Naturkatastrophen: Nach dem Schnee ist vor der Flut?
Aus Erfahrung wird man klug? Nicht immer: Trotz regelmäßig wiederkehrender Fluten, verwässert die deutsche Politik den Hochwasserschutz. Dabei könnte auch aktuell wieder "Land unter" an den Flüssen drohen.
Köln, Weihnachten 1993: Tagelange ergiebige Niederschläge lassen den Rhein und seine Nebenflüsse anschwellen. In der Domstadt stellt der Vater aller deutschen Flüsse mit 10,63 Meter einen neuen Pegelrekordstand auf. Die Deiche reichen nicht – und die Altstadt steht unter Wasser.
Oderbruch, Sommer 1997: In wenigen Tagen fallen im Einzugsgebiet der Oder mancherorts die Niederschläge eines ganzen Jahres: bis zu 580 Liter pro Quadratmeter. Große Teile Polens und Tschechiens werden überschwemmt und auch die Ziltendorfer Niederung im Osten Deutschlands säuft ab. Mehr als sechzig Todesopfer in unseren Nachbarländern und Schäden in Milliardenhöhe sind zu beklagen.
Deutsche Klima-Kalamitäten
Deutschland wird also in regelmäßigen Abständen von über die Ufer tretenden Flüssen heimgesucht. Aber wie kommt es immer wieder zu diesen Überschwemmungen? Welche Rollen spielen das Klima und der Mensch? Und vor allem: Wann droht die nächste so genannte Jahrhundertflut?
Das Klima und der Naturraum Mitteleuropas begünstigen Hochwasser, denn Deutschland liegt genau im Einflussbereich der Hauptzugbahnen von Tiefdruckgebieten aus dem Atlantik, die vor allem, wenn sie rasch aufeinander abfolgen, ergiebige Niederschläge bringen können. Dazu kommt die Lage unserer Mittelgebirge und der Alpen, die sich oft wie ein Riegel den Tiefs entgegenstellen. Die Folge: Wolkenstaus und Dauerregen.
Und auch die so genannten Vb-Wetterlagen sorgen für Ungemach: In ihnen strömt – meist während der Sommermonate – wassergesättigte Mittelmeerluft gegen die Südalpen oder östlich um das Gebirge herum nach Norden. Über Osteuropa verwirbelt sie mit kühleren Luftmassen aus Nordeuropa und bleibt dann gleich vor Ort mit kräftigem wie anhaltendem Niederschlag.
Keine Gefahr oder Alarmstufe Rot?
Dauerregen ist hierzulande außerdem nicht an Jahreszeiten gebunden, und so kann es sommers wie winters Hochwasser geben. Allerdings müssten gerade jetzt ganz aktuell die Alarmglocken bei Politikern von Bund und Land schrillen – vor allem bei den Anrainern der großen Flüsse Rhein und Donau. Denn damoklesschwertartig liegen große Schneemassen in deutschen Mittelgebirgen und in den Alpen, die jahreszeitenbedingt nur auf baldiges Tauwetter warten.
Setzt sich in den nächsten Tagen bis in höhere Regionen eine milde Witterung gänzlich ohne Niederschläge durch, dann kommt Deutschland noch glimpflich davon. Der Schnee schmilzt sukzessive und langsam ab, und die Flüsse verkraften diese zusätzliche Lasten problemlos.
Wehe aber, es trifft das ein, was Emil Dister vom WWF-Auen-Institut der Universität Karlsruhe als schlimmstmögliche Wendung dieses Winters bezeichnet: "Das Hochwasserrisiko steigt dramatisch an, wenn in der nächsten Zeit milde Witterung in Tateinheit mit Regen bis in die Hochlagen der Alpen auftritt, sodass der Schnee zu tauen beginnt, den Boden mit Wasser sättigt und gleichzeitig in kurzer Folge weitere westliche oder nordwestliche Strömungen mit feuchtigkeitsschwerer warmer Luft zu starken Regenfällen im Nordstau der Alpen führen. All dies lässt den Schnee rapide schmelzen. Da aber die Böden bald durchtränkt sind, fließt jegliches Wasser oberflächlich ab und führt in den Nebenflüssen der Donau sowie im Rhein zu großen Hochwasserspitzen."
