Direkt zum Inhalt

Kenia: Monumentalfriedhof für Gleiche unter Gleichen

Großbauwerke galten seit jeher als Zeichen für eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft. Die ersten Hirtenkulturen im heutigen Kenia widerlegen diese Ansicht.
Schmuck aus den Bestattungen

Vor rund 5000 Jahren errichteten die ersten Hirten in der Gegend um den kenianischen Turkanasee einen monumentalen Friedhof: Auf einer Anhöhe erzeugten sie eine Plattform von 30 Meter Durchmesser, in deren Mitte sie eine Vertiefung gruben. Steinsetzungen am Rand markierten die Anlage in der Landschaft, teils wurden Felsbrocken aus über einem Kilometer Entfernung herbeigeschafft. Geschätzt mindestens 580 Personen wurden im Lauf der Jahrhunderte in dieser Anlage und kleineren Ablegern in der näheren Umgebung beigesetzt. Rund 700 Jahre lang war der Friedhof in Betrieb.

Die kreisrunde Anlage hat einen Durchmesser von rund 30 Metern | Neben dem zentralen Steinkreis finden sich in der direkten Umgebung kleinere Versionen sowie Hügelgräber.

Das Bemerkenswerte an den Funden in der Lothagam North Pillar genannten Anlage ist das völlige Fehlen von Hinweisen auf eine soziale Hierarchie der Bestatteten: Unter den Toten fanden sich unterschiedslos alle Mitglieder der damaligen Gesellschaft, kein Individuum war in irgendeiner Form herausgestellt, etwa durch besonderen Schmuck, Grabbeigaben oder die Lage des Grabs. Offenbar sei die Hirtenkultur, die die Anlage schuf, weitgehend egalitär gewesen, so das Forscherteam um Elisabeth Hildebrand von der Stony Brook University in New York, das seine Ergebnisse nun im Fachmagazin »PNAS« publiziert.

Anders als Forscherkollegen in der Vergangenheit häufig angenommen hätten, bedürfe es demnach keiner gesellschaftlichen Schichtung, um im großen Stil gemeinschaftlich bauen zu können. Tatsächlich unterscheidet sich die nomadische Hirtenkultur, die den Friedhof anlegte, grundlegend von den prototypischen Baumeistern monumentaler Architektur – Gruppen, die sesshaft leben, rasch wachsen und Anspruch auf ein Gebiet erheben.

Was die Hirten, die erst kurz zuvor in die Region eingewandert waren, dazu bewog, die Begräbnisstätte anzulegen, ist offen. Die Forscher vermuten jedoch einen Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen. Als die Anlage geschaffen wurde, endete eine lang anhaltende Feuchteperiode, die Landschaft war in beständigem Wandel begriffen, der Turkanasee schrumpfte auf die Hälfte. Für die Menschen, die mit und von ihren Ziegen-, Schaf- und Rinderherden lebten, muss dies einen andauernden Anpassungsdruck bedeutet haben. Die Anlage könnte ihnen als fixe Anlaufstelle gedient haben, an der soziale Bindungen geknüpft und die Gruppenidentität geschärft wurde, so die Forscher.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.