Resveratrol: Muskelkraft dank Traubensaft?
Im Weltall und auf dem Mars ist die Schwerkraft geringer als auf der Erde. Das lässt die Muskeln von Astronauten schrumpfen – und auch die von Ratten, wie ein Forscherteam um Marie Mortreux von der Harvard Medical School beobachtete. Im Labor setzten die Forscher Ratten der marsüblichen Gravitation aus. Einem Teil der Nager verabreichten sie außerdem Resveratrol – eine Substanz, die zum Beispiel im Rotwein enthalten ist. Diese Ratten erfreuten sich im Gegensatz zu ihren unbehandelten Artgenossen bester Muskelkraft. Weil auch Tiere, die die normale Erdanziehung gespürt hatten, mit der Resveratrol-Behandlung an Muskeln zulegten, könnten die Ergebnisse, die das Team nun im Fachjournal »Frontiers in Physiology« veröffentlichte, nicht nur für Astronauten interessant sein.
Um den Ratten Marsbedingungen vorzugaukeln, benutzten die Forscher um Mortreux ein Modell, das Teammitglied Mary Buoxsein bereits 2010 entwickelt hatte. Den Tieren wird eine Art Geschirr angelegt, das mit einer Kette an der Käfigdecke befestigt ist. Dadurch werden ihre Bewegungen »abgefedert«. 12 von insgesamt 24 männlichen Ratten schickte das Forscherteam so »auf den Mars«: Während sie sich im Käfig umherbewegten, wurden sie mit nur 0,38 G nach unten gezogen, also etwa 40 Prozent der Kraft, die auf der Erde auf sie wirkt. Die anderen zwölf Ratten waren zwar auch angeschnallt, bekamen aber die volle Erdanziehung zu spüren. Der Hälfte der »Mars-« und der »Erde-Gruppe« – je sechs Tieren – fütterten die Forscher täglich pro Kilogramm Körpergewicht 150 Milligramm Resveratrol zu.
Nach zwei Wochen begutachtete das Forscherteam die Muskeln der Nager. Das Ergebnis: Die »Mars-Ratten« hatten Muskelkraft und -masse eingebüßt. Waren sie aber mit Resveratrol behandelt worden, konnten ihre Pfoten genauso kräftig zupacken wie die von Artgenossen, die der vollen Erdanziehung ausgesetzt wurden. Auch die Waden hatte der Wein-Wirkstoff muskulöser gemacht, und nicht nur die der »Mars-Ratten«: Tiere, die der normalen Gravitation ausgesetzt waren, hatten dort mit Resveratrol ebenfalls an Muskelmasse gewonnen.
Vermutlich wirkt der Stoff, indem er die Aufnahme von Zucker in die Muskelzellen fördert – das zeigen zumindest Tierstudien. Resveratrol könnte also vielleicht nicht nur Astronauten helfen, sondern auch Menschen, die unter Muskelschwäche leiden oder aus anderen Gründen Muskeln aufbauen wollen. Um die Menge an Resveratrol zuzuführen, die die Ratten bekommen haben, müssten wir allerdings täglich je nach Körpergewicht um die 1000 Liter Rotwein trinken. Das wäre sicherlich kontraproduktiv, nicht nur, weil der enthaltene Alkohol schon in viel geringeren Mengen den Muskelaufbau behindert. Das Polyphenol Resveratrol ist aber auch in den Trauben und anderen Pflanzen enthalten. Zudem kann man den Wirkstoff inzwischen günstig und hoch dosiert in Form von Kapseln oder Pulver kaufen.
Resveratrol werden viele gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Die meisten Versuche wurden jedoch an Zellkulturen oder an Versuchstieren durchgeführt. Ob sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen und der positive Effekt auf die Muskeln unter Raumfahrtbedingungen auch tatsächlich zu Tragen kommt, ist noch ungewiss. Die Fahrt zum Mars dauert mit heutiger Technik nämlich nicht nur zwei Wochen, sondern etwa neun Monate.
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