Das ließe sich wahrscheinlich noch einigermaßen verkraften, aber wie auf einem Förderband folgen zumeist mehrere Tiefdruckgebiete hintereinander. Und so führt Dister weiter aus: "Bleibt kurz nach den ersten Tiefs ein weiteres Regenband in den westdeutschen Mittelgebirgen hängen, so treffen die hier zu Tale rauschenden Stürzbäche des Schmelzwassers durch ihre schnellere Laufzeit ziemlich gleichzeitig auf die erste Welle, die aus den Alpen kommt." Die Folge: Weiträumige Überschwemmungen an Rhein, Mosel, Neckar, Main und Donau. Im schlimmsten Fall könnte es zu neuen Rekordständen kommen.
Die Rolle der Politik
Damit aber aus einem Hochwasser, das seit Urzeiten zur natürlichen Dynamik der Flüsse gehört, eine Nemesis für den Menschen wird, müssen noch mehr negative Einflüsse hinzukommen – klimatischer Unbill alleine genügt noch nicht. Zum Problem werden die überschwappenden Gewässer erst durch weitere ökologische, politische und wirtschaftliche Verfehlungen.
Gerade die deutsche Politik spielt dabei nach Ansicht Disters eine unrühmliche Rolle, denn sie tut viel zu wenig für einen effektiven Hochwasserschutz. Mehr noch: Sie agiert zumeist im Irrglauben, dass Jahrhunderthochwasser auch nur alle hundert Jahre und somit nicht in dem relativ überschaubaren Rahmen der Legislaturperioden wiederkehren. Das ist aber ein Missverständnis, wie der Experte am Beispiel des ungarischen Flusses Theiß darlegt: Dort gab es 1998 ein Jahrhunderthochwasser, und daher sollte es nun eigentlich geraume Zeit bis zur nächsten vergleichbaren Flut dauern.
Tatsächlich folgten aber in den nächsten Jahren drei weitere Hochwasser, die alle den Stand von 1998 noch übertrafen. Daher hält Dister nicht viel von den so genannten Jährlichkeiten, nach denen bestimmte Pegelstände im statistischen Mittel immer erst nach gewissen Zeiträumen wieder erreicht werden. Er zweifelt auch die Grundvoraussetzung dieser Statistik an, nämlich dass das Klima in diesen Perioden immer gleich bleibt und sich die Landnutzung nicht verändert – Annahmen, die natürlich nicht haltbar sind
Um dennoch Aussagen zur Gefahr von Fluten zu treffen, schlägt Emil Dister vor, stattdessen die Festlegung bestimmter Abflüsse – also Wassermengen pro Zeiteinheit – als Bemessung für die Hochwasserschutzmaßnahmen vorzunehmen : So könne man sich beispielsweise am Wert von 5000 Kubikmetern pro Sekunde am Pegel Karlsruhe oder 6000 Kubikmeter am Pegel Worms orientieren, ganz gleich welcher Jährlichkeit dieser Wert zuzuordnen sei.
Das Länder-Kleinklein
Da Deichbau und Deichunterhalt allerdings viel Geld kosten, handeln die Bundesländer deshalb eher nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Überspitzt formuliert: Wir bauen die Dämme höher und verlieren dadurch kein wertvolles Bauland in den Flussauen. Was am Unterlauf geschieht, liegt außerhalb unseres Kompetenzbereichs.
Unrühmliches Extrembeispiel ist laut Dister das Land Hessen, das unabhängig von der Couleur seiner Regierungen Hochwasserschutzmaßnahmen am Rhein verweigert. Selbst monetäre Angebote aus Nordrhein-Westfalen wurden in diesem Zusammenhang zurückgewiesen: Aufbau Hessen geht vor Schutz von NRW.
Aber auch andere Bundesländer bekleckern sich nicht mit Ruhm. Sachsen-Anhalt etwa schafft kaum Retentionsräume durch Deichöffnungen oder Rückverlegungen, welche stromab Fließgeschwindigkeit und Wasservolumen der Hochwasser reduzieren könnten, obwohl dafür in großem Umfang geeignete Gebiete zur Verfügung stünden. Stattdessen versucht die regionale Regierung einzig den Status quo der Dämme zu erhalten – indem sie pro Jahr etwa zehn Kilometer Deich renoviert.
Zu Rheinland-Pfalz fällt dem Wissenschaftler gar nur noch eines ein: "Die Umweltministerin hat das Problem offenbar nicht verstanden. Sie glaubt, man könnte den Bauern nicht zumuten, ihre Landnutzung im Überschwemmungsgebiet zu ändern, nur weil in 99 Jahren wieder ein Jahrhunderthochwasser auftritt. Dabei erreicht am pfälzischen Oberrhein das einjährliche Hochwasser genauso den Hauptdeich wie das Hundertjährliche und überflutet ähnlich große Gebiete im Deichvorland, nur eben weniger hoch.
