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Raumfahrt: Das kostbare Eis des Mondes ist bedroht

Die vereisten Pole des Mondes sind ebenso spannend wie fragil. Weil gleich mehrere Missionen das Eis vor Ort untersuchen sollen, stellt sich die Frage: Wie bleiben die Proben trotz vieler Besucher rein?
Bislang hat keine Raumsonde jemals direkt die Pole des Mondes und das dort gespeicherte Eis erforscht.

China ist es gelungen, Proben vom Mond zurück zur Erde zu bringen. Chang'e-5 absolvierte den ersten erfolgreichen Roundtrip zum Erdtrabanten seit vielen Jahren, zahlreiche weitere sollen in naher Zukunft folgen. Mindestens acht Raumsonden aus Ländern wie Russland, Indien, China, Japan und den Vereinigten Staaten sollen in den kommenden drei Jahren auf der Oberfläche des Mondes landen.

Zum ersten Mal überhaupt werden einige der anstehenden Missionen die wissenschaftlich interessantesten und zugleich zerstörungsanfälligsten Bereiche des Mondes erforschen: die Pole. Dort liegt in schattigen Kratern gefrorenes Wasser, auf das Forscherinnen und Forscher besonders gespannt sind. Sorgen macht ihnen aber, dass eben dieses Eis im Zuge des wachsenden Besucherstroms zum Mond verunreinigt wird, bevor sie die Chance haben, es zu analysieren.

Das Eis ist für die Teams aus verschiedenen Gründen wichtig. Unberührte Proben können Hinweise darauf liefern, wie und wann sich auf Erde und Mond vor Milliarden von Jahren Wasser angesammelt hat. Theoretisch ließe das Eis sich aber auch als Treibstoff für Raketen auf zukünftigen Mondbasen abbauen.

Die schwierige Entscheidung, die es nun zu treffen gilt: Fängt die Menschheit sofort an zu graben oder geht sie langsam vor, um die im Eis verschlüsselten wissenschaftlichen Aufzeichnungen sorgfältig zu bewahren?

Mehrere Lander sollen zum lunaren Südpol

»Im Moment gibt es einige Wissenschaftler, laut denen wir nicht in die Nähe des Eises gehen sollten, weil wir es ruinieren werden«, sagt Clive Neal, ein Geowissenschaftler an der Universität von Notre Dame in Indiana. »Und andere sagen, es werde gebraucht, also würde man es sich einfach holen.« Das Problem muss bald gelöst werden.

»Wir sind in der Pflicht, zukünftigen wissenschaftlichen Untersuchungen nicht zu schaden«
Lisa Pratt, Planetenschutzbeauftragte der NASA

Anfang Januar 2021 haben die einflussreichen US National Academies of Sciences, Engineering and Medicine (NASEM) in einem Bericht argumentiert, dass die Raumfahrtbehörden Prioritäten setzen müssen. Das internationale Komitee für Weltraumforschung (COSPAR), das festlegt, wie der Weltraum am besten zu erforschen ist, hat die Situation ebenfalls bewertet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen in den kommenden Monaten entscheiden, ob es neue Richtlinien für Raumfahrzeuge geben wird, die zum Mond fliegen. Die NASA will wohl auf die Entscheidung von COSPAR warten, um anschließend ihre eigenen Vorschriften für einen verantwortungsvollen Besuch des Mondes zu aktualisieren.

Während immer mehr Nationen den Mond ergründen, »sind wir in der Pflicht, zukünftigen wissenschaftlichen Untersuchungen nicht zu schaden«, sagt Lisa Pratt, die Planetenschutzbeauftragte der NASA, die in der Zentrale der Behörde in Washington D. C. sitzt. Die Frage sei: »Wie machen wir es richtig?«

Mögliche Kurskollision der Nationen

Keine Raumsonde hat jemals direkt die Pole des Mondes und das dort gespeicherte Eis erforscht. Die einzige Mission, die in die Nähe kam, war Indiens Vikram-Lander, der 2019 etwa 600 Kilometer vom Mondsüdpol entfernt abstürzte, statt aufzusetzen und die Oberfläche zu untersuchen. Für die nahe Zukunft sind jedoch einige Besuche angedacht.

China beispielsweise plant mit der Chang'e-6-Mission, den Südpol des Mondes zu besuchen. Schon im Jahr 2023 könnte das Gefährt Eis und Gestein aufsammeln und zur Erde zurückbringen. Es wäre der Nachfolger von Chang'e-5, der im vergangenen Dezember Gesteinsbrocken aus den mittleren Breitengraden des Mondes gesammelt hat. Japan und Indien haben ebenfalls über eine Robotermission zum Mondsüdpol diskutiert, genauso Russland und Europa.

