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Völkerwanderung: Multikulti im frühen Bayern

Bayerische Männer fanden in der Spätantike offenbar Gefallen an Frauen mit großen Köpfen. Die Damen kamen von weit her, wie Paläogenetiker nun zeigen.
Unterschiedlich deformierte Schädel

Auf bajuwarischen Friedhöfen wurden im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. Frauen bestattet, die aus Südosteuropa eingewandert sind und im frühen Bayern heimisch wurden. Das bestätigt nun ein Team von Paläogenetikern um Joachim Burger von der Universität Mainz. Schon zuvor hatten Archäologen Ähnliches vermutet, da die Schädel einiger Frauen deformiert waren, was unter anderem im spätantiken Südosteuropa als Körperkunstpraktik üblich war. Interessant ist, dass den Daten zufolge nur Frauen in das heutige Bayern eingewandert sind, wie die Forscher im Fachmagazin "PNAS" schreiben. Eine Einwanderung südosteuropäischer Volksgruppen sehen sie in ihren Daten nicht: Offenbar sind einzelne Frauen durch Heirat nach Bayern gelangt, spekulieren die Wissenschaftler.

Zu ihren Erkenntnissen kamen sie durch die Untersuchung von insgesamt 36 Skeletten aus sechs bajuwarischen Gräberfeldern, die alle in die Zeit um 500 n. Chr. datieren. Die Unterschiede in den Gensequenzen zeigen, dass sich die typischen Bajuwaren genetisch nicht von durchschnittlichen Nordeuropäern unterscheiden. Anders die Frauen mit den so genannten Turmschädeln: Sie zeigen genetische Ähnlichkeiten mit südosteuropäischen bis ostasiatischen Bevölkerungsgruppen. Die Gene verraten außerdem, dass sie meist braune Augen, braunes Haar und dunklere Haut hatten, wodurch sie sich neben ihrer eigenwilligen Kopfform von den laut Genanalysen oft blauäugigen und blonden bajuwarischen Geschlechtsgenossinnen unterschieden.

Um einen Langschädel zu formen, muss man ihn bereits ab dem Säuglingsalter bandagieren. Diese Sitte der künstlichen Körpermodifikation wurde seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. in der Gegend der mittleren und unteren Donau praktiziert – eben in jener Region, aus der die Frauen vermutlich stammten. Während der Wirren der Völkerwanderungszeit siedelte hier eine auffällig gemischte Bevölkerung. Kulturhistorisch interessant ist dabei, dass die Frauen mit den Turmschädeln sich nach bajuwarischer Sitte kleideten, wie die Grabbeigaben verraten. Vermutlich haben sie vor ihrem Tod bereits einige Zeit dort gelebt und waren in ihrer neuen Heimat gut integriert, meinen die Forscher.

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