Bäuerliche Vorsorge
Doch gerade die Landwirtschaft würde großes Potenzial der Risikovorsorge bieten. Denn entgegen der üblichen öffentlichen Meinung spielt nicht die Bodenversiegelung mit Beton und Asphalt die größte Rolle beim Wasserabfluss an großen Flüssen: Gerade einmal vier Prozent der Flächen dort sind tatsächlich überbaut, im Gegensatz zu den Einzugsgebieten kleinerer Fließgewässer, wo diese Problematik durchaus zutrifft – nur lassen sich dort die Bausünden der Vergangenheit auch kaum wieder rückgängig machen.
Deshalb kommt dem bäuerlichen Wirtschaften eine immens hohe Bedeutung zu. Schließlich vollzieht sie sich auf mehr als fünfzig Prozent der deutschen Landesfläche. Mit relativ einfachen Mitteln ließen sich hier große Erfolge in der Hochwasservorsorge erzielen – sofern der Wille und manchmal die nötigen Finanzmittel vorhanden wären.
Nach Emil Dister wäre etwa eine Erhöhung des Humusgehalts in den genutzten Böden von entscheidender Bedeutung. Denn humusreiche Böden können auf Grund spezieller Bindungsfähigkeiten des schwarzen Naturdüngers wesentlich mehr Wasser halten als Substrate ohne diese organische Substanz. Humus verbessert zudem die Struktur des Bodens und vermindert seine Verschlämmung und Verdichtung – alles Mittel und Wege, die Wasseraufnahme zu steigern. Viel wäre zudem bereits durch die winterliche Abdeckung der Felder – durch Anbau von Wintersaaten oder mit Stroh – oder durch leichtere Landmaschinen erreicht, die den Boden weniger verdichten. Denn je mehr Wasser versickert oder zwischengespeichert wird, desto kleiner fällt eine mögliche Flut aus.
Moloch Freiflächenfraß
Dies bedeutet natürlich nicht, dass in den Städten entlang der Flüsse fröhlich weiter zubetoniert oder gar neue Siedlungen wie Gewerbegebiete in den natürlichen Überschwemmungsgebieten der Flüsse gebaut werden sollten. Mit der Flächenversiegelung steigt der Oberflächenabfluss und jedes neue Haus in den ehemaligen Auen erhöht die Schadenssummen nachhaltig.
Aus diesem Grund ist auch die Verwässerung der neuen Rahmengesetzgebung des Bundes zum Hochwasserschutz durch Rheinland-Pfalz und Brandenburg als eher unfreundlicher Akt an den Flussnachbarn zu betrachten: Beide Bundesländer erwirkten Ausnahmeregelungen vom vorgesehenen strikten Bauverbot in den unmittelbaren Flusswiesen. Dabei zeigt gerade das Beispiel Dresden mit seinen freien Elbwiesen den Nutzen dieser Reglementierung: Ohne die Freiflächen hätte es die sächsische Barockstadt 2002 noch weit schlimmer getroffen.
Wünschenswert wäre selbstverständlich weiterhin eine Renaturierung von Auen, denn sie bremsen Flutwellen ähnlich wie gesteuerte Polder, die man bei Bedarf öffnen und fluten kann. Und der Verzicht auf weitere Begradigungen und Ausbaumaßnahmen – etwa an der Donau oder der Elbe – ist ebenfalls nicht nur aus der Sicht des Naturschutzes sinnvoll, denn auch der historische Umbau der Flüsse zu Schiffs-Autobahnen hat zur heutigen Hochwasser-Malaise sein Quäntchen beigesteuert.
Insgesamt muss also in Deutschland nicht nur nach der Meinung von Emil Dister noch viel zum Hochwasserschutz getan werden. Denn das nächste "Jahrhundert"hochwasser folgt bestimmt – vielleicht sogar schon dieses Jahr, wohl aber kaum erst in 100 Jahren.
Oderbruch, Sommer 1997: In wenigen Tagen fallen im Einzugsgebiet der Oder mancherorts die Niederschläge eines ganzen Jahres: bis zu 580 Liter pro Quadratmeter. Große Teile Polens und Tschechiens werden überschwemmt und auch die Ziltendorfer Niederung im Osten Deutschlands säuft ab. Mehr als sechzig Todesopfer in unseren Nachbarländern und Schäden in Milliardenhöhe sind zu beklagen.
