News: Molekularbiologische Mördersuche
In seinem ursprünglichen Verfahren isolierte er aus Zellen das gesamte Erbgut, zerschnitt die langen, fädigen DNA-Moleküle mit Hilfe von Enzymen, trennte die Bruchstücke mittels der Gelelektrophorese auf und färbte die interessanten Bereiche spezifisch an. Den entstehenden Strichcode nannte der Forscher in Anlehnung an die "echten" Fingerabdrücke den "genetischen Fingerabdruck".
Das erste Mal konnte Jeffreys seine Methode 1985 einsetzen, um das Einwanderunggesuch eines Jungen aus Ghana zu prüfen. Der Zehnjährige wollte seine Mutter nach Großbritannien nachholen, konnte aber nicht beweisen, dass es sich bei der Frau auch wirklich um die leibliche Mutter handelte. Daher verglich Jeffreys den genetischen Fingerabdruck der Frau und dreier ihrer Kinder mit dem des Jungen. Hierdurch konnte er beweisen, dass die Frau tatsächlich die Mutter des Kindes war und die Familie zusammenführen.
Für Aufsehen sorgte auch die Identifizierung des Skeletts des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele, die Jeffreys mit Hilfe seiner Methode gelang. Sein Verfahren war so erfolgreich, dass Großbritannien als erstes Land damit begann, die genetischen Daten von Verurteilten zu speichern. 40 000 Fälle konnten mit Hilfe dieser Datei bereits aufgeklärt werden.
Mittlerweile ist der genetische Fingerabdruck eine der besten und sichersten Spuren für Kriminalermittler. Vor allem bei Kapitalverbrechen wie Mord oder Vergewaltigung kommen die Molekulargenetiker der Rechtsmedizin zum Zug. Denn oft hat ein vorsichtiger Täter alle sichtbaren Spuren wie Fingerabdrücke, Reifenspuren oder Kleidungsreste beseitigt. Dann sind winzige Mengen organischen Materials die einzigen brauchbaren Hinweise auf den Täter – mit ihnen hat er seinen "molekularen Personalausweis" am Tatort hinterlassen. Denn so einzigartig wie ein Fingerabdruck ist auch die Erbinformation, die sich in jeder einzelnen Zelle des Körpers befindet.
Jeffreys ursprüngliches Verfahren wurde in den letzten Jahren stark verfeinert und verbessert. Das Grundprinzip ist allerdings gleich geblieben. Für die alte wie auch die aktuelle kriminalistische Analyse ist nicht das ganze Genom, sondern nur bestimmte besonders variable Regionen interessant. Einige Bereiche der DNA sind über die Evolution sehr gut erhalten geblieben, weil sie entscheidende Informationen tragen. Eine winzige Veränderung in einem Gen, das für ein wichtiges Protein codiert, kann schon tödliche Folgen haben. Aber es gibt auch Bereiche, die im Laufe der Evolution eine besondere Variabilität zeigen. Nur diese Regionen ziehen die Kriminalisten heran, weil sich hier Unterschiede zwischen den verschiedenen Menschen feststellen lassen.
Besonders variabel sind die so genannten Mikrosatelliten, die aus kurzen Abfolgen von zwei oder vier Basen bestehen, welche sich viele Male wiederholen. Satelliten heißen sie, da sie sich anhand ihrer charakteristischen Dichte vom restlichen Genom abtrennen lassen: Sie sammeln sich bei einer Dichtegradientenzentrifugation nicht mit dem Großteil der DNA-Fragmente in einer Hauptbande, sondern bilden schmale Satelliten-Banden. Etwa zehn Prozent unseres Erbguts bestehen aus Satelliten-DNA, die vermutlich strukturelle Funktion hat, aber nicht für Proteine codiert. Die Anzahl der sich wiederholenden Basenabfolgen in den Mikrosatelliten und somit die Länge der DNA-Abschnitte unterscheiden sich zum Teil erheblich von Mensch zu Mensch und können daher für die molekulare Personenidentifizierung herangezogen werden.
Ausgangsmaterial für die Analyse sind Zellen, welche die Ermittler aus Blut- oder Spermaflecken, Speichelresten an Zigarettenstummeln oder Haaren gewinnen. Diese Zellen lösen die Wissenschaftler auf, trennen Proteine und Fette ab und isolieren das Erbgut. Schon winzige Mengen an Ausgangsmaterial reichen für eine Untersuchung aus, da die Erbinformation mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion millionenfach vervielfältigt werden kann. Gezielt können die Wissenschaftler so die interessanten Bereiche mit dieser "molekularen Kopiermaschine" in Massen reproduzieren. Die so entstehenden Kopien sind gemäß ihren Originalen unterschiedlich lang.
Um die Länge der DNA-Stücke zu ermitteln, füllen die Wissenschaftler das Gemisch in ein Gel, an dem Strom angelegt ist. Da die DNA-Moleküle eine negative Ladung besitzen, wandern sie zum elektrischen Pluspol, wobei sich große Fragmente langsamer bewegen als kleine. Am Ende dieses als Elektrophorese bezeichneten Verfahrens werden die nach Größe angeordneten DNA-Stücke im Gel spezifisch abgefärbt.
