Musik: Was die Fans an Death Metal lieben
»Brutality now becomes my appetite
Violence is now a way of life
The sledge my tool to torture
As it pounds down on your forehead.«
[Auf Deutsch in etwa:
»Ich hungere nun nach Brutalität
Gewalt ist jetzt eine Lebensart
Der Vorschlaghammer ist mein Folterwerkzeug
während er gegen deine Stirn schlägt.«]
Shakespeare ist das nicht gerade. Doch diese Zeilen aus dem Lied »Hammer Smashed Face« der Band Cannibal Corpse sind typisch für Death Metal – ein Subgenre des Heavy Metal, das sich durch die Beschreibung extremer Gewalt auszeichnet und klanglich das Äquivalent eines, nun ja, Vorschlaghammers ist, der einem mit voller Wucht gegen die Stirn kracht.
Was den Reiz einer Musik ausmacht, die derart die Sinne attackiert und selbst die niedrigsten geschmacklichen Standards verletzt, ist vielen Nichtfans ein Rätsel. Für den Musikpsychologen William Forde Thompson ist es einer der Aspekte, die ihn an dem Thema so faszinieren. Thompson und seine Kollegen haben allein im Jahr 2018 drei Studien über Death Metal und seine Fans veröffentlicht; einige weitere sind in Arbeit.
»Mich interessiert das Paradoxon, eine negative Emotion zu genießen«, sagt Thompson, Professor an der Macquarie University in Sydney, Australien. »Warum begeistern sich Menschen für Musik, die negative Gefühle hervorzurufen scheint, wenn wir im Alltag solche Situationen eher meiden?« Einige Studien haben sich bereits mit dem Reiz von trauriger Musik befasst, doch es gibt kaum Forschung dazu, was Lieder mit gewaltverherrlichenden Texten in uns auslösen.
Thompsons Arbeit hat einige faszinierende Erkenntnisse zu Tage gefördert. Die größte Überraschung: »Das allgegenwärtige Stereotyp von Death-Metal-Fans ist, dass sie wütende Menschen mit gewalttätigen Tendenzen sind«, so der Psychologe. »Wir haben aber festgestellt, dass das nicht stimmt. Sie verspüren keine Wut, wenn sie ihre Musik hören, sondern vielmehr eine Reihe positiver Emotionen.« Death-Metal-Fans gaben in einer Online-Umfrage von Thompson und seinem Team an, Gefühle des Friedens, der Freude, der Bestärkung und der Transzendenz zu empfinden. Die Einzigen, die beim Hören von Death Metal von Wut und Anspannung berichteten, waren Versuchspersonen, die andere Musikstile bevorzugten.
Psychogramm der Fans
Anfang 2018 wollten Thompson und seine Kollegen jene Persönlichkeitsmerkmale identifizieren, die Death-Metal-Fans von anderen Musikliebhabern unterscheiden. Dafür verglichen sie knapp 150 Freiwillige, darunter ein Drittel Death-Metal-Fans, anhand einer Reihe etablierter psychologischer Tests. Dazu zählten ein Empathietest (der Interpersonal Reactivity Index, kurz IRI) sowie ein Fragebogen, der die so genannten »Big Five« der Persönlichkeit erfasst – Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Extraversion und Neurotizismus.
Wie die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, waren die Death-Metal-Fans insgesamt etwas weniger verträglich und gewissenhaft als die übrigen Versuchspersonen. Eine mögliche Erklärung sei, so schreiben die Autoren, dass der dauerhafte Konsum brutaler Medieninhalte zu subtilen Veränderungen in der Persönlichkeit führe und die Betroffenen gegenüber Gewalt desensibilisiere, während negative soziale Einstellungen verstärkt würden. Genau wisse man das allerdings nicht, betont Thompson. Es sei ebenso möglich, dass sich Menschen mit diesen Charaktereigenschaften eher zu Death Metal hingezogen fühlen.