Dresden, Passau, August 2002: Dauerregen wie 1997- nur diesmal weiter westlich im Erz- und Riesengebirge sowie in den bayerischen Alpen und im Bayerischen Wald. Bald werden die Nachrichten bestimmt von "Jahrtausendfluten": "Land unter" in Passau, Evakuierung von Kunstschätzen und Patienten in Dresden. Am katastrophalsten hausen die Wassermassen allerdings in den kleinen sächsischen Städtchen entlang der Mulde, der Müglitz oder der Weißeritz, wo Menschen sterben und manche Häusern am Ende der Sintflut nur noch aus einzelnen Mauern bestehen.
Deutsche Klima-Kalamitäten
Deutschland wird also in regelmäßigen Abständen von über die Ufer tretenden Flüssen heimgesucht. Aber wie kommt es immer wieder zu diesen Überschwemmungen? Welche Rollen spielen das Klima und der Mensch? Und vor allem: Wann droht die nächste so genannte Jahrhundertflut?
Das Klima und der Naturraum Mitteleuropas begünstigen Hochwasser, denn Deutschland liegt genau im Einflussbereich der Hauptzugbahnen von Tiefdruckgebieten aus dem Atlantik, die vor allem, wenn sie rasch aufeinander abfolgen, ergiebige Niederschläge bringen können. Dazu kommt die Lage unserer Mittelgebirge und der Alpen, die sich oft wie ein Riegel den Tiefs entgegenstellen. Die Folge: Wolkenstaus und Dauerregen.
Besonders heimtückisch wird es immer dann, wenn sich so genannte Kaltlufttropfen aus der Zirkulation der Atmosphäre regelrecht abschnüren. Sie sind relativ ortsfeste Tiefdruckgebiete und werden nur langsam durch einströmende Luftmassen aufgefüllt. In den davon betroffenen Gebieten holt man sich bald schon beim Spaziergang nasse Füße, denn es gibt heftige Niederschläge.
Und auch die so genannten Vb-Wetterlagen sorgen für Ungemach: In ihnen strömt – meist während der Sommermonate – wassergesättigte Mittelmeerluft gegen die Südalpen oder östlich um das Gebirge herum nach Norden. Über Osteuropa verwirbelt sie mit kühleren Luftmassen aus Nordeuropa und bleibt dann gleich vor Ort mit kräftigem wie anhaltendem Niederschlag.
Keine Gefahr oder Alarmstufe Rot?
Dauerregen ist hierzulande außerdem nicht an Jahreszeiten gebunden, und so kann es sommers wie winters Hochwasser geben. Allerdings müssten gerade jetzt ganz aktuell die Alarmglocken bei Politikern von Bund und Land schrillen – vor allem bei den Anrainern der großen Flüsse Rhein und Donau. Denn damoklesschwertartig liegen große Schneemassen in deutschen Mittelgebirgen und in den Alpen, die jahreszeitenbedingt nur auf baldiges Tauwetter warten.
Setzt sich in den nächsten Tagen bis in höhere Regionen eine milde Witterung gänzlich ohne Niederschläge durch, dann kommt Deutschland noch glimpflich davon. Der Schnee schmilzt sukzessive und langsam ab, und die Flüsse verkraften diese zusätzliche Lasten problemlos.
Wehe aber, es trifft das ein, was Emil Dister vom WWF-Auen-Institut der Universität Karlsruhe als schlimmstmögliche Wendung dieses Winters bezeichnet: "Das Hochwasserrisiko steigt dramatisch an, wenn in der nächsten Zeit milde Witterung in Tateinheit mit Regen bis in die Hochlagen der Alpen auftritt, sodass der Schnee zu tauen beginnt, den Boden mit Wasser sättigt und gleichzeitig in kurzer Folge weitere westliche oder nordwestliche Strömungen mit feuchtigkeitsschwerer warmer Luft zu starken Regenfällen im Nordstau der Alpen führen. All dies lässt den Schnee rapide schmelzen. Da aber die Böden bald durchtränkt sind, fließt jegliches Wasser oberflächlich ab und führt in den Nebenflüssen der Donau sowie im Rhein zu großen Hochwasserspitzen."
