Bergbau: Nach dem Steinkohleaus kommt das Wasser
»Unsere Kohle benötigt kein Zwischenlager!« stand auf den Stoffbannern, mit denen die Kohlekumpel – letztendlich vergeblich – die Zechenschließungen im Ruhrgebiet verhindern wollten. Doch das war bestenfalls die halbe Wahrheit. Seit Ende 2018 die letzte Steinkohlenzeche Prosper Haniel in Bottrop zumachte, bleibt das Ruhrgebiet als womöglich immerwährendes Sorgenkind zurück. Einerseits droht das Ruhrgebiet zur Seenplatte zu werden: Durch den Bergbau ist die Region unter den Grundwasserspiegel abgesackt – die Innenstadt in Essen um fast 30 Meter.
Über zwei Drittel der Kosten allerdings wird eine andere Gefahr verschlingen: Warmes und salziges Grubenwasser aus der Tiefe, das bislang abgepumpt wird, könnte womöglich die in den höheren Bergwerkstollen gelagerten Giftstoffe mobilisieren. Diese Altlasten verbleiben in der Zeche, wenn sie verschlossen wird. Die Brühe droht, die Schadstoffe in höhere Grundwasserschichten zu tragen, die das Trinkwasser für zigtausende Menschen liefern.
Der Plan vom endgültigen Verschließen der Zeche sieht vor, dass alle Geräte und Materialien, die transportabel und von Wert sind, über Tage hochbefördert werden. So zum Beispiel ein tonnenschwerer, fast zwei Meter hoher Walzenschrämlader, der die Kohle mit einem dornenbesetzten Stahlrad aus dem Fels fräste und nun selbst in Stücke zerlegt wieder nach oben kommt – oder, weniger spektakulär, unzählige Neonröhren. Ein Teil der Bergwerksmaschinerie bleibt unten. So wie die Hydraulikstempel, die die letzten Bergmänner spülen werden, bis sie ölfrei sind. Diese Stützen werden in der Tiefe überdauern ebenso wie die Schilde, die das Deckengewölbe der alten Männer halten – so heißen die Strecken, aus denen die Kohle komplett abgebaut wurde. Im Mai 2019 werden die Arbeiter Prosper Haniel in Bottrop leergeräumt haben.
Unterirdisches Wasser
Solange die Kumpel unter Tage arbeiten, muss das Grubenwasser abgepumpt werden, damit der Bergmann trockenen Fußes arbeiten kann. Schon jetzt drückt das Wasser aus dem Gestein und mäandern in 1200 Meter Tiefe kleinen Rinnsale am Boden. Es setzt sich aus dem salzigen Wasser aus dem Gestein und dem von oben sickernden Niederschlagswasser zusammen. Um die 80 Millionen Kubikmeter davon schaffen Pumpen mit hohen Kosten aus einer Tiefe von bis zu 1,5 Kilometern nach draußen. Sobald die Anlage endgültig geschlossen wird, ist das eigentlich nicht mehr nötig. Dann könnte die Zeche volllaufen, weshalb die RAG – ehemals Ruhrkohle AG – plant, die Pumpen für das Grubenwasser erst mal abzustellen.
Bislang ist vorgesehen, die Pumpen anzuhalten, bis das Grubenwasser von über 1000 bis auf 600 Meter Tiefe angestiegen ist. Die Kunst – oder Schwierigkeit – ist es, die salzige und warme Flüssigkeit nicht so hoch steigen zu lassen, dass sie sich mit dem höher gelegenen Trinkwasser vermischt. An einigen Stellen will die RAG-Stiftung 150 Meter Sicherheitsabstand bis zu den Schichten mit diesem kostbaren Gut lassen. Um nicht an allen Zechen einzeln pumpen zu müssen, sondern an einigen wenigen, nutzt die RAG ein unterirdisches Netzwerk. Denn der Untergrund des Ruhrgebiets ist zwar löchrig, aber keineswegs wie ein Käse: Im Milchprodukt wären die Löcher in sich geschlossen. Der Steinkohleabbau unter der Erde aber besteht aus einem gigantischen Labyrinth von Schächten und Strecken, die über Hunderte von Kilometern miteinander verbunden sind. Damit kann die RAG-Stiftung das energieintensive Pumpen auf zentrale Sammelstellen beschränken. Dafür müssen sie aber erst einmal die Geräte stoppen, damit es auf höherem Niveau an diesen Stellen zusammenfließen kann.
Das aus dem Berg quellende Tiefenwasser strömt dann in die unterirdischen Hohlräume ein und fließt über die miteinander verbundenen Gänge zu einem zentralen Speicher. Lohberg ist so eine Stelle, um die 15 Kilometer Luftlinie von der Zeche Prosper Haniel entfernt, an der zwei Pumpen installiert sind. Die RAG fördert das Grubenwasser hier nach oben und flutet es in Rhein, Ruhr oder Lippe. Verschont von dem salzigen und schadstoffhaltigen Wasser bleibt in Zukunft nur die Emscher, denn das passt nicht mehr zum Sanierungskonzept dieses Vorzeigegewässers für Renaturierung der Region.
Kontrolliertes Volllaufen
Das ist zumindest bislang der Wunschplan. Doch dass dabei einiges schieflaufen kann, zeigen frühere Schließungen wie bei der Zeche Sophia-Jacoba, in der Nähe des rheinländischen Erkelenz. Als sie 1997 geflutet wurde, kam es auf einer Länge von neun Kilometer zu schwer wiegenden oberirdischen Gebäudeschäden in den Gemeinden Wassenberg, Wegberg und Hückhoven. Nachdem unterirdisch Wasser einfloss, erschienen nach wenigen Jahren Risse in den Wänden von Häusern, Holzbalken wurden aus der Giebelwand gezogen, Hausanschlussleitungen rissen ab. Vorgärten und Parkplätze platzten auf. Zahlreiche Häuser waren so schwer geschädigt, dass sie abgerissen werden mussten. Volker Baglikow von der RWTH Aachen hat 2010 für seine Promotionsarbeit die Schäden und die Ursachen untersucht. Er schlug vor, bei zukünftigen Zechenschließungen das Ganze kontrollierter stattfinden zu lassen. Damit solche Missgeschicke sich bei Prosper Haniel nicht wiederholen, hat sich die RAG-Stiftung dafür wissenschaftliche Hilfe gesucht.
Christian Melchers von der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum und Leiter des von der RAