Mücken: Haben wir dieses Jahr eine Mückenplage?
Zumindest in den Medien scheint eine Mückenplage ausgebrochen zu sein. »Das goße Stechen« titelt die »Hessische Niedersächische Allgemeine«. »Mückenplage am Bodensee steht bevor« liest man bei »Vorarlberg Online«. »Mücken nerven Duisburger Süden«, schreibt die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung«. Eine Schule in Velbert bei Düsseldorf schließt wegen Eichenprozessionsspinnern. Auch Ameisen und Buchsbaumzünsler scheinen dieses Frühjahr laut Medienberichten zur Pest zu werden. Haben wir eine Plage an bestimmten Insekten?
»Rein wissenschaftlich ist das nicht so leicht festzustellen. Es ist fast unmöglich, Mückendichten oder Insektenzahlen genau zu bestimmen«, sagt Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald. Gemeinsam mit seiner Kollegin Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg betreibt er den Mückenatlas, ein Citizen-Science-Projekt, das mit Bürgerbeteiligung Verbreitungskarten der einzelnen Mückenarten erstellt. »Die Eingänge aus der Bevölkerung legen allerdings nahe, dass es in bestimmten Regionen Deutschlands zurzeit tatsächlich sehr viele Mücken gibt«, meint Kampen.
Der Frühling war dieses Jahr speziell für Mücken sehr gut. Er hat zwar spät angefangen, war dann aber heiß, und im Süden und Westen Deutschlands gab es viele Gewitter und Starkregen. Mücken mögen es gerne feucht und warm, denn ihre Larven und Puppen brauchen Wasser zur Entwicklung. Außerdem laufen bei hohen Temperaturen alle physiologischen Prozesse schneller, die Generationsrate ist dadurch höher, so dass sich die Mücken geradezu explosionsartig vermehren. Bei Insekten, die sowieso nur eine Generation im Jahr bilden, spielt eine schnellere Entwicklung dagegen kaum eine Rolle.
Für Menschen lästig, für viele Tiere gut
Wenn die Mücken geschlüpft sind, saugen sie süße Pflanzensäfte – aber das ist nicht ihre einzige Lebensgrundlage. Die Weibchen ernähren sich zur Eiablage außerdem von Blut. »Dadurch haben sie einen Vorteil gegenüber Insekten, die nur von Nektar leben – vor allem dort, wo die chemische Belastung der Pflanzen durch Umweltgifte sehr hoch ist oder es wenig Blüten gibt«, sagt Kampen. Gerade das, was die Mücken zu Plagegeistern macht, spielt ihnen also zusätzlich in die Karten.
So lästig die Mücken auch für die Menschen sind, ihre Fülle in diesem Frühjahr hat auch Vorteile. »Aus menschlicher Perspektive ist es natürlich keine so erfreuliche Entwicklung, aus Naturschutzperspektive aber gar nicht so schlecht, weil viele Tierarten davon profitieren. Mücken spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette«, sagt Till-David Schade, Referent für Biologische Vielfalt beim Naturschutzbund Deutschland (NABU). Sie bilden die Nahrungsgrundlage für Fische, Vögel, Fledermäuse, andere Insekten, Spinnen und Amphibien.
Gerade angesichts des aktuellen Insektensterbens eine gute Sache – aber keine Entwarnung, wie Schade betont. Die Hitze nutzt nicht allen Insekten gleichermaßen. »Man kann sagen, dass von dieser Entwicklung vor allem Insekten profitieren, die ohnehin nicht bedroht sind«, meint Schade. Außerdem kann es mit der Mückenplage ganz schnell wieder vorbei sein. »Wenn es plötzlich trocken wird – wie jetzt im Norden oder auch in anderen Teilen Deutschlands – haben die Mücken keine Möglichkeit mehr, sich zu vermehren«, erklärt Kampen.
Klimawandel freut Zecken und Prozessionsspinner
Temperaturen schwanken natürlich von Jahr zu Jahr, insgesamt aber wird es wärmer. Dadurch verändern sich Lebensräume, und es gibt Gewinner und Verlierer dieses Wandels. Zu den Gewinnern gehört neben Mücken und Zecken (die keine Insekten, sondern Spinnentiere sind) auch der Eichenprozessionsspinner. Er liebt es warm und trocken und hat sich in den letzten Jahren enorm verbreitet. Zur Plage wird er vor allem, weil seine Haare bei manchen Menschen Allergien auslösen können.
Zum Glück zählen zu den Wärme liebenden Insekten auch solche, die dem Menschen Freude bereiten. »Afrikanische und mediterrane Libellenarten, wie die Feuerlibelle, wandern zu uns ein«, sagt Schade. Auch der große Feuerfalter (Lycaena dispar) – ein roter Schmetterling, der trotz seiner Farbe zu den Bläulingen gehört – ist ein klassischer Klimagewinner. Er kam früher nur im Oberrheingebiet, in der Lausitz und im Spreewald vor. Jetzt findet man ihn in ganz Sachsen, und auch im Südwesten ist er weiter auf dem Vormarsch. »Bezüglich seiner Raupenpflanzen hat er sich an neue Lebensbedingungen angepasst – da war er früher selektiver«, sagt Josef Settele, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle und Leiter des Tagfalter-Monitoring Deutschland.