Das ließe sich wahrscheinlich noch einigermaßen verkraften, aber wie auf einem Förderband folgen zumeist mehrere Tiefdruckgebiete hintereinander. Und so führt Dister weiter aus: "Bleibt kurz nach den ersten Tiefs ein weiteres Regenband in den westdeutschen Mittelgebirgen hängen, so treffen die hier zu Tale rauschenden Stürzbäche des Schmelzwassers durch ihre schnellere Laufzeit ziemlich gleichzeitig auf die erste Welle, die aus den Alpen kommt." Die Folge: Weiträumige Überschwemmungen an Rhein, Mosel, Neckar, Main und Donau. Im schlimmsten Fall könnte es zu neuen Rekordständen kommen.
Die Rolle der Politik
Damit aber aus einem Hochwasser, das seit Urzeiten zur natürlichen Dynamik der Flüsse gehört, eine Nemesis für den Menschen wird, müssen noch mehr negative Einflüsse hinzukommen – klimatischer Unbill alleine genügt noch nicht. Zum Problem werden die überschwappenden Gewässer erst durch weitere ökologische, politische und wirtschaftliche Verfehlungen.
Gerade die deutsche Politik spielt dabei nach Ansicht Disters eine unrühmliche Rolle, denn sie tut viel zu wenig für einen effektiven Hochwasserschutz. Mehr noch: Sie agiert zumeist im Irrglauben, dass Jahrhunderthochwasser auch nur alle hundert Jahre und somit nicht in dem relativ überschaubaren Rahmen der Legislaturperioden wiederkehren. Das ist aber ein Missverständnis, wie der Experte am Beispiel des ungarischen Flusses Theiß darlegt: Dort gab es 1998 ein Jahrhunderthochwasser, und daher sollte es nun eigentlich geraume Zeit bis zur nächsten vergleichbaren Flut dauern.
Tatsächlich folgten aber in den nächsten Jahren drei weitere Hochwasser, die alle den Stand von 1998 noch übertrafen. Daher hält Dister nicht viel von den so genannten Jährlichkeiten, nach denen bestimmte Pegelstände im statistischen Mittel immer erst nach gewissen Zeiträumen wieder erreicht werden. Er zweifelt auch die Grundvoraussetzung dieser Statistik an, nämlich dass das Klima in diesen Perioden immer gleich bleibt und sich die Landnutzung nicht verändert – Annahmen, die natürlich nicht haltbar sind
Um dennoch Aussagen zur Gefahr von Fluten zu treffen, schlägt Emil Dister vor, stattdessen die Festlegung bestimmter Abflüsse – also Wassermengen pro Zeiteinheit – als Bemessung für die Hochwasserschutzmaßnahmen vorzunehmen : So könne man sich beispielsweise am Wert von 5000 Kubikmetern pro Sekunde am Pegel Karlsruhe oder 6000 Kubikmeter am Pegel Worms orientieren, ganz gleich welcher Jährlichkeit dieser Wert zuzuordnen sei.
Das Länder-Kleinklein
Einem effektiven Hochwasserschutz steht auch der deutsche Föderalismus im Wege: Flutvorsorge ist Ländersache – und daraus ergibt sich, dass es kein einheitliches Bundesgesetz gibt, sondern jedes Bundesland nach Gutdünken seine eigene Regelung entwerfen und umsetzen kann. Deshalb gelten am Rhein vier verschiedene Hochwasserschutzgesetze und an der Elbe gleich sieben. Dem Bund obliegen dagegen nur die Rahmenrichtlinien, den einzelnen Ländern jedoch die Ausführung.
Da Deichbau und Deichunterhalt allerdings viel Geld kosten, handeln die Bundesländer deshalb eher nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Überspitzt formuliert: Wir bauen die Dämme höher und verlieren dadurch kein wertvolles Bauland in den Flussauen. Was am Unterlauf geschieht, liegt außerhalb unseres Kompetenzbereichs.
Unrühmliches Extrembeispiel ist laut Dister das Land Hessen, das unabhängig von der Couleur seiner Regierungen Hochwasserschutzmaßnahmen am Rhein verweigert. Selbst monetäre Angebote aus Nordrhein-Westfalen wurden in diesem Zusammenhang zurückgewiesen: Aufbau Hessen geht vor Schutz von NRW.
Aber auch andere Bundesländer bekleckern sich nicht mit Ruhm. Sachsen-Anhalt etwa schafft kaum Retentionsräume durch Deichöffnungen oder Rückverlegungen, welche stromab Fließgeschwindigkeit und Wasservolumen der Hochwasser reduzieren könnten, obwohl dafür in großem Umfang geeignete Gebiete zur Verfügung stünden. Stattdessen versucht die regionale Regierung einzig den Status quo der Dämme zu erhalten – indem sie pro Jahr etwa zehn Kilometer Deich renoviert.
