Biochemie: Molekularer Wirkmechanismus des Contergan-Wirkstoff aufgedeckt
Vor einem halben Jahrhundert erlangte das Beruhigungsmittel Contergan traurige Berühmtheit: Der enthaltene Wirkstoff Thalidomid verursachte bei ungeborenen Kindern Wachstumsstörungen an Gliedmaßen und inneren Organen. Seit 1961 ist der Effekt bekannt, doch seine Ursache war fast ein halbes Jahrhundert lang ungeklärt. Nun haben japanische Wissenschaftler einen Molekülkomplex identifiziert, der bei der fruchtschädigenden Wirkung von Thalidomid eine Schlüsselrolle spielt.
Einige Wirkungen des Medikaments sind bereits seit geraumer Zeit bekannt. Thalidomid hemmt das Wachstum von Blutgefäßen sowie die Produktion mehrerer Zytokine und wird wegen dieser Wirkungen auch heute noch als Medikament bei Lepra und multiplem Myelom eingesetzt. Außerdem ist der Stoff in der Lage, freie Radikale zu erzeugen, die Zellen schädigen können.
Allerdings reichen diese Effekte nicht aus, um die schweren Schäden zu erklären, die das Medikament an Embryonen anrichtet. Wissenschaftlern um Hiroshi Handa vom Tokyo Institute of Technology gelang jetzt in einer aufwändigen Studie, diese Lücke zu füllen. Sie zeigten, dass der Wirkstoff die Funktion eines Proteinkomplexes stört, der in Zebrafischen und Hühnern an der Entwicklung von Gliedmaßen und Fibroplasten beteiligt ist. Die Entdeckung gelang dank einer molekularen Angel: Mit thalidomidbesetzten Kunststoffkügelchen fischten sie im Extrakt menschlicher Zellen nach Molekülen, die fest an den Wirkstoff binden. Sie fanden das Protein Cereblon (CRBN).
Dieses CRBN bildet mit den Proteinen DDB1 und Cul4a den E3-Ubiquitinligasekomplex. Um herauszufinden, ob dieser Komplex für die Thalidomid-Wirkung eine Rolle spielt, stellten die Forscher eine Variante des CRBN her, das nicht mit dem Wirkstoff interagiert, aber trotzdem den E3-Komplex bildet.
Zebrafisch-Embryonen, die dieses Protein ausbildeten, wurden durch Thalidomid deutlich weniger geschädigt als Wildtyp-Embryonen, während Embryonen, in denen die Produktion des CRBN-Analogons gehemmt wurde, die gleichen Schäden wie durch Thalidomid selbst aufwiesen. Den endgültigen Nachweis, dass die Inaktivierung des E3-Komplexes der eigentliche Wirkmechanismus ist, erbrachten die Forscher, indem sie eine weitere Komponente des Komplexes ausschalteten. Das verursachte ebenfalls die für Thalidomid typischen Schäden.
Anschließend wandten die Wissenschaftler die am Zebrafisch gewonnenen Erkenntnisse auf das Huhn an, das ein sehr gut bekannter Modellorganismus für die Schadwirkung von Contergan ist. Hier bestätigten sich die ursprünglichen Ergebnisse: Auch das Hühner-CRBN bindet an Thalidomid, und umgekehrt wendete die nicht für Contergan empfindliche Proteinvariante auch in diesen Tieren die Schäden durch den Stoff weitestgehend ab.
