Dunkle Materie: Mysteriöses Signal elektrisiert Physiker
Bisher waren die Wissenschaftler des XENON-Experiments so etwas wie die Spielverderber bei der Suche nach Dunkler Materie. Schon vor knapp 15 Jahren haben sie in einem Labor unter dem Gebirgsmassiv des Gran Sasso d′Italia eine Art Falle aufgestellt, in der Teilchen der Dunklen Materie eigentlich hängen bleiben müssten. Die rätselhafte Substanz soll sich wie ein feiner, unsichtbarer Nebel im Raum zwischen den Sternen sammeln – durch den unsere Erde auf ihrem Weg durchs All laufend tauchen müsste.
Doch während manch andere Gruppe immer wieder wackelige Hinweise auf Interaktionen zwischen Dunkler Materie und irdischen Atomkernen präsentierte, sorgte das deutsch-amerikanisch geführte XENON-Team stets für Ernüchterung. Egal wie genau die Forscher hinschauten, egal wie sehr sie ihren unterirdischen Edelgastank vergrößerten und verbesserten: Die Dunkle Materie tauchte einfach nicht auf.
Nun ist die 163-köpfige Gruppe doch noch auf etwas gestoßen, was sich als Fährte zur Dunklen Materie entpuppen könnte – mit viel Glück zumindest. Zwischen Februar 2017 und Februar 2018 sei es im 3,2 Tonnen schweren XENON1T-Detektor zu überraschend vielen Teilchenzusammenstößen mit Elektronen gekommen, berichten die Forscher in einer noch nicht von Gutachtern geprüften Vorabveröffentlichung.
Dahinter könnte etwas so Banales wie eine bislang unentdeckte radioaktive Verschmutzung mit Tritium-Atomen stecken, räumen die Wissenschaftler ein, die unter anderem am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, am Karlsruher Institut für Technologie, sowie an den Universitäten in Münster, Mainz und Freiburg arbeiten. Doch auch zwei andere Ursachen ließen sich nicht ausschließen: Die rätselhaften Signale – es sind 53 an der Zahl – könnten entweder auf Neutrinos aus der Sonne zurückgehen, wofür von den Geisterteilchen jedoch ein winziges Magnetfeld ausgehen müsste, das Forscher bislang nicht auf dem Schirm haben.
Oder aber so genannte Axionen sind verantwortlich. Gemeint ist ein ultraleichter Teilchentyp, über dessen Existenz Physiker seit Jahrzehnten spekulieren – den sie aber bisher partout nicht aufspüren konnten. Sollte es die Leichtgewichte geben, wäre das eine Jahrhundertentdeckung. Denn dann wären Axionen vermutlich in gewaltiger Anzahl kurz nach dem Urknall entstanden und würden bis heute durchs Weltall flitzen. In diesem Fall würden sie mit ihrer kollektiven Schwerkraft den Gang der Gestirne beeinflussen – als jene Dunkle Materie, über die sich Experten seit Jahrzehnten den Kopf zerbrechen.
Die Exemplare, die nun mutmaßlich im XENON1T-Detektor aufgetaucht sind, hätten allerdings einen anderen Ursprung: Sie würden aus der Sonne stammen, in deren Umfeld sich bekannte Teilchen in Axionen umwandeln können. Dieses Szenario passt aber nur mäßig gut zu Beobachtungen aus dem Weltall. So müssten manche Sterntypen in der Vergangenheit etwas abgekühlt sein, wenn dort massenweise Axionen entweichen, wofür Astronomen jedoch keine Anzeichen sehen.
Auch in anderer Hinsicht mahnen die XENON-Wissenschaftler zur Vorsicht: Zwar habe man bisher keine Hinweise auf eine radioaktive Verschmutzung des XENON1T-Detektors entdecken können. Dennoch seien weitere Messungen nötig, um dieses Szenario auszuschließen. Passenderweise arbeiten die Forscher gerade an einem Ausbau namens XENONnT: Die Teilchenfalle soll damit dreimal so viel flüssiges Xenon enthalten wie bisher und 2021 die Arbeit aufnehmen.
Die Suche nach Axionen und anderen leichten Partikeln ist dabei keineswegs das Hauptanliegen des Detektors: Eigentlich haben ihn die Forscher für die Jagd nach deutlich schwereren Dunkle-Materie-Kandidaten konzipiert, den so genannten Wimps. Sie würden mit den Atomkernen des Xenon zusammenstoßen und dabei Spuren hinterlassen, deren Signatur die Forscher klar von Störsignalen unterscheiden können.
Die Suche nach Axionen ist hingegen kniffliger: Sie würden wegen ihrer geringeren Masse nur mit den Elektronen der Xenonatome interagieren. Das tun jedoch auch viele andere Prozesse im Mikrokosmos. Deren Häufigkeit lässt sich im Inneren des Detektortanks jedoch nicht so gründlich abschätzen wie die Störsignale bei der Suche nach Wimps. Entsprechend schwierig könnte es werden, die genaue Ursache der nun entdeckten Anomalie aufzuklären.
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