Biotechnik: Molekülschalter leiten Bildung von Spinnenseide ein
Bei der Herstellung ihrer Seide gelingt Spinnen ein erstaunlicher Balanceakt: Aus der Spinndrüse kommt ein Faden aus fest aneinander gebundenen und in Fibrillen hochgradig geordneten Proteinen. Doch bis dahin müssen diese Proteine trotz ihrer hohen Affinität zueinander zuverlässig in Wasser gelöst bleiben, anderenfalls würden ihre Fasern die Eingeweide des Tieres verstopfen.
Dass Spinnen diese widersprüchlichen Anforderungen meistern, macht ihre Seide zum Heiligen Gral der Biotechnologie. Es zeigt, welche Kunststücke mit Materialien aus dem Baukasten der Natur möglich sind, und wie wenig wir noch immer über diese bemerkenswerten Biomoleküle wissen. Nun aber haben Forscher möglicherweise die molekularen Schalter entdeckt, die aus dem Seidenprotein Seide werden lassen.
Der Ort der entscheidenden Veränderung ist die Spinndrüse. Dort strömt die hochkonzentrierte Proteinlösung zum Ausgang, wo sie als fester Faden schlussendlich austritt. Bekannt ist, dass sich die Bedingungen in der Spinndrüse zum Ausgang hin erheblich verändern und eine Reihe chemischer und mechanischer Stimuli zur Entstehung des Seidenfadens beitragen.
Alle Seidenproteine, Spidroine genannt, bestehen aus Abschnitten sich häufig wiederholender Aminosäurefolgen, die an Anfang und Ende des Moleküls von zwei im Verlauf der Evolution sehr stark konservierten Bereichen ohne Wiederholungen eingerahmt werden. Ein Forscherteam um Stefan Knight von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala konzentrierte sich auf eines dieser Enden der Aminosäurekette [1], an dem fünf Helixstrukturen eine funktionale Einheit bilden. Dazu erzeugten sie künstliche Spidroine die ganz ohne oder nur mit einer dieser Endkappen ausgestattet waren. Sie bemerkten, dass sich künstliche Spidroine mit repetitiven Fragmenten, denen der von ihnen aufs Korn genommene Schlussstein fehlte, grundsätzlich zu seidenartigen Makrostrukturen zusammenfinden, unabhängig von den Umgebungsbedingungen.
Wie die Wissenschaftler weiter entdeckten, reagieren rekombinierte Spidroin-Fragmente mit der endständigen funktionale Einheit auf Änderungen des pH-Wertes sehr stark: Bei sehr hohem oder sehr niedrigem pH-Wert bilden diese Mini-Spidroine wasserlösliche Dimere, die verhindern, dass sich die Moleküle zu größeren Strukturen zusammenlagern. Erst wenn sich der pH-Wert 6,3 annähert, gewinnt das Verbindungsbestreben der repetitiven Segmente die Oberhand und es bilden sich Seidenfilamente.
Die Forscher vermuteten, dass die Oberfläche des Moleküls ihre Struktur abhängig von den Umgebungsbedingungen ändert. Nur bei einer bestimmten Ladungsverteilung passen die Spidroin-Oberflächen zusammen wie Schlüssel und Schloss, und die zugleich festen und elastischen Fasern der Seide bilden sich. Auf der Suche nach der genauen Struktur, die für dieses Verhalten verantwortlich ist, stießen die Wissenschaftler auf zwei Aminosäuren, die nicht nur ausnahmslos in allen Spidroinen erhalten sind, sondern ihre Ladung mit dem pH-Wert ändern.
Auch die Struktur am anderen Ende der Spidroine spielt eine entscheidende Rolle, wenn sich die zuvor gelösten Seidenproteine zu faserigen Aggregaten zusammenfinden. Hier ist es die elektrostatische Anziehung zwischen verschieden geladenen Molekülteilen, die diese Proteine im löslichen Zustand zu Paaren verbinden, die jede Bildung von größeren Aggregaten unterbinden. Wie ein Team um Horst Kessler von der Technischen Universität München feststellte [2], verändert sich diese Eigenschaft jedoch abhängig von den in der Lösung vorhandenen Salzen. Wenn die Moleküle in die Spinndrüse eintreten, befinden sich plötzlich andere Ionen in der Lösung, die Ladungen besser abschirmen können.
Erstaunlicherweise ist es hier ein mechanischer Effekt, der die eigentliche Bildung der Seidenfaser einleitet: Tritt die hochkonzentrierte Proteinlösung in die Spinndrüse ein, zerren Scherkräfte die Struktur auseinander und entblößen hydrophobe Bereiche, über die einzelne Proteine stärker wechselwirken können.
