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Ökotoxikologie: Momentan noch keine Gefahr

"Killerpflanze auf dem Vormarsch" - so schreiben einige Zeitungen über die Ausbreitung des gelb blühenden Jakobskreuzkrauts (Senecio jacobaea) in Deutschland. Alles nur Panikmache oder tatsächlich ein Risiko für Mensch und Tier? Helmut Wiedenfeld, Pharmazeut an der Universität Bonn, erklärt im Gespräch mit spektrumdirekt, wie gefährlich die Pflanze ist und worauf wir zukünftig achten müssen.
Jakobskreuzkraut
spektrumdirekt: Herr Wiedenfeld, wie gefährlich ist das Jakobskreuzkraut tatsächlich?

Helmut Wiedenfeld: Es kommt wie immer auf die Dauer und Menge der Einnahme an, denn die einzelne Pflanze ist ungefährlich – sie stellt keine direkte Bedrohung für den Menschen dar. Selbst Kinder, die Jakobskreuzkräuter in den Mund nehmen, wären dadurch nicht gefährdet. Zum Problem wird das Gewächs erst, wenn es in Monokulturen vorkommt und beispielsweise Viehweiden massiv befällt. Das Jakobskreuzkraut enthält wie verwandte Arten, und auch einige Heilpflanzen, so genannte Pyrrolizidinalkaloide, die Lebergifte sind. Die starke Ausbreitung auf Weiden in den letzten Jahren hat vor allem zu Tiervergiftungen geführt – vornehmlich bei Pferden. Man geht gegenwärtig von bis zu 100 derart verursachten Todesfällen aus.

Jakobskreuzkraut | Ist auf dem Vormarsch: der Korbblüter Jakobskreuzkraut – mögliche Gesundheitsgefahren inklusive.
spektrumdirekt: Warum hat sich das Jakobskreuzkraut in letzter Zeit so stark ausgebreitet – die Pflanze ist schließlich keine eingeschleppte, sondern ein einheimische Art, die es schon immer hier gab?

Wiedenfeld: Das hat verschiedene Ursachen. Sehr förderlich war beispielsweise das Herbizidverbot, das die Pflanze ausnutzte. Früher brachte man an Bahndämmen, Brachflächen oder Straßenrändern Pflanzengifte aus; dies wurde mittlerweile ausgesetzt. Anschließend haben sich gerade solche Arten etabliert, die sehr genügsam sind wie die Kreuzkräuter. Sie konnten sich ideal ausbreiten.

Von offizieller Stelle wurden zudem Samenmischungen ausgegeben, um diese Leerflächen wieder zu begrünen und sie in blühende Landschaften zurückzuverwandeln, nachdem sie zuvor mit den Herbiziden behandelt worden waren. Diese Mischungen enthielten jedoch leider meist die Samen des Jakbobskreuzkrautes – so brachte man es also unnatürlicherweise aus.

spektrumdirekt: Wo kam die Pflanze ursprünglich vor?

Wiedenfeld: Sie wuchs auf ganz normalen trockenen Flächen wie Wegränder und dergleichen. Dort konkurrierte sie aber immer mit anderen Arten, so dass diese sich gegenseitig kurzhielten. Eine Monokultur war kaum denkbar, diese schuf erst der Mensch. Es hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, ob diese Samenmischungen eine Gefahr darstellen könnten, da die Pflanze hübsch gelb blüht. Zwar finden sich in diesen Saaten auch weitere Pflanzen, da die Kreuzkräuter aber sehr genügsam sind und früh stark aufwachsen, unterdrücken sie alle anderen Arten und überdecken sie.

spektrumdirekt: Wie sprang das Jakobskreuzkraut von diesen Brachflächen auf die Weiden über?

Wiedenfeld: Durch den Wind. Eine ausgewachsene Jakobskreuzkrautpflanze kann bis zu 150 000 Samen bilden, und je massiver sie auftritt, desto stärker ist auch die Ausbreitung. An überweideten Stellen, Viehtritten und Kahlstellen fand das Kreuzkraut dann ideale Bedingungen vor.

spektrumdirekt: Warum fressen Pferde oder Kühe überhaupt die Pflanze – normalerweise meiden die Tiere doch giftige Nahrung?

Wiedenfeld: Im Grunde gilt dies hier ebenso – die Tiere lassen ausgewachsene Exemplare stehen. Frische junge Pflanzen kann das Vieh jedoch nicht unterscheiden: Sie werden mitgefressen. In diesen neu austreibenden Rosettenblättern konzentriert sich das Gift, das letztlich von den Pferden aufgenommen wird.

spektrumdirekt: Besteht auch Gefahr, dass sich die Pflanze in Getreidefeldern ausbreitet und die menschliche Nahrung kontaminiert?

Wiedenfeld: Momentan sehe ich hier noch keine Gefahr – ich sage aber ganz deutlich: noch nicht. Die Blütezeit des Krauts und die Erntezeit des Getreides sind nicht gleich. Wenn das Jakobskreuzkraut abgeblüht ist, und dies geschieht lange vor der Ernte, werden die Pyrrolizidinalkaloide wieder in die Wurzel zurücktransportiert. Die oberirdische Pflanze ist dann praktisch giftfrei. Das Getreide wird außerdem maschinell geerntet, dadurch besteht kaum ein Risiko, dass Blüten oder Samen des Kreuzkrautes in das Korn eingebracht werden. Wir wissen aber bislang nicht, was passiert, wenn sich die Pflanze zukünftig auch in Getreidefeldern sehr stark ausbreitet.

spektrumdirekt: Sie warnen, dass das Toxin in die Milch oder den Honig übergehen könnte, wenn sich Kühe beziehungsweise Bienen vom Kreuzkraut ernähren. Wie hoch dürfte denn ein Grenzwert für den menschlichen Verzehr maximal sein?

Wiedenfeld: Heilpflanzen und deren Zubereitungen, die Pyrrolizidinalkaloide enthalten, dürfen nur dann in den Handel gebracht werden, wenn garantiert ist, dass die tägliche Aufnahme weniger als ein Mikrogramm beträgt. Während Schwangerschaft und Stillzeit darf man diese Mittel überhaupt nicht verwenden. Und die Dauer der Anwendung sollte sechs Wochen nicht überschreiten. Überträgt man diese Maßstäbe zum Beispiel auf Milchprodukte, müsste man praktisch eine Nulltoleranzgrenze festlegen, denn Milch trinken wir – und vor allem auch kleine Kinder – sehr oft.

spektrumdirekt: Stimmt es, dass das Jakobskreuzkraut bisweilen als Diabetesmittel verwendet wurde?

Wiedenfeld: Nein, das ist absolut dummes Zeug! Es hat überhaupt keine Bedeutung als Heilpflanze.

spektrumdirekt: Sie plädieren dafür, die Pflanze mit Gift zu bekämpfen und dafür das Herbizidverbot zu lockern?

Wiedenfeld: Die verantwortlichen Stellen stehen der Sache momentan relativ hilflos gegenüber. Es gibt zwar natürliche Feinde wie den Jakobsbär – das ist eine gelbe Schmetterlingsraupe, die daran frisst. Doch ich bin ganz ehrlich: Das funktioniert nicht, denn diese Raupe hat nichts daran geändert, dass sich das Kraut ausbreitet. Mann müsste diese Insekten so massiv ausbringen, dass sie wahrscheinlich selbst Probleme verursachen. Ich halte davon gar nichts.

Es gibt dagegen sehr wirkungsvolle Herbizide, die von konventionell wirtschaftenden Bauern auch problemlos ausgebracht werden können. Für Biolandwirte ist das hingegen nicht möglich – sie müssten die Pflanzen einzeln ausreißen. Ich weiß aber nicht, wie das funkionieren soll. Deshalb sage ich, dass man über das Herbizidtabu nachdenken muss.

spektrumdirekt: Herr Wiedenfeld, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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