Das Schmerzempfinden ist wie das Sehen oder Hören eine Form der Wahrnehmung, bei der der Körper Warnsignale aussendet. Als eine Art Augen und Ohren des Schmerzes fungieren spezialisierte
Schmerzrezeptoren. Sie reagieren auf Verletzungen des Gewebes und melden sie ans Rückenmark. Als Alarmsignal verwenden sie einen Eiweißstoff – die so genannte
Substanz P, benannt nach dem englischen Wort für Schmerz, Pain. P sorgt dafür, daß bestimmte Nerven die Warnung vom Rückenmark an das Gehirn weitergeben. Manchmal gerät das Schmerzsystem aber außer Kontrolle und ist andauernd aktiv. Solche chronischen Schmerzen haben die Alarmfunktion verloren und sind nur noch quälend für die Betroffenen. Helfen Medikamente nicht mehr, dann muß man das Übel an der Wurzel packen, meint Patrick Mantyh von der
University of Minnesota in Twin Cities. Sein Ansatz nutzt aus, daß nur die Schmerznerven einen speziellen Rezeptor für die Substanz P haben. "Wir haben die Substanz P mit einem Zellgift verbunden, das eine Zelle töten kann", erklärt Mantyh. "Wenn diese Kombination an den Rezeptor bindet, sterben die Zellen im Laufe einer Woche ab." Entscheidend sei, daß andere Zellen keinen Rezeptor haben, deshalb auch nicht abgetötet werden. Die vielversprechende Theorie konnte Mantyhs Arbeitsgruppe jetzt im Tierexperiment stützen. Ratten, die das Kombimolekül gespritzt bekommen hatten, kannten keinen Schmerz mehr und reagierten weder auf Verletzungen von Nerven noch auf Gewebeschäden, wie sie bei einer Entzündung auftreten. Der Effekt war umso größer, je höher die Dosis des Zellgiftes war, und blieb über Monate bestehen. Die Forscher planen, ihre Methode in weiteren Tierversuchen zu testen, bevor erste Versuche an Krebspatienten im Endstadium bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde beantragt werden sollen.
Der Schmerzforscher Professor Walter Ziegel-Gänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München warnte im Deutschlandfunk vor verfrühten Hoffnungen: "Ich glaube, daß der Ansatz im Moment noch sehr im Experimentierstadium ist. Patienten sollten auf diese Therapie noch nicht hoffen." Das Abtöten von Nervenzellen berge ein enormes Gefahrenpotential, so Ziegel-Gänsberger. Die Folgen seien noch nicht untersucht, weitere Komplikationen könnten nicht ausgeschlossen werden. Derzeit seien die erprobten Verfahren die beste Behandlung. Insbesondere empfiehlt Ziegel- Gänsberger einen liberaleren Umgang mit Opiaten. "Sie wirken hervorragend, ohne Nervenzellen abzutöten. Sie schützen sie sogar vor den enormen Schmerzreizen und verhindern die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses."
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