VIPER | Der Volatiles Investigating Polar Exploration Rover (VIPER) der NASA soll den Weg für eine neue Ära bemannter Missionen zur Mondoberfläche ebnen.

Und dann ist da noch die NASA. Unter US-Präsident Donald Trump hat die Behörde eine Reihe von Missionen zum Mond vorbereitet, die sich auf die Pole konzentrieren. Nach den derzeitigen Plänen würde die NASA im Jahr 2022 zwei Landeroboter zum Südpol schicken, gefolgt von einem größeren robotischen Rover namens VIPER im Jahr 2023. Er soll seinen einen Meter langen Bohrer in den Mondboden versenken, um nach Eis zu schürfen. Bereits im darauffolgenden Jahr würden – sofern der Plan gelingt – Menschen ankommen und beginnen, Eiskrater zu erkunden. Ein Ziel könnte sein, Eis zu sammeln und es, noch gefroren, zur Untersuchung in Labore auf der Erde zurückzufliegen, heißt es in einem NASA-Bericht von Ende 2020.

Wie kam das Wasser auf den Mond?

Die Gefahr, dass Forscherinnen und Forscher das Mondeis verunreinigen könnten, war vor fünf Jahrzehnten, als die Apollo-Astronauten als erste Menschen die Mondoberfläche betraten, nicht präsent. Damals galt der Mond noch als knochentrocken. Erst in den vergangenen zehn Jahren hat sich herausgestellt, dass es an vielen Stellen Wasser gibt, unter anderem eingefroren in dunklen Polkratern. Wissenschaftler haben sogar an mindestens einer sonnenbeschienenen Stelle des Mondes Wasser gefunden, das in Mineralen in der sonst trockenen Erde enthalten ist.

All dieses Wasser könnte durch Asteroiden oder Kometen auf den Mond gelangt sein, oder durch den Sonnenwind, der seine Oberfläche bombardiert. Einiges davon könnte aus dem Inneren des Mondes stammen, ausgespuckt in vulkanischen Eruptionen aus einem wasserreichen Inneren. Unabhängig von seiner Quelle enthält das Wasser wichtige wissenschaftliche Informationen.

»Die Geschichte des Mondwassers liefert viele Hinweise darauf, wie sich das Sonnensystem im Lauf der Zeit entwickelt hat«
Ariel Deutsch, Planetenforscher

Das Eis in den sonnenlichtarmen Kratern an den Mondpolen, so eine Vermutung, habe sich über Milliarden von Jahren angesammelt. Wenn dem so ist, enthält es nicht nur Aufzeichnungen über die frühe Geschichte des Mondes, sondern auch über die der Erde. Der Mond bildete sich wahrscheinlich, als ein riesiges Objekt vor etwa 4,5 Milliarden Jahren auf die neugeborene Erde prallte und dabei Trümmerteile aufwirbelte, die zum Mond verschmolzen und ihre Geschichte eng miteinander verknüpften. Auf der Erde hat die geologische Aktivität, einschließlich der Plattentektonik, einen Großteil der Aufzeichnungen über die frühe Geschichte des Planeten ausgelöscht. Aber auf dem Mond gibt es keine solche Aktivität – ein perfektes Studienobjekt.

»Die Geschichte des Mondwassers liefert viele Hinweise darauf, wie sich das Sonnensystem im Lauf der Zeit entwickelt hat«, sagt Ariel Deutsch, ein Planetenforscher am Ames Research Center der NASA in Moffett Field, Kalifornien.

Wasserdampf von Raketen könnte den Mond kontaminieren

Wegen der wissenschaftlichen Bedeutung des Mondeises ist Vorsicht geboten. Um besser planen zu können, haben Teams beispielsweise die möglichen kontaminierenden Auswirkungen von Raketenabgasen auf die gefrorenen Speicher untersucht.

Parvathy Prem, Planetenforscherin am Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory in Laurel, Maryland, und Kollegen simulierten kürzlich einen mittelgroßen Lander, der bei 70 Grad Süd auf dem Mond ankommt – einige hundert Kilometer von den eisgefüllten Kratern des Südpols entfernt. Die Simulation zeigte, dass eine Rakete zwar nicht viel Wasser freisetzen würde, aber das Wasser, das sie freisetzt, würde sich überall auf dem Mond verteilen und dort für einige Zeit verbleiben. Selbst nach zwei Mondtagen – zwei Monaten auf der Erde – wären noch etwa 30 bis 40 Prozent des von der Rakete freigesetzten Wassers vorhanden, meist gefroren auf der Nachtseite des Mondes. »Die wichtigste Erkenntnis war, dass der Wasserdampf wirklich überall hinkommt«, sagt Prem. Das Polareis des Mondes wurde also bereits von früheren Entdeckern kontaminiert.