Mit diesen Erkenntnissen ist das Rätsel Thalidomid allerdings noch längst nicht vollständig entschlüsselt. Denn wie die anderen Wirkungen auch ist die Interaktion mit CRBN nicht der alleinige Grund für die Contergan-Wirkung: Das Protein kommt in allen Geweben des menschlichen Körpers vor, während die Schäden in sehr spezifischen Zelltypen und nur zu bestimmten Zeiten auftreten. Noch muss geklärt werden, was diese Gewebespezifität bewirkt. Offen ist auch die Frage, ob Thalidomid allein oder auch eines seiner Abbauprodukte verantwortlich ist. Für die Wirkstoffforschung dagegen sind die gewonnenen Informationen höchst wertvoll, um vielleicht verwandte, aber nicht fruchtschädigende Verbindungen zu entwickeln. (lf)
Einige Wirkungen des Medikaments sind bereits seit geraumer Zeit bekannt. Thalidomid hemmt das Wachstum von Blutgefäßen sowie die Produktion mehrerer Zytokine und wird wegen dieser Wirkungen auch heute noch als Medikament bei Lepra und multiplem Myelom eingesetzt. Außerdem ist der Stoff in der Lage, freie Radikale zu erzeugen, die Zellen schädigen können.
Allerdings reichen diese Effekte nicht aus, um die schweren Schäden zu erklären, die das Medikament an Embryonen anrichtet. Wissenschaftlern um Hiroshi Handa vom Tokyo Institute of Technology gelang jetzt in einer aufwändigen Studie, diese Lücke zu füllen. Sie zeigten, dass der Wirkstoff die Funktion eines Proteinkomplexes stört, der in Zebrafischen und Hühnern an der Entwicklung von Gliedmaßen und Fibroplasten beteiligt ist. Die Entdeckung gelang dank einer molekularen Angel: Mit thalidomidbesetzten Kunststoffkügelchen fischten sie im Extrakt menschlicher Zellen nach Molekülen, die fest an den Wirkstoff binden. Sie fanden das Protein Cereblon (CRBN).
Dieses CRBN bildet mit den Proteinen DDB1 und Cul4a den E3-Ubiquitinligasekomplex. Um herauszufinden, ob dieser Komplex für die Thalidomid-Wirkung eine Rolle spielt, stellten die Forscher eine Variante des CRBN her, das nicht mit dem Wirkstoff interagiert, aber trotzdem den E3-Komplex bildet.
Zebrafisch-Embryonen, die dieses Protein ausbildeten, wurden durch Thalidomid deutlich weniger geschädigt als Wildtyp-Embryonen, während Embryonen, in denen die Produktion des CRBN-Analogons gehemmt wurde, die gleichen Schäden wie durch Thalidomid selbst aufwiesen. Den endgültigen Nachweis, dass die Inaktivierung des E3-Komplexes der eigentliche Wirkmechanismus ist, erbrachten die Forscher, indem sie eine weitere Komponente des Komplexes ausschalteten. Das verursachte ebenfalls die für Thalidomid typischen Schäden.
Anschließend wandten die Wissenschaftler die am Zebrafisch gewonnenen Erkenntnisse auf das Huhn an, das ein sehr gut bekannter Modellorganismus für die Schadwirkung von Contergan ist. Hier bestätigten sich die ursprünglichen Ergebnisse: Auch das Hühner-CRBN bindet an Thalidomid, und umgekehrt wendete die nicht für Contergan empfindliche Proteinvariante auch in diesen Tieren die Schäden durch den Stoff weitestgehend ab.
Mit diesen Erkenntnissen ist das Rätsel Thalidomid allerdings noch längst nicht vollständig entschlüsselt. Denn wie die anderen Wirkungen auch ist die Interaktion mit CRBN nicht der alleinige Grund für die Contergan-Wirkung: Das Protein kommt in allen Geweben des menschlichen Körpers vor, während die Schäden in sehr spezifischen Zelltypen und nur zu bestimmten Zeiten auftreten. Noch muss geklärt werden, was diese Gewebespezifität bewirkt. Offen ist auch die Frage, ob Thalidomid allein oder auch eines seiner Abbauprodukte verantwortlich ist. Für die Wirkstoffforschung dagegen sind die gewonnenen Informationen höchst wertvoll, um vielleicht verwandte, aber nicht fruchtschädigende Verbindungen zu entwickeln. (lf)
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