in Südafrika seien arme Dörfer entlang der Nationalparks vom Safarigeschäft praktisch immer noch ausgeschlossen. "Bislang sind diese Parks vorwiegend eine Spielwiese für eine weiße Mittel- und Oberschicht. Wenn es nicht gelingt, die einfachen Gemeinschaften einzubeziehen, wird es keinen Fortschritt geben." Der Erfolg dieser Bemühungen wird über das Überleben des Nashorns entscheiden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.