Zu den Klimaverlierern hingegen gehören Insekten, denen eine solche Anpassung nicht gelingt. »Generell führt die klimatische Veränderung bei vielen Tieren zu einer Verschiebung des Habitats nach Norden«, sagt Schade. Schwierig wird das allerdings bei Insekten, die stark auf eine bestimmte Futterpflanze angewiesen sind. Der Natterwurz-Perlmutterfalter (Boloria titania) ist hierfür ein Beispiel. Er lebt in höheren Lagen wie dem Schwarzwald oder im Alpenvorland. Seinen Raupen dient der Schlangen-Knöterich (Bistorta officinalis) als Nahrungsgrundlage. Neue Lebensräume weiter im Norden kann der Falter vielleicht noch erreichen, nicht aber der Schlangen-Knöterich. »Der Überschneidungsbereich zwischen möglichem Lebensraum des Schmetterlings und seiner Nahrung wird immer kleiner«, sagt Schade.
Die Vielfalt nimmt ab
Unter den Bestäubern haben vor allem die Hummeln zu kämpfen. »Hummeln sind typische Bewohner von eher kühleren Breiten. Sie ziehen sich mehr aus dem mediterranen Gebiet zurück, breiten sich aber nach Norden nicht aus, weil sie dort die Lebensräume, die sie bräuchten, nicht vorfinden«, sagt Settele.
Viel hört man in den letzten Jahren vom Insektensterben, aber die Bedeutung einzelner Ursachen ist noch unklar. Vermutlich spielen der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Monokulturen in der Landwirtschaft, die geringe Anzahl von Hecken und Randstreifen auf Feldern und der Klimawandel eine Rolle – für sich und vor allem in Kombination.
Auch über die Frage, wie sehr die Gesamtzahl der Insekten zurückgeht, wird noch gestritten. Laut Settele nimmt bei den Schmetterlingen auf alle Fälle die Vielfalt ab – und das trifft auch auf andere Insektengruppen zu. »Wir haben einfachere Systeme und einen Artenrückgang. Viele seltene Arten werden noch seltener«, sagt Settele. Vielfalt aber ist wichtig, damit die Natur auf Veränderungen reagieren kann. »Wenn es nur noch wenige Arten gibt und sich dann die Umweltbedingungen ändern, fehlen vielleicht gerade die Arten, die unter den neuen Bedingungen noch gedeihen würden«, sagt Settele.
Invasive Arten mögen das wärmere Klima
Betrifft das zum Beispiel die Bestäuber unter den Insekten, hätte das weit reichende Auswirkungen auf die Pflanzenwelt. Auch Schade betont die Bedeutung der Vielfalt und sieht diese durch Klimaveränderungen bedroht: »Die Arten auf die es ankommt, sind oftmals sehr spezialisierte Arten, die nicht überall vorkommen und die nur bestimmte ökologische Nischen belegen. Gerade diese empfindlichen Arten werden durch entsprechende klimatische Veränderungen stark getroffen«, meint er.
»Wir wissen nicht wirklich, was unsere Mücken an Krankheitserregern übertragen können, wenn die Temperaturen hier mal steigen«Helge Kampen
Immer mehr Tiere und Pflanzen aus anderen Kontinenten finden ihren Weg nach Europa – darunter auch Insekten. Sie werden eingeschleppt, und wenn sie das hiesige Klima vertragen, nisten sie sich ein. Die Asiatische Buschmücke (Aedes japonicus) ist ein Beispiel für solch eine invasive Art. »Die Asiatische Buschmücke ist an das hiesige Klima gut angepasst. Sie kommt aus Ostasien – da ist es im Winter recht kalt. Der Winter ist ein wichtiges Kriterium – überstehen die invasiven Arten den Winter, dann haben sie Chancen, sich hier auszubreiten«, sagt Kampen. Der warmfeuchte Frühling kommt der Buschmücke dieses Jahr wie auch den einheimischen Mücken zugute. »Die Asiatischen Buschmücken sind früh im Jahr aktiv. Wir finden sie jetzt zum Teil schon in hohen Dichten«, sagt Kampen.
Wenn sich das Klima weiter erwärmt und es noch heißer wird, würde das die Verbreitung der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) unterstützen. Sie ist eine Wärme liebende Art und kommt ursprünglich aus dem asiatisch-pazifischen Raum, ist aber im Mittelmeerraum mittlerweile schon weit verbreitet. In Deutschland ist sie noch selten, allerdings wurden inzwischen auch in Süddeutschland schon mehrfach Populationen entdeckt. Mit den hiesigen Wintern hat sie zu kämpfen. »Aber wir wissen, dass ihr auch in Deutschland schon mindesten dreimal eine Überwinterung gelungen ist«, sagt Kampen.
Die Tigermücke gilt als Risiko, denn sie kann Krankheitserreger wie die des Dengue-, Westnil- oder Chikungunya-Fiebers übertragen. Diese Fähigkeit wird von hohen Temperaturen gefördert. »Wenn es warm ist, laufen auch die Infektionsgeschehen schneller ab«, erklärt Kampen. Ändert sich jedoch das Klima, könnten laut Kampen auch andere Mücken diese Fähigkeit zeigen – solange es ihnen bei den Temperaturen noch gut geht.
»Die Asiatische Buchmücke ist zwar in der Natur noch nicht als Krankheitsüberträger in Erscheinung getreten, aber sie gilt als potenzieller Überträger einiger Viren«, sagt er. Möglich wäre auch, dass unsere einheimischen Arten solche Fähigkeiten entwickeln. »Wir wissen nicht wirklich, was unsere Mücken an Krankheitserregern übertragen können, wenn die Temperaturen hier mal steigen«, sagt Kampen.
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