Selbsttest: Können Sie Mythen und Fakten zur Kreativität unterscheiden?
Um kreative Köpfe ranken sich viele Geschichten. Ihre Ideen erscheinen so wundersam und magisch wie der Moment, wenn sich im Theater der Vorhang hebt. Dabei weiß die Wissenschaft längst mehr über den vermeintlichen Zauber. Welche Mythen rund um das Thema Kreativität dennoch fortbestehen, hat eine internationale Forschungsgruppe in mehreren Ländern untersucht.
Mathias Benedek von der Universität Graz und sein Team warben auf Online-Plattformen rund 1300 Erwachsene unter anderem aus Deutschland, Österreich, China sowie den USA an. Die Versuchspersonen bekamen 30 Aussagen über Kreativität vorgelegt, zum Beispiel »Kreatives Denken spielt sich überwiegend in der rechten Hirnhälfte ab«, vermischt mit anderen Aussagen etwa aus der Hirnforschung sowie Fragen zu ihrer Person.
»Die Kreativitätsmythen wurden im Schnitt von jedem Zweiten für wahr befunden«, berichten Benedek und seine Kollegen. Wie sie in der Fachzeitschrift »Personality and Individual Differences« schreiben, stimmten rund vier von fünf Befragten der falschen Aussage zu, dass Brainstorming in Gruppen mehr Ideen hervorbringt, als wenn jeder für sich nachdenkt. Fast zwei Drittel hielten Kinder für kreativer als Erwachsene, und fast ebenso viele glaubten fälschlich, dass die meisten Menschen abstrakte Kunst nicht von abstrakten Kinderzeichnungen unterscheiden können. Jeweils mehr als die Hälfte hingen außerdem dem Irrglauben an, dass vor allem die rechte Hirnhälfte für kreatives Denken zuständig sei.
Mit den Fakten taten sich die Befragten weniger schwer: Hier erkannten beispielsweise 97 Prozent richtig, dass eine Pause hilft, auf neue Ideen zu kommen. Aber auch nur rund jeder Zweite wusste, dass die erste Idee oft nicht die beste ist und dass kreativen Höchstleistungen typischerweise zehn Jahre Arbeit vorausgehen.
Kreativität ist veränderlich
»Laienvorstellungen waren gekennzeichnet durch eine Überschätzung von Zufall und kindlichem Verhalten«, fassen die Autoren zusammen. Die Rolle der strategischen Steuerung und Expertise beim kreativen Denken werde unterschätzt. Diese Naivität sei problematisch, denn die Mythen ignorierten, wie viel harte Arbeit hinter kreativen Leistungen stecke. Sie legten nahe, dass man nur zu warten brauche, bis die Kreativität wie ein Blitz einschlage. Immerhin hielten die meisten Kreativität nicht für eine seltene Begabung, und nur wenige dachten fälschlicherweise, sie sei ein festes Maß und unveränderlich.
Ob die Befragten an Kreativitätsmythen glaubten, hing weder mit ihrem Alter noch ihrem Geschlecht zusammen. Allerdings waren die Befragten, die vermehrt Irrtümern anhingen, weniger gebildet. Sie bezogen ihr Wissen auch eher aus dem Fernsehen, den sozialen Medien und dem Freundeskreis anstatt aus Büchern, Zeitschriften und Vorträgen.
Dennoch wollen Benedek und seine Kollegen den Glauben an Kreativitätsmythen nicht einfach mit fehlendem Wissen erklären. Vielmehr sehen sie darin die Tendenz, sich auf Meinungen oder einfache Heuristiken zu verlassen, wenn sie plausibel und wissenschaftlich klingen. Selbst Fachleute seien sich nicht immer einig, welche Annahmen hinreichend belegt oder widerlegt seien, räumt die Forschungsgruppe ein. Doch Wissenschaft zeichne sich gerade dadurch aus, die geltende Lehrmeinung immer wieder zu überarbeiten. Der Stand der Forschung, auf dem die Auflösung gründet, kann deshalb auch nur einen – wenn auch gut begründeten – Zwischenstand abbilden.
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