Kurz erklärt
Death Metal ist eine extreme Form des Heavy Metal, die sich unter anderem durch schnelle, harte, zum Teil dissonante Melodien auszeichnet sowie durch tiefer gestimmte Instrumente und gutturalen Gesang. Die Liedtexte beschreiben oft Gewalt, widmen sich Themen wie Krankheit, Krieg, Folter und Tod. Manche Songs enthalten philosophische, nihilistische oder sozialkritische Aussagen, andere befassen sich mit Okkultem. Der Musikstil entstand in den 1980er Jahren.
Der Interpersonal Reactivity Index (IRI) besteht aus 28 Items, die vier Arten von Empathie erfassen, darunter Mitgefühl mit anderen und spontane Perspektivwechsel. Die Versuchspersonen bewerten auf einer Skala von 1 bis 5, wie sehr verschiedene Aussagen auf sie zutreffen, etwa: »Ich versuche manchmal, meine Freunde besser zu verstehen, indem ich mir überlege, wie die Dinge wohl aus ihrer Perspektive aussehen.«
Im Hinblick auf die vier Dimensionen von Empathie, die der IRI misst, erzielten Fans und Kontrollprobanden hingegen im Schnitt ähnliche Werte. Beim Hören von Death Metal berichteten Probanden, die wenig Mitgefühl mit anderen hatten, allerdings häufiger von Machtgefühlen und Freude. Das galt auch für Personen, die sich Neuem gegenüber besonders aufgeschlossen und wenig ängstlich oder unsicher zeigten.
In der Studie lauschten die Teilnehmer jeweils vier von acht 60-Sekunden-Samples beliebter Death-Metal-Songs und gaben Auskunft über die Gefühle, die die Musik in ihnen hervorrief. Dabei bewerteten die Probanden die Wirkung zunächst anhand vordefinierter Begriffe wie »Angst« auf Skalen von 1 bis 7. Anschließend beschrieben sie in eigenen Worten, welche Empfindungen Death Metal in ihnen auslöste. Zu den Songs zählten unter anderem die Titel »Slowly We Rot« von Obituary und das bereits eingangs erwähnte »Hammer Smashed Face«.
»Mit dem repetitiven, rasanten Tempo, den herabgestimmten Instrumenten und den Blastbeats [eine spezielle Schlagzeugtechnik] ist es praktisch unmöglich, nicht in Begeisterung zu verfallen«, berichtete etwa ein Fan der Musik. Andere Versuchspersonen, die Death Metal nicht in ihrer Freizeit hörten, waren hingegen weniger begeistert: »Es klingt nach verkorksten Teenagern, die mit kehligen Lauten davon singen, wie schlimm ihr Leben ist«, schrieb ein Kontrollproband. »Es ist nervtötend.«
Der Haken an der Untersuchung ist allerdings, dass sie sich lediglich auf die Selbstauskünfte der Probanden stützte, wie Craig Anderson von der Iowa State University kritisiert, der die Zusammenhänge zwischen Mediengewalt und Aggression erforscht und nicht an der Studie beteiligt war. Dem Psychologen zufolge könnten Selbsteinschätzungen der Realität entsprechen – oder eben nicht. »Vielleicht lügen die Menschen, oder, was wahrscheinlicher ist, sie haben einfach keinen direkten Zugang zu dem, was Medien in ihnen auslösen. Sie mögen sagen: ›Oh ja, das lässt mich auf diese Weise fühlen‹, ohne zu erkennen, was wirklich in ihnen vorgeht.«
Gute Seelen
Der Gitarrist Chris Pervelis von der Death-Metal-Band »Internal Bleeding« ist sich sicher, dass die positiven Emotionen, die er beim Spielen und Hören seiner Musik erlebt, echt sind. »Wenn ich darin aufgehe, ist es, als würde Elektrizität durch meine Adern fließen«, sagt der über-50-Jährige, der sein eigenes Grafikdesignunternehmen leitet. »Ich fühle mich hyperlebendig. Und die meisten Leute aus der Death-Metal-Szene, die ich kenne, sind kluge, kreative und gutherzige Seelen.«
In einem Kommentar, den sie im August 2018 im Fachmagazin »Physics of Life Reviews« veröffentlichten, diskutieren Thompson und sein Koautor Kirk Olsen, wie unsere Gehirnchemie die Reaktion auf Gewalt und Aggression in Musikstücken beeinflussen könnte. Die hohe Amplitude, das schnelle Tempo und andere unharmonische Eigenschaften des Death Metal kurbeln womöglich die Freisetzung von Neurotransmittern wie Adrenalin an, was zu den Macht- und Glücksgefühlen führen könne, von denen Fans beim Hören der Songs berichten, und zugleich zu der Anspannung, Angst und Wut, die sich in anderen Zuhörern breitmacht, wie die Forscher ausführen.