Zu Rheinland-Pfalz fällt dem Wissenschaftler gar nur noch eines ein: "Die Umweltministerin hat das Problem offenbar nicht verstanden. Sie glaubt, man könnte den Bauern nicht zumuten, ihre Landnutzung im Überschwemmungsgebiet zu ändern, nur weil in 99 Jahren wieder ein Jahrhunderthochwasser auftritt. Dabei erreicht am pfälzischen Oberrhein das einjährliche Hochwasser genauso den Hauptdeich wie das Hundertjährliche und überflutet ähnlich große Gebiete im Deichvorland, nur eben weniger hoch.
Bäuerliche Vorsorge
Doch gerade die Landwirtschaft würde großes Potenzial der Risikovorsorge bieten. Denn entgegen der üblichen öffentlichen Meinung spielt nicht die Bodenversiegelung mit Beton und Asphalt die größte Rolle beim Wasserabfluss an großen Flüssen: Gerade einmal vier Prozent der Flächen dort sind tatsächlich überbaut, im Gegensatz zu den Einzugsgebieten kleinerer Fließgewässer, wo diese Problematik durchaus zutrifft – nur lassen sich dort die Bausünden der Vergangenheit auch kaum wieder rückgängig machen.
Deshalb kommt dem bäuerlichen Wirtschaften eine immens hohe Bedeutung zu. Schließlich vollzieht sie sich auf mehr als fünfzig Prozent der deutschen Landesfläche. Mit relativ einfachen Mitteln ließen sich hier große Erfolge in der Hochwasservorsorge erzielen – sofern der Wille und manchmal die nötigen Finanzmittel vorhanden wären.
Nach Emil Dister wäre etwa eine Erhöhung des Humusgehalts in den genutzten Böden von entscheidender Bedeutung. Denn humusreiche Böden können auf Grund spezieller Bindungsfähigkeiten des schwarzen Naturdüngers wesentlich mehr Wasser halten als Substrate ohne diese organische Substanz. Humus verbessert zudem die Struktur des Bodens und vermindert seine Verschlämmung und Verdichtung – alles Mittel und Wege, die Wasseraufnahme zu steigern. Viel wäre zudem bereits durch die winterliche Abdeckung der Felder – durch Anbau von Wintersaaten oder mit Stroh – oder durch leichtere Landmaschinen erreicht, die den Boden weniger verdichten. Denn je mehr Wasser versickert oder zwischengespeichert wird, desto kleiner fällt eine mögliche Flut aus.
Moloch Freiflächenfraß
Dies bedeutet natürlich nicht, dass in den Städten entlang der Flüsse fröhlich weiter zubetoniert oder gar neue Siedlungen wie Gewerbegebiete in den natürlichen Überschwemmungsgebieten der Flüsse gebaut werden sollten. Mit der Flächenversiegelung steigt der Oberflächenabfluss und jedes neue Haus in den ehemaligen Auen erhöht die Schadenssummen nachhaltig.
Aus diesem Grund ist auch die Verwässerung der neuen Rahmengesetzgebung des Bundes zum Hochwasserschutz durch Rheinland-Pfalz und Brandenburg als eher unfreundlicher Akt an den Flussnachbarn zu betrachten: Beide Bundesländer erwirkten Ausnahmeregelungen vom vorgesehenen strikten Bauverbot in den unmittelbaren Flusswiesen. Dabei zeigt gerade das Beispiel Dresden mit seinen freien Elbwiesen den Nutzen dieser Reglementierung: Ohne die Freiflächen hätte es die sächsische Barockstadt 2002 noch weit schlimmer getroffen.
Wünschenswert wäre selbstverständlich weiterhin eine Renaturierung von Auen, denn sie bremsen Flutwellen ähnlich wie gesteuerte Polder, die man bei Bedarf öffnen und fluten kann. Und der Verzicht auf weitere Begradigungen und Ausbaumaßnahmen – etwa an der Donau oder der Elbe – ist ebenfalls nicht nur aus der Sicht des Naturschutzes sinnvoll, denn auch der historische Umbau der Flüsse zu Schiffs-Autobahnen hat zur heutigen Hochwasser-Malaise sein Quäntchen beigesteuert.
Insgesamt muss also in Deutschland nicht nur nach der Meinung von Emil Dister noch viel zum Hochwasserschutz getan werden. Denn das nächste "Jahrhundert"hochwasser folgt bestimmt – vielleicht sogar schon dieses Jahr, wohl aber kaum erst in 100 Jahren.
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