»Moonfall«: Mond auf Abwegen
Roland Emmerich muss man eigentlich nicht mehr vorstellen. Der deutsche Regisseur und Produzent hat erst in Deutschland, dann in Hollywood Karriere gemacht. Kein anderer Regisseur schwingt in seinen Filmen so virtuos die ganz große Abrissbirne. In seinem Film »Independence Day« von 1996 ließ er riesige Ufos die Hauptstädte der Welt zerstören. Leider hatten die Aliens ihre Rechnersysteme nicht besonders gut gegen Hacker abgesichert, und so obsiegte die Menschheit dank ihrer hoch entwickelten Fähigkeit zur Computersabotage.
Sollte allerdings das Klima verrücktspielen, wie in Roland Emmerichs Welterfolg »The Day after Tomorrow« von 2004, hilft das auch nicht mehr. Vor der Kulisse einer plötzlich hereinbrechenden neuen Eiszeit müssen mehrere amerikanische Durchschnittsbürger über sich hinauswachsen, um ihre Angehörigen zu retten.
Wenige Jahre später machte eine angebliche Maya-Prophezeiung in den Medien die Runde: Weil der Maya-Kalender im Jahr 2012 abbricht, drohe in jenem schicksalhaften Jahr das Ende der Welt. Emmerich inspirierte diese (inzwischen überlebte) Befürchtung zu seinem Film »2012 – das Ende der Welt«, der im November 2009 Premiere feierte. Thema ist eine Aufheizung des Erdinneren, die zu Überschwemmungen und Erdbeben biblischen Ausmaßes führt.
Eigentlich lässt sich das kaum noch steigern – sollte man meinen. Aber Emmerichs neuester Kinofilm »Moonfall« schrottet nicht nur die Erde, sondern auch gleich den Mond, der plötzlich aus seiner angestammten Bahn springt und auf die Erde zurast. Damit wäre die Zeit des Lebens auf unserem Heimatplaneten unwiderruflich abgelaufen. Glücklicherweise gibt es im Plot deutlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt – und natürlich heldenhafte Amerikaner.
Der Film beginnt mit einem Spaceshuttle-Flug im Jahr 2011. Die Astronauten Brian Harper und Alan Marcus reparieren einen Satelliten, als die Raumfähre von einem Energiesturm getroffen wird. Jocinda Fowler, gespielt von Halle Berry, stößt sich im Shuttle den Kopf an und wird bewusstlos. Marcus verliert den Halt und verschwindet im Weltraum, Harper kann sich mit letzter Kraft in das Shuttle retten. Dabei beobachtet er eine Art Schwarm aus kleinen Robotern, der sich zum Mond zurückzieht und im Mare Crisium verschwindet. Harper rettet seine Kollegin und landet das Shuttle von Hand, weil die gesamte Bordelektrik ausgefallen ist. Leider will ihm auf der Erde niemand seine Geschichte glauben. Er wird unehrenhaft entlassen, weil die NASA ihm vorwirft, die Havarie – und den Tod seines Kollegen – durch eigene Fahrlässigkeit hervorgerufen zu haben.
Schnitt – zehn Jahre später. Harpers Ehe ist zu Bruch gegangen, er kann die Miete seines Hauses nicht mehr bezahlen, und sein Sohn wandert wegen eines Verkehrsdelikts hinter Gitter. Jocinda Fowler hat ihr Privatleben ihrer Karriere geopfert und ist zur stellvertretenden NASA-Direktorin aufgestiegen.
In »Moonfall« macht der Mond merkwürdige Dinge
Dann beginnt der Himmel verrücktzuspielen. Der Mond verlässt seine Umlaufbahn und bewegt sich auf die Erde zu. Das merkt zunächst niemand, das heißt, fast niemand: Der etwas versponnene Nerd K. C. Houseman verfolgt die Bahndaten des Erdtrabanten und stellt eine gravierende Abweichung fest. Fans von »Game of Thrones« kennen den Schauspieler John Bradley als den freundlichen Samwell Tarly von der Nachtwache. Housemans Anruf bei der NASA endet schon an der Telefonzentrale, und auch sonst will ihm niemand zuhören. Erst nach seiner öffentlichen Warnung auf Twitter rechnet die NASA nach und stellt fest, dass der Mond bereits in drei Wochen mit der Erde kollidieren wird.
Wäre das aber überhaupt plausibel? Um den Mond mit solcher Gewalt aus der Bahn zu stoßen, müsste eine geradezu irrsinnige Kraft auf ihn einwirken, viel mehr, als die gesamte Menschheit in absehbarer Zukunft aufbringen kann. Wenn allerdings ein vagabundierender Planet mit mindestens Marsmasse in das Sonnensystem eindringt und nahe am Mond vorbeifliegt, würde er der Erde den Mond vielleicht entreißen können. Ein »rogue black hole«, also ein frei treibendes Schwarzes Loch, hätte eine ähnliche Wirkung. Doch solche Himmelskörper würden den Astronomen schon Jahre vor einer Begegnung auffallen – was die Sache auch nicht besser macht, denn gegen Ereignisse dieser Größenordnung könnte die Menschheit nichts ausrichten.