Die COSPAR hat Hunderte von Planetenforscherinnen und -forschern befragt, wie sehr sie sich um die Pole sorgen. Mehr als 70 Prozent der Befragten im Jahr 2020 fürchteten, die Kontamination könne die wissenschaftlichen Aufzeichnungen im Eis des Mondes beeinträchtigen, sagt Gerhard Kminek, der Planetenschutzbeauftragte der Europäischen Weltraumorganisation in Noordwijk, Niederlande, und stellvertretender Vorsitzender des COSPAR-Planetenschutzkomitees.

In einem Whitepaper, das der NASA vorliegt, schlagen 19 Wissenschaftler, darunter Prem und Deutsch, eine Mission zu einem Schattenkrater an einem der Mondpole vor. Ziel von »Origins-first« wäre es, einigermaßen unberührte Eisproben zu sammeln, bevor der Verkehr zum Mond zunimmt, um genau zu bestimmen, wie sich das Eis dort im Lauf der Zeit angesammelt hat. Eine solche Mission würde verraten, wie wertvoll die wissenschaftliche Aufzeichnung des Eises ist und ob Bergbauaktivitäten verschoben werden sollten, sagt Esther Beltran, eine Raumfahrtwissenschaftlerin an der University of Central Florida in Orlando und Mitautorin der Studie.

Die NASA hat derzeit keine Mittel für solch eine Mission vorgesehen und plant weiterhin, mehrere Raumfahrzeuge zu den Polarregionen des Mondes zu schicken. Aber man habe die Bedenken wahrgenommen und beabsichtige, sich vorsichtig zu bewegen, sagt Pratt, die Beauftragte der Agentur für den planetaren Schutz.

Kompromissvorschläge: Nur einen Pol bereisen oder Sperrzonen einrichten

In den aktuellen Richtlinien fordert COSPAR die Nationen auf, eine Liste aller organischen Materialien – wie Kohlenstoffverbundstoffe, Farben und Klebstoffe – an Bord von Missionen zum Mond zu führen. Eine solche Liste helfe, Bedenken über Kontaminationen zu zerstreuen, erklärt Kminek, da diese verrät, welches von Menschen hergestellte Material in die Umgebung gelangt.

Künftig könnten die Missionsplaner zudem die Gase auflisten, die Raketen oder Lebenserhaltungssysteme ausstoßen würden. Relevante Akteure, darunter die chinesische Raumfahrtbehörde und kommerzielle Unternehmen wie SpaceX und Blue Origin, diskutieren mögliche Änderungen mit COSPAR, sagt Kminek.

Währenddessen mahnen andere vor übertriebener Zurückhaltung. Der Dampf der Raketenabgase würde sich nur als dünne Schicht auf dem obersten Teil der Mondoberfläche absetzen, argumentiert etwa Geowissenschaftler Neal – es würde also nicht viel Arbeit machen, darunter zu graben, um ungestörtes Eis zu erreichen. Auch die Autoren des NASEM-Berichts schreiben, das Risiko, vergrabenes Eis zu verschmutzen, sei gering. Und Kevin Cannon, ein Planetenforscher an der Colorado School of Mines in Golden, ist der Meinung, die wissenschaftlichen Fortschritte würden die geringen Mengen an Verunreinigungen aufwiegen. Cannon hat kartiert, wo sich die größten, am besten zugänglichen Eisvorräte befinden könnten (siehe »Lunare Eisspeicher«).

Ein Kompromissvorschlag ist, einen der Mondpole für die Wissenschaft zu erhalten und den anderen für den Bergbau und die Erforschung zu öffnen. Ein anderer, eine Sperrzone für einige der eisgefüllten Krater zu definieren. Manche sind bloß winzige Gruben, kleiner als eine menschliche Hand, andere haben einen Durchmesser von zehn Kilometern. Nicht alle müssen erforscht werden.

Entscheidend sei letztlich, viele Möglichkeiten offen zu lassen, sagt Prem. »Wer weiß, was für eine Art von Wissenschaft die Generationen in der Zukunft machen wollen?«

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