Es sind also gleich mehrere Schalter chemischer und mechanischer Natur, die aus einer konzentrierten Proteinlösung einen Faden machen, der an Festigkeit selbst die besten Stähle übertrifft. Und noch eine Erkenntnis unterstreichen die neuesten Entdeckungen der Seidenforschung: Was ein Protein ist, hängt eben nicht nur von seiner Aminosäuresequenz und seiner räumlichen Struktur ab, sondern eben auch von der Umgebung, in der es sich befindet. Bewaffnet mit diesem Wissen wollen Forscher und Unternehmen jetzt die Spinndrüse künstlich nachbauen. (lf)
Dass Spinnen diese widersprüchlichen Anforderungen meistern, macht ihre Seide zum Heiligen Gral der Biotechnologie. Es zeigt, welche Kunststücke mit Materialien aus dem Baukasten der Natur möglich sind, und wie wenig wir noch immer über diese bemerkenswerten Biomoleküle wissen. Nun aber haben Forscher möglicherweise die molekularen Schalter entdeckt, die aus dem Seidenprotein Seide werden lassen.
Der Ort der entscheidenden Veränderung ist die Spinndrüse. Dort strömt die hochkonzentrierte Proteinlösung zum Ausgang, wo sie als fester Faden schlussendlich austritt. Bekannt ist, dass sich die Bedingungen in der Spinndrüse zum Ausgang hin erheblich verändern und eine Reihe chemischer und mechanischer Stimuli zur Entstehung des Seidenfadens beitragen.
Alle Seidenproteine, Spidroine genannt, bestehen aus Abschnitten sich häufig wiederholender Aminosäurefolgen, die an Anfang und Ende des Moleküls von zwei im Verlauf der Evolution sehr stark konservierten Bereichen ohne Wiederholungen eingerahmt werden. Ein Forscherteam um Stefan Knight von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala konzentrierte sich auf eines dieser Enden der Aminosäurekette [1], an dem fünf Helixstrukturen eine funktionale Einheit bilden. Dazu erzeugten sie künstliche Spidroine die ganz ohne oder nur mit einer dieser Endkappen ausgestattet waren. Sie bemerkten, dass sich künstliche Spidroine mit repetitiven Fragmenten, denen der von ihnen aufs Korn genommene Schlussstein fehlte, grundsätzlich zu seidenartigen Makrostrukturen zusammenfinden, unabhängig von den Umgebungsbedingungen.
Wie die Wissenschaftler weiter entdeckten, reagieren rekombinierte Spidroin-Fragmente mit der endständigen funktionale Einheit auf Änderungen des pH-Wertes sehr stark: Bei sehr hohem oder sehr niedrigem pH-Wert bilden diese Mini-Spidroine wasserlösliche Dimere, die verhindern, dass sich die Moleküle zu größeren Strukturen zusammenlagern. Erst wenn sich der pH-Wert 6,3 annähert, gewinnt das Verbindungsbestreben der repetitiven Segmente die Oberhand und es bilden sich Seidenfilamente.
Die Forscher vermuteten, dass die Oberfläche des Moleküls ihre Struktur abhängig von den Umgebungsbedingungen ändert. Nur bei einer bestimmten Ladungsverteilung passen die Spidroin-Oberflächen zusammen wie Schlüssel und Schloss, und die zugleich festen und elastischen Fasern der Seide bilden sich. Auf der Suche nach der genauen Struktur, die für dieses Verhalten verantwortlich ist, stießen die Wissenschaftler auf zwei Aminosäuren, die nicht nur ausnahmslos in allen Spidroinen erhalten sind, sondern ihre Ladung mit dem pH-Wert ändern.
Auch die Struktur am anderen Ende der Spidroine spielt eine entscheidende Rolle, wenn sich die zuvor gelösten Seidenproteine zu faserigen Aggregaten zusammenfinden. Hier ist es die elektrostatische Anziehung zwischen verschieden geladenen Molekülteilen, die diese Proteine im löslichen Zustand zu Paaren verbinden, die jede Bildung von größeren Aggregaten unterbinden. Wie ein Team um Horst Kessler von der Technischen Universität München feststellte [2], verändert sich diese Eigenschaft jedoch abhängig von den in der Lösung vorhandenen Salzen. Wenn die Moleküle in die Spinndrüse eintreten, befinden sich plötzlich andere Ionen in der Lösung, die Ladungen besser abschirmen können.
Erstaunlicherweise ist es hier ein mechanischer Effekt, der die eigentliche Bildung der Seidenfaser einleitet: Tritt die hochkonzentrierte Proteinlösung in die Spinndrüse ein, zerren Scherkräfte die Struktur auseinander und entblößen hydrophobe Bereiche, über die einzelne Proteine stärker wechselwirken können.
Es sind also gleich mehrere Schalter chemischer und mechanischer Natur, die aus einer konzentrierten Proteinlösung einen Faden machen, der an Festigkeit selbst die besten Stähle übertrifft. Und noch eine Erkenntnis unterstreichen die neuesten Entdeckungen der Seidenforschung: Was ein Protein ist, hängt eben nicht nur von seiner Aminosäuresequenz und seiner räumlichen Struktur ab, sondern eben auch von der Umgebung, in der es sich befindet. Bewaffnet mit diesem Wissen wollen Forscher und Unternehmen jetzt die Spinndrüse künstlich nachbauen. (lf)
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