Hinweis auf Supersymmetrie?: Mysteriöse Teilchenschauer im ewigen Eis
Bei der Suche nach neuen Phänomenen gehen Physiker vielen Spuren nach – zunehmend verzweifelt, da sich nirgends eine eindeutige Abweichung von den bekannten Naturgesetzen zeigen will. Eine solche Fährte ist nun etwas spannender geworden: Ein Südpol-Experiment namens ANITA könnte Hinweise auf eine bisher unbekannte Art von Elementarteilchen aufgespürt haben. Dafür machen sich jedenfalls Forscher um Derek B. Fox von der Penn State University in einem Fachaufsatz stark, der noch nicht von unabhängigen Gutachtern geprüft wurde und somit von Experten bisher nur unter Vorbehalt diskutiert wird.
Sollte die Interpretation stimmen, wären die Folgen allerdings immens. Das Team von ANITA hat in den vergangenen Jahren immer wieder einen mit Messtechnik bestückten Ballon über der Antarktis steigen lassen. In 35 Kilometer Höhe fängt er unter anderem Spuren kosmischer Strahlung auf: Aus dem Weltall prasseln laufend Atomkerne und energiereiche Partikel auf die Atmosphäre und treten dabei so genannte »Luftschauer« los – Kaskaden geladener Elektronen und Positronen, die der Bahn des ursprünglichen Teilchens folgen und meist wie eine Lawine gen Erdboden stürzen.
Mysteriöse Signale aus Richtung Erdkugel
Luftschauer setzen Radiowellenpulse ab, die ANITA auffangen kann. Da das vom Ballon herabhängende Messgerät gen Erdboden blickt, weisen die Forscher für gewöhnlich die Signale von Partikelkaskaden nach, deren Radiowellen von der Erdoberfläche reflektiert wurden. Zwei Teilchenschauer aus den Jahren 2006 und 2014 fallen allerdings aus diesem Muster: Sie kamen ursprünglich nicht von oben, also aus Richtung des Weltalls, sondern wurden von etwas ausgelöst, was von unten kam, also aus Richtung der Erdkugel, wie eine genaue Analyse der Messdaten zeigt.
Damit kommen als Auslöser aber nur Teilchen in Frage, die zuvor die Erde durchquert haben. Experten müssen hier sofort an Neutrinos denken: Die geisterhaften Partikel können Materie meist ungehindert durchdringen. Die verdächtigen Teilchenschauer aus den ANITA-Daten wurden aber wohl von Partikeln mit einer gewaltigen Energie von einer Trillion Elektronvolt (Physiker sprechen von Exaelektronvolt) losgetreten. Bei diesen Energien bleiben aber selbst Neutrinos regelmäßig an Atomkernen im Erdinneren hängen.
Die auffälligen ANITA-Ereignisse könnten damit einzig von Neutrinos stammen, welche die Erde gewissermaßen nur gestreift haben, also unter einem sehr flachen Winkel nach oben geflogen sind. Die verdächtigen Luftschauer in den Ballon-Daten bewegten sich allerdings unter größeren Winkeln vom Erdboden weg. Es sei damit extrem unwahrscheinlich, dass sie auf ein gewöhnliches Neutrino oder ein anderes bekanntes Elementarteilchen zurückgehen, argumentieren die Astrophysiker um Fox.
Ein supersymmetrisches Teilchen?
Besser lasse sich die ungewöhnliche Beobachtung durch einen extrem scheuen, hypothetischen Elementarteilchentyp namens »s-Tau« erklären, mutmaßen die Forscher. Die Partikel wären die Partnerteilchen des bekannten Tau-Leptons und Teil der so genannten Supersymmetrie – einer ambitionierten Erweiterung des bisherigen Elementarteilchen-Regelwerks, nach der Physiker seit Jahrzehnten vergeblich suchen.
Sollte man tatsächlich Partikel der Supersymmetrie über der Antarktis nachgewiesen haben, würde das wohl eine Zeitenwende in der Teilchenphysik einläuten. Fox und seine Kollegen schreiben sogar, dass man s-Taus mit den passenden Eigenschaften am weltgrößten Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider bei Genf, studieren könnte. Dort gingen alle Suchen nach den ominösen Partnerteilchen bisher allerdings leer aus.
Auch diskutiert die Fachwelt bereits seit zweieinhalb Jahren über die ungewöhnlichen Messdaten von ANITA. Bislang hielten Kritiker andere, weniger spektakuläre Erklärungen für die wahrscheinlichste Ursache, etwa unverstandene Teilchenreaktionen im Eis der Antarktis. In der jüngsten Veröffentlichung will das Team um Fox nun gezeigt haben, dass auch das riesige Neutrino-Observatorium IceCube am Südpol hin und wieder Spuren ungewöhnlicher Luftschauer auffängt.
An eine Sensation werden die meisten Wissenschaftler aber wohl erst dann glauben, wenn ANITA und andere Messinstrumente weitere ungewöhnliche Teilchenkaskaden aufspüren – und man alle denkbaren Fehlerquellen ausgeschlossen hat. Ein neuer Datensatz, den der Ballon bereits gesammelt hat, werde derzeit ausgewertet, schreiben die Forscher in ihrem Aufsatz. Ob die Fährte damit deutlicher wird oder im Sand verläuft, wird sich bald zeigen.
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