Von jedem Mikrosatelliten oder Merkmalssystem, wie die Rechtsmediziner es nennen, besitzt ein Individuum zwei Varianten, da das gesamte Genom in allen Zellen des Körpers in doppelter Ausführung vorhanden ist: Eine Hälfte stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Somit liegt auch jeder beliebige DNA-Bereich in zwei Varianten – so genannten Allelen – vor. "Fünf bis zehn solcher Systeme untersuchen wir pro Identifizierung – je nach Spurenlage –, um ein eindeutiges Ergebnis zu erhalten", erklärt der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Bonn, Burkhard Madea.
Für manche hypervariablen Regionen gibt es bis zu zehn unterschiedliche Allele. Für die Genomanalyse ziehen die Wissenschaftler ausschließlich die DNA-Regionen heran, die in möglichst vielen Varianten und mit möglichst gleichmäßiger Verteilung in der Bevölkerung vorkommen. Dass zwei Personen dieselben Allele an allen untersuchten DNA-Bereichen besitzen, ist in höchstem Grade unwahrscheinlich. So kommt eine bestimmte Allelkombination für die fünf Merkmalsysteme, die vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden standardmäßig untersucht werden, mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 100 Milliarden vor. Der Test identifiziert daher eine Person mit einer Sicherheit von weit mehr als 99,99 Prozent.
Wenn aber zu wenig Ausgangsmaterial vorhanden ist und somit zu wenig Zellen isoliert werden konnten, müssen die Wissenschaftler auf eine alternative Methode zurückgreifen: Sie untersuchen die Mitochondrien. Denn nicht nur der Zellkern enthält DNA, sondern auch diese Zellorganellen, die zu Zehntausenden in jeder Zelle vorkommen und deren Energieversorgung sicherstellen. Die mitochondrielle Erbsubstanz ist ein kurzes, ringförmiges DNA-Molekül, das hochkonserviert ist. Nur eine Region ist hypervariabel, weshalb sie für die Analyse herangezogen wird. Indem die Wissenschaftler die Sequenz dieses Bereichs bestimmen, können sie kleine Abweichungen in der Basenabfolge feststellen. Zumeist handelt es sich hierbei um Punktmutationen, also um die Veränderung einer einzigen Base an einer Stelle. Das Auftreten und die Häufigkeit dieser "kleinen Fehler" kennzeichnet den Träger der Erbinformation. "Allerdings ist dieses Verfahren weniger genau als der genetische Fingerabdruck", erklärt Jutta Becker vom Rechtsmedizinischen Institut der Universität Bonn. "Mit seiner Hilfe erfolgt eigentlich mehr ein Ausschluss von Personen als ihre genau Identifizierung."
Seit 1998 ist es auch in Deutschland gesetzlich erlaubt, die DNA-Daten von verurteilten Straftätern und Beschuldigten, die eines Kapitalverbrechens angeklagt sind, zu speichern. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein richterlicher Beschluss und die Prognose, dass der Straftäter rückfällig werden könnte. Die Datei des BKA umfasste nach Angaben eines Sachverständigen der Behörde im Februar 2001 etwa 90 000 DNA-Muster, davon 80 000 Personendaten und 10 000 Spurendaten. Jeden Monat kommen um die 4000 neue Datensätze hinzu. Seit Bestehen der Datenbank konnten in insgesamt 990 Fällen Spuren erfolgreich einer Person zugeordnet werden.
Durch den Mordfall Ulrike ist die Diskussion um die Gendatei wieder neu entbrannt. Politiker der CDU hatten gefordert, die Genprofile aller in Deutschland lebenden Männer zu erfassen. Dabei stießen sie aber auf den heftigen Widerstand der Datenschutzexperten sowie der Politiker von FDP, SPD und den Grünen. "Das ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren", sagte stellvertretend ein Regierungssprecher. Die Gegner von Zwangstests befürchten, dass zu viele genetische Informationen, wie etwa krankheitsauslösende Genfehler, in der Datenbank gespeichert würden. Dabei enthält ein Datensatz neben der reinen Identität und dem Geschlecht des Erfassten keinerlei Überschussinformationen. Das liegt daran, dass die untersuchten Genomabschnitte zu den 90 Prozent der Erbinformation gehören, die nicht in Proteine übersetzt werden. Genau wie ein echter Fingerabdruck sagt auch die kriminalistische DNA-Typisierung nichts über die Persönlichkeit oder den Gesundheitszustand eines Menschen aus.
Wie erfolgreich groß angelegte Tests sein können, zeigte sich 1998 im Fall der ermordeten Christina Nytsch: Damals gaben 18 000 Männer, die in der in Frage kommenden Region wohnten, freiwillig eine Speichelprobe ab. Unter den vielen Genprofilen stimmte eines mit dem des Mörders überein. Kurze Zeit später wurde der Mann verhaftet und gestand unter der Beweislast den Mord an dem elfjährigen Mädchen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.