Weil negative Gefühle in Death-Metal-Songs keine Konsequenzen in der echten Welt mit sich bringen, können Fans die nötige Distanz zu ihnen aufbauen, um sie als Kunstform anzunehmen und zu schätzen
Im Hinblick auf die Kernfrage – »Wie kann explizit gewalttätige Musik bei manchen positive Emotionen hervorrufen?« – zitiert William Thompson eine Studie vom Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. Darin befassen sich die Forschenden mit der Frage, warum Menschen bei der Rezeption von Kunst auch negative Emotionen genießen. Sie schlagen einen mentalen Prozess vor, der psychologische Distanz und Akzeptanz miteinander kombiniert. Mit anderen Worten: Weil negative Gefühle in Death-Metal-Songs keine Konsequenzen in der echten Welt mit sich bringen, können Fans wahrscheinlich die nötige Distanz zu ihnen aufbauen, um sie als Kunstform anzunehmen und zu schätzen.
Studien legen nahe, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen Aggression und gewalttätigen Medieninhalten gibt, sei es in Videospielen, Filmen im Fernsehen oder in der Musik. Der Medienkonsum sei ein Risikofaktor von vielen, sagt Anderson, der 2003 ebenfalls die Wirkung von Musikstücken mit gewaltverherrlichenden Songtexten untersuchte. Kein normaler, ausgeglichener Mensch werde allein dadurch zu einem Gewalttäter.
Death Metal hilft, den emotionalen Ballast loszuwerden
In Thompsons Studien gaben viele Death-Metal-Fans an, die Musik als eine Art Katharsis zu betrachten, als eine Möglichkeit, ihre negativen Emotionen rauszulassen und sich auf etwas zu konzentrieren, was ihnen Spaß macht. Diese Ansicht teilt Gitarrist Chris Pervelis: »Ich nenne es auch den Mülleimer«, sagt er über die Musik, mit der er sich seit Jahrzehnten beschäftigt, »weil ich dort all mein schlechtes emotionales Gepäck entsorgen kann. Ich stecke es in das Schreiben von Riffs und lasse auf der Bühne alles raus. Das hilft mir, einen klaren Kopf zu behalten.«
Im Rahmen einer laufenden Untersuchung stellte Thompson fest, dass die begrenzte Attraktivität des Genres einer der Hauptgründe sein könnte, warum sich Fans zu Death Metal hingezogen fühlen. Ein Grund, der mindestens so alt sein dürfte wie das Rock-Genre selbst. Der Forscher beruft sich dabei unter anderem auf eine Veröffentlichung von Karen Bettez Halnon aus dem Jahr 2006, die entdeckte, dass Heavy-Metal-Fans (wie sicher auch die Fans vieler anderer Genres und Subgenres) ihre Musik als eine Alternative zur »unpersönlichen, angepassten und oberflächlichen Welt des Kommerzes« betrachteten.
So gesehen könnte eine Funktion der expliziten und gewalthaltigen Texte darin bestehen, Fans und Außenstehende stärker voneinander abzugrenzen. Pervelis vergleicht die gewalttätigen Bilder in den Texten mit den »übertriebenen Schock-Horror-Filmen der 1970er Jahre«. Es gehöre zum Kern der Death-Metal-Erfahrung, sich wie ein Insider und ein Outsider zugleich zu fühlen. »Diese Musik ist so extrem und bewegt sich so am Rande des Mainstreams, dass Menschen, die sie hören oder in einer Death-Metal-Band spielen, zu einer Art Elite-Klub gehören. Es ist wie ein kleines Geheimnis, das uns alle miteinander verbindet. Es ist ein Ehrenabzeichen.«
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