Chang'e-5: Auf der Suche nach dem Ursprung der Mondvulkane
Bis vor Kurzem hat sich der chinesische Geochronologe Li Xian-Hua hauptsächlich für irdische Gesteine interessiert. Das änderte sich jedoch, als eine chinesische Raumsonde im Dezember 2020 die ersten Gesteinsbrocken vom Mond nach China brachte. Seither untersucht Li Mondgestein und ist begeistert: »Ich bin ein ganz anderer Mensch, ich beschäftige mich jetzt mit extraterrestrischem Material«, sagt Li, der am Institut für Geologie und Geophysik (IGG) der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking tätig ist.
Li ist einer von vielen Planetenforschern in China, die nun erstmalig die Gelegenheit haben, Mondgestein zu untersuchen. Die von der Raumsonde Chang'e-5 gesammelten Proben sind die ersten, die seit den Apollo-Missionen der NASA und den Luna-Missionen der Sowjetunion vor mehr als 40 Jahren zur Erde gebracht wurden. Sie sollen dabei helfen, neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Erdtrabanten zu gewinnen.
Und die chinesischen Wissenschaftler machen eifrig von dieser Gelegenheit Gebrauch: Allein zwischen Oktober 2021 und März 2022 veröffentlichten sie etwa ein halbes Dutzend Arbeiten über die Proben von Chang'e-5. Auf der Lunar and Planetary Science Conference in Houston Anfang 2022 wurden in einem Workshop über Chinas Mondmissionen sogar rund ein Dutzend Studien vorgestellt. »Es gibt viele junge chinesische Forscher, die sich engagieren«, sagt der Geowissenschaftler Clive Neal von der University of Notre Dame in Indiana, der zusammen mit Forschenden in China an den Chang'e-5-Proben gearbeitet hat. Die Gesteine seien auch deshalb spannend, weil sie »ein Fenster in eine ganz andere Ära des Mondmagmatismus« öffneten als die bis dahin gesammelten Mondproben, erklärt Neal.
Jüngeres vulkanisches Material
Während der Chang'e-5-Mission wurden 1,7 Kilogramm loses vulkanisches Material – Basalt genannt – aus einer riesigen Lavaebene namens Oceanus Procellarum im nördlichen Teil des Mondes geborgen. Der Ort wurde unter anderem deshalb ausgewählt, weil man davon ausging, dass sich hier jüngeres vulkanisches Material befindet als in den Gebieten, die von den Luna- und Apollo-Missionen untersucht worden waren. Ein jüngerer Standort, so hoffe man, könnte vielleicht Aufschluss über eine Zeit geben, in welcher der Mond zwar schon abgekühlt, aber immer noch vulkanisch aktiv war.
Im Juli 2021 gab die Nationale Chinesische Raumfahrtbehörde die ersten Proben zur Untersuchung frei. Etwa 17,5 Gramm feinkörniges Pulver und festes Gestein wurden auf 31 wissenschaftliche Projekte verteilt, die aus 85 Bewerbungen ausgewählt worden waren. Es folgten mehrere weitere Bewerbungsrunden für die Arbeit mit den Mondproben.
Im ersten Schritt versuchten die Teams zunächst, die Gesteinsproben zu datieren. Am 7. Oktober 2021 meldete eine Arbeitsgruppe, die Basalte seien rund 1,96 Milliarden Jahren (plus/minus 57 Millionen Jahre) alt. Weniger als zwei Wochen später bestätigte ein anderes Team – dem auch Li angehört – diese Daten und schätzte das Alter der Proben auf 2 Milliarden Jahre (plus/minus 4 Millionen Jahre).
Die Ergebnisse zeigen, dass sich auf dem Mond auch fast eine Milliarde Jahre, nachdem seine vulkanische Aktivität ihren Höhepunkt erreicht hatte, noch Vulkanausbrüche ereigneten. Doch was genau diese vulkanische Aktivität einst auslöste, ist bislang unklar. Eine bis dahin führende Theorie ging auf Basis von Satellitenbeobachtungen davon aus, Wärme produzierende radioaktive Elemente wie Kalium und Thorium, die im Mondmantel gefunden wurden, könnten den Vulkanismus angetrieben haben. Als jedoch ein anderes Team am IGG die Mondbasalte untersuchte, stellte es fest, dass der hohe Gehalt dieser Elemente wohl nicht die Ursache war.
Eine weitere Theorie besagt, dass der Mantel eventuell genügend Wasser enthielt, um die Schmelztemperatur der Minerale zu senken. Das könnte den Ausbruch des Magmas erleichtert haben. Lin Yangting, Planetenforscher am IGG, und seine Kollegen stellten jedoch fest, dass das Mondgestein wahrscheinlich aus einer relativ trockenen Quelle stammt.
Woher kommt die Wärme des Mondvulkans?
Auch Weibiao Hsu, Planetengeochemiker am Purple Mountain Observatory, CAS, in Nanjing, China, rätselt bis heute über die Wärmequelle der Mondvulkane. Hsu hat zwei Basaltsplitter für seine Forschung erhalten und will erforschen, ob ein genauerer Blick auf diese Basalte zeigen kann, dass sie tatsächlich durch Wärme produzierende Elemente entstanden sein könnten. Schließlich basiert die kürzlich von Lins Team veröffentlichte Studie auf Bodenproben, die viele verschiedene Minerale enthalten. Hsu zufolge weisen die Gesteine einen hohen Anteil an Titan auf, was darauf schließen lässt, dass sie aus den Tiefen des Mondmantels stammen.
»Vor 20 bis 30 Jahren war dies nur ein Traum. Jetzt ist er wahr geworden«
Li Xian-Hua, Geochronologe
»Wir gehen allen Möglichkeiten nach«, sagt Ming Tang, Geochemiker an der Universität Peking, der zwei winzige Körnchen Basaltgestein erhalten hat. Er will sie analysieren, um den Druck und die Temperatur besser zu verstehen, unter denen sie entstanden sind. Die Analyse der Proben ist eine Premiere für Tang, der zuvor Magma aus irdischen Vulkanen untersucht hat. »Es ist eine gute Gelegenheit für mich und viele andere chinesische Wissenschaftler, die ihr Fachgebiet erweitern wollen«, sagt Tang.
Bisher gibt es zahlreiche Theorien über die Wärmequellen des Mondes. Hsu ist optimistisch, dass die vielen Forschergruppen das Rätsel lösen und weitere Erkenntnisse über den Mond gewinnen werden. Die Chang'e-5-Proben haben dem Forschungsgebiet neuen Aufschwung verliehen: 2022 habe sein Labor mehr Bewerbungen von Studenten erhalten, die am Graduiertenprogramm teilnehmen wollten, als es unterbringen konnte. »Das war bisher noch nie der Fall«.
Lin erwartet, dass sich sogar noch mehr Forscher engagieren werden. Innerhalb des kommenden Jahrzehnts will China eine neue Mission zum Mond starten, um Proben zum Südpol zu erhalten – und eine weitere zum Mars. »Vor 20 bis 30 Jahren war dies nur ein Traum. Jetzt ist er wahr geworden«, sagt Li.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.