Im Film entscheidet sich der Mond ohne jede äußere Hilfe dafür, sein feuriges Ende auf der Erde zu suchen. Wie bei seinen bisherigen Katastrophenfilmen ist Emmerich an wissenschaftlichen Erklärungen für seine Desaster eigentlich nicht interessiert. Im Presseheft offenbaren er und sein Team jedenfalls ein ziemlich frei treibendes Physikverständnis.
Sie inszenieren die sich anbahnende Katastrophe als wilde Achterbahnfahrt mit grandios-albtraumhaften Katastrophenbildern, fantasievollen Weltraumreisen und wüsten Verfolgungssequenzen. Immer wieder entkommen die Helden auf geradezu absurde Weise dem sicheren Tod. Die Logik der Handlung bleibt dabei weitgehend auf der Strecke. Es treten auf – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge: heldenhafte Astronauten, ein verkannter Wissenschaftler, ein Autohändler, durchgeknallte Militärs, feige Politiker, Erdbeben, Überschwemmungen und Meteorschwärme, ein wiederbelebtes Spaceshuttle aus dem Museum, eine eingemottete EMP-Bombe, schießwütige Marodeure, zwei verfeindete Arten von Aliens und eine Dyson-Sphäre.
Dyson-Sphären muss man nicht unbedingt kennen, und sie haben auch nichts mit Staubsaugern zu tun. Sie sind vielmehr nach dem Astronomen Freeman J. Dyson benannt. Im Jahr 1960 veröffentlichte er in der Zeitschrift »Science« einen Artikel unter dem Titel: »Search for Artificial Stellar Sources of Infrared Radiation«. Eine weit fortgeschrittene Zivilisation, spekulierte er darin, könnte ihre sterbende Sonne mit einer gigantisch großen Kugelschale umgeben, um die verbleibende Energie optimal zu nutzen. Dafür würde sie vermutlich alle Materie in ihrem Sonnensystem verbauen müssen. Die innere Oberfläche der Kugel wäre Millionen Mal größer als die Erde und würde für eine konsequent nachhaltig lebende Superzivilisation mehr als genug Raum bieten.
Dyson-Sphären hätten den rund 100-fachen Durchmesser unserer Sonne und würden hauptsächlich Infrarotstrahlung abgeben. Bisher haben Astronomen in unserer galaktischen Nachbarschaft allerdings keine Spur solcher Objekte gefunden. Vielleicht, so spekuliert der Film, haben sie einfach noch nicht an der richtigen Stelle gesucht.
Popcornkino, nur ein wenig hölzern
Bedauerlicherweise lässt der Film den eigentlich sehr guten Schauspielern nicht viel Raum zur Entfaltung. Die Charaktere sind so holzschnittartig angelegt, dass man sich streckenweise fragt, ob Emmerich die Klischees des Katastrophenfilms parodieren will. Da ist die taffe, aber warmherzige Karrierefrau, der Held mit dem Knacks, der verkannte dickliche Nerd, die feigen Politiker und schließlich die unbelehrbaren Militärs. Und nein, nichts davon ist ironisch gemeint. Tatsächlich entspringt die einfallslose Figurenzeichnung wohl eher der müden Routine einer gut eingespielten Filmcrew.
Handwerklich gibt es an dem Film nichts auszusetzen. Die apokalyptischen Ereignisse werden grandios ins Bild gesetzt, die Tricktechnik ist ganz auf die große Kinoleinwand zugeschnitten. Durch das hohe, manchmal hektische Tempo des Schnitts kommt keine Langeweile auf. Der Soundtrack verzichtet auf überlaute Geräuscheffekte. Die Actionszenen sind exzellent choreografiert, die gelegentlichen Gags professionell getimt. Für gute Laune sorgen auch die vielen unfreiwillig komischen Dialoge.
Wer den Kinoabend genießen will, muss aber schon bereit sein, das völlige Fehlen jeder Logik und die dick aufgetragene Heroik zu ignorieren. Erde und Mond schrammen gerade noch an der Katastrophe vorbei – was auf den Film auch zutrifft. Insgesamt ist »Moonfall« solide produziertes Popcornkino ohne größere Ansprüche.
»Moonfall« läuft ab dem 10. Februar 2022 in den Kinos in Deutschland. Die Regie führte Katastrophenfilmpapst Roland Emmerich.
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