Mukoviszidose: »Ich traue mich jetzt das erste Mal, in die Zukunft zu blicken«
»Wehe dem Kind, das beim Kuss auf die Stirn salzig schmeckt, es ist verhext und muss bald sterben.« Diese alte Volksweisheit zeugt davon, dass eine salzige Haut bei Säuglingen schon im 16. Jahrhundert als schlechtes Omen galt. Woran diese Kinder allerdings litten und warum sie meist früh starben, das sollte etwa 400 Jahre weitgehend unentdeckt bleiben. Und auch dann war die Krankheit noch lange schwer behandelbar.
Jeder Fortschritt in der Medizin geht seine eigenen Wege in einer eigenen Geschwindigkeit. Häufig sind es kleine Trippelschritte, die jeder für sich keinen großen Unterschied machen, aber mit der Zeit, wenn genügend Schritte zusammengekommen sind, bringen sie eben doch eine sichtbare Veränderung. Selten bedeutet Fortschritt nicht nur einen kleinen Schritt, sondern einen riesigen Sprung nach vorne, eine regelrechte Revolution, nach der nichts mehr ist wie zuvor. Eine solche bahnbrechende Entwicklung hat es auch bei der Krankheit mit dem charakteristisch erhöhten Salzgehalt im Schweiß gegeben: bei der Mukoviszidose. Durch diesen Durchbruch konnte die tödlich verlaufende Erbkrankheit in eine behandelbare Erkrankung verwandelt werden.
Eines von rund 3500 neugeborenen Kindern hat Mukoviszidose, auch zystische Fibrose genannt. Unbehandelt würde nur ein Bruchteil der Kinder das Schulalter erreichen, weshalb Mukoviszidose viele Jahrhunderte als seltene, tödliche Kinderkrankheit galt. Noch Anfang der 1980er Jahre lag die Lebenserwartung von Betroffenen bei gerade einmal 25 Jahren, und trotz besserer Behandlungsmöglichkeiten bei lediglich 57 Jahren derzeit, wie eine Erhebung 2021 ermittelte. In Deutschland leben etwa 7000 Menschen mit der Diagnose zystische Fibrose.
Was, wenn man das Problem direkt an der Wurzel korrigieren könnte: wenn man die Funktion der fehlerhaften Chloridkanäle wiederherstellen könnte?
Warum der Schleim zäh wird
Das Problem bei Mukoviszidose sind fehlerhafte Chloridkanäle auf der Oberfläche von Körperzellen. Das hat insbesondere dort schwer wiegende Folgen, wo es um die Produktion und Zusammensetzung von schleimartigen Flüssigkeiten geht. Denn die Kanäle sorgen normalerweise dafür, dass der Schleim eher flüssig und geschmeidig bleibt. Sind sie fehlerhaft, wird er zähflüssig und verliert seine Funktion, kann nicht richtig abfließen und sammelt sich an. Das spielt insbesondere in der Lunge eine entscheidende Rolle, aber auch beispielsweise im Verdauungssystem. Dort kann Mukoviszidose unter anderem zu chronischem Durchfall führen, im Bereich der Lunge etwa Dauerhusten oder wiederkehrende Lungenentzündungen verursachen. Ohne Behandlung sammelt sich der Schleim in der Lunge an, im schlimmsten Fall ersticken Erkrankte daran.
Bisher konnten nur die Beschwerden behandelt werden: Bei der so genannten symptomatischen Therapie inhalieren Betroffene schleimlösende Medikamente, bekommen Verdauungsenzyme und halten spezielle Diäten, bei denen meist der Kohlenhydratanteil gering gehalten wird und der Fettanteil etwas erhöht ist. Denn grundsätzlich gilt: Je größer der Kohlenhydratanteil in der Nahrung, desto mehr Kohlendioxid wird produziert – und damit das abgeatmet werden kann, wird die Atemfrequenz erhöht. Das ist bei einer eingeschränkten Lungenfunktion allerdings eine Belastung. Aber auch dieser Ansatz ist symptomatisch. Doch was, wenn man das Problem direkt an der Wurzel korrigieren könnte: wenn man die Funktion der fehlerhaften Chloridkanäle wiederherstellen könnte? Diese Idee blieb lange eine Vision – und wird nun mehr und mehr Wirklichkeit.
»Alle Medikamente zielen darauf ab, das fehlerhafte Eiweißmolekül, das bei Mukovsizidose gebildet wird, zu korrigieren«Marcus Mall, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Wie die neuen Medikamente wirken
Sogar mehrere Wirkstoffe sind in jüngster Zeit entwickelt und bereits zugelassen worden, die an den Chloridkanälen ansetzen. Die Ionenkanäle sind jedoch nicht bei allen Betroffenen auf die gleiche Weise fehlgebildet. 1989 wurde durch Genomanalysen entdeckt, welcher genetische Defekt für Mukoviszidose verantwortlich ist: eine Veränderung eines bestimmten Gens, des so genannten CFTR-Gens. Mittlerweile sind mehr als 2000 verschiedene Mutationen im CFTR-Gen bekannt, doch darunter sticht nur eine Mutation namens »F508del« hervor: Von ihr sind 90 Prozent aller Mukoviszidose-Patientinnen und -Patienten betroffen. Die Mutation bewirkt, dass der Bauplan für das CFTR-Protein fehlerhaft ist und es nicht korrekt gefaltet wird. Dieses Protein bildet normalerweise einen Kanal an der Zelloberfläche von beispielsweise der Lunge oder den Schweißdrüsen und sorgt dafür, dass Chloridionen aus der Zelle hinaus- oder hineinströmen. Gibt es zu wenig CFTR-Proteine oder funktionieren diese nicht richtig, können die Chloridionen nicht mehr nach Bedarf transportiert werden. Dadurch gerät der Salz-Wasser-Haushalt aus dem Gleichgewicht und der zähflüssige Schleim entsteht. »Alle Medikamente zielen darauf ab, das fehlerhafte Eiweißmolekül, das bei Mukoviszidose gebildet wird, zu korrigieren«, sagt Marcus Mall, Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Der Mediziner forscht seit mehreren Jahrzehnten an Medikamenten, welche die Fehler in den Chloridkanälen behandeln sollen.
Von den in den letzten Jahren entwickelten neuen Wirkstoffen gibt es im Grunde zwei verschiedene Arten: Die so genannten Korrektoren (englisch: correctors) sorgen vor allem dafür, dass die Chloridkanäle korrekt gefaltet werden und so der Fehler behoben wird. Eine andere Klasse von Medikamenten, die so genannten Verstärker (englisch: potentiators), steigern die Aktivität der Chloridkanäle.
Lebensqualität und Lebenserwartung steigen deutlich
Allerdings sind die Medikamente nur wenig wirksam, wenn sie einzeln eingesetzt werden. »Es hat sich aber gezeigt, dass eine Kombination aus zwei Korrektoren und einem Verstärker eine sehr gute Wirkung hat«, sagt Marcus Mall, der maßgeblich an der Entwicklung des Therapieschemas beteiligt war und dafür auch mehrfach ausgezeichnet wurde. Unter anderem wurde sein Beitrag zur neuen Mukoviszidosetherapie im November 2022 bei der Wissenschaftskonferenz »Falling Walls Science Summit« in Berlin zum »Science Breakthrough of the Year« im Bereich Biowissenschaften ausgerufen. Der Grund für die Anerkennung: Die neuen Medikamente, kombiniert verabreicht, bringen Mukoviszidose-Betroffenen eine Verbesserung der Lungenfunktion und der Lebensqualität, die sie vorher meist nicht kannten.
»Eine Patientin sagte zu mir: Ich traue mich jetzt das erste Mal, in die Zukunft zu blicken und Pläne zu machen«Susanne Nährig, Klinikum der Universität München
Auch Susanne Nährig macht diese Beobachtung fast täglich bei ihren Patientinnen und Patienten. Die Ärztin leitet die Mukoviszidoseambulanz für Erwachsene am Klinikum der Universität München. »Wenn die Patientinnen und Patienten die Kombinationstherapie nehmen, husten sie kaum noch, das merken nicht nur sie selbst, das merken auch die Familienmitglieder. Sie sind belastbarer, können Sport machen«, erzählt Susanne Nährig. »Eine Patientin sagte zu mir: Ich traue mich jetzt das erste Mal, in die Zukunft zu blicken und Pläne zu machen.«
Auch Krystyna Poplawska, die an der Universitätsmedizin Mainz unter anderem die Sektion für Mukoviszidose leitet, beobachtet dies. Mukoviszidose sei von einem Leiden mit einer deutlich verminderten Lebenserwartung und Lebensqualität zu einer chronischen Erkrankung geworden, mit der man recht gut leben könne, sagt die Kinder- und Jugendärztin. Sie glaubt, dass künftige Studien diese Einschätzung bestätigen werden.
Seit 2016 gibt es in Deutschland ein flächendeckendes Neugeborenen-Screening. Seitdem wird bei jedem Neugeborenen geprüft, ob es eine genetische Veränderung hat, die zu Mukoviszidose führt. Bevor es die Medikamente gab, waren die Gespräche, die Krystina Poplawska mit den Eltern von betroffenen Neugeborenen führen musste, oft frustrierend: Sie musste ihnen erklären, dass alles, was man tue, lediglich ein Voranschreiten der Erkrankung verlangsamen könne. »Wenn das Kind die Mutation F508del hat, können wir jetzt den Eltern sagen, dass sich die Lebenserwartung und auch die Lebensqualität extrem verbessert haben«, sagt Krystina Poplawska.
Um wie viele Jahre die Lebenserwartung steigen wird, lässt sich bislang allerdings nicht sagen. Weil die Medikamente in der Kombination erst seit 2020 zugelassen sind, gibt es noch keine Langzeitstudien über ihre Wirkung. Aber laut Marcus Mall deutet bereits einiges darauf hin, dass die Lebenserwartung von Betroffenen insbesondere bei frühem Therapiebeginn von zuvor durchschnittlich 57 Jahren künftig fast an die der Gesamtbevölkerung heranreichen könnte, die bei Männern derzeit bei 78,5 Jahren und bei Frauen bei 83,4 Jahren liegt.
»Vermutlich sollte die Therapie idealerweise noch früher einsetzen, da chronische Lungenschäden bereits im Vorschulalter beginnen können«Marcus Mall, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Weil Mukoviszidose nicht nur akute Probleme bereitet, sondern die fehlerhaften Chloridkanäle gleichfalls mittel- und langfristige Schäden anrichten und unter anderem langsam das Lungengewebe beeinträchtigen, dürfte es für die Lebenserwartung zudem eine Rolle spielen, wann die Patientinnen und Patienten die neue Therapie erhalten. »Auch Betroffene mit Ende 40 profitieren noch deutlich von der Kombinationstherapie. Aber die größte und nachhaltigste Wirkung wird vermutlich erzielt, wenn bereits Kinder im jungen Alter die Kombinationstherapie erhalten«, sagt Marcus Mall. War die Medikamentenkombination anfangs erst ab einem Alter von zwölf Jahren zugelassen, ist das Alter mittlerweile auf sechs Jahre gesenkt worden. »Vermutlich sollte die Therapie idealerweise noch früher einsetzen, da chronische Lungenschäden bereits im Vorschulalter beginnen können«, sagt Mall. Die klinischen Studien in dieser Altersgruppe werden derzeit durchgeführt.
Weiterer Durchbruch bei Mukoviszidose in Sicht?
Ein großer Vorteil der Medikamente ist auch, dass sie die Chloridkanäle im ganzen Körper korrigieren. Im Gegensatz dazu ließen sich mit der bisherigen symptomatischen Therapie nur die jeweiligen Beschwerden isoliert behandeln: die Ansammlung von Schleim in der Lunge durch Inhalation von schleimlösenden Medikamenten, die Verdauungsstörung durch Einnahme von Verdauungsenzymen.
Doch nicht alle Mukoviszidose-Patientinnen und -Patienten profitieren von der Medikamentenkombination. Sie wirkt nur bei denjenigen Erkrankten, die im CFTR-Gen die Mutation F508del aufweisen. Und einem von zehn Betroffenen fehlt diese häufige Mutation. Für solche Mukoviszidose-Kranken hat sich leider nicht viel verändert: Nehmen sie die Medikamentenkombination ein, steigt ihre Lebenserwartung nicht so stark an, auch die Lebensqualität verbessert sich kaum, lediglich durch Fortschritte in der Behandlung der Beschwerden. Sie warten auf die nächste Revolution in der Mukovsizidosetherapie, an der Forscherinnen und Forscher weltweit bereits emsig arbeiten. Sie soll sogar noch einen Schritt früher angreifen als die Medikamentenkombination.
Denn streng genommen ist die Kombination der Wirkstoffe auch keine direkte Therapie der Ursache: Die fehlerhaften Chloridkanäle führen zu den Beschwerden, ja, aber dass sie überhaupt fehlerhaft sind, das liegt an den Genen. Genau hier will man künftig mit Gentherapien ansetzen. In den letzten Jahren gab es enorme Fortschritte bei Methoden und Wirkstoffen, mit denen sich auf der genetischen Ebene Veränderungen herbeiführen lassen können, darunter die Genschere CRISPR-Cas9 und die mRNA-Technologie, die durch die Impfung gegen Covid-19 schlagartig bekannt wurde. »Es gibt hier tatsächlich eine Reihe von viel versprechenden Ansätzen, allerdings auch noch einige Hindernisse«, sagt Krystina Poplawska aus Mainz. Von Erfolgen in diesem Bereich dürften zuallererst die zehn Prozent der Betroffenen profitieren, die keine Mutation F508del aufweisen: Es wäre für sie die Gelegenheit, von einer weiteren Revolution im Feld der Mukoviszidosetherapie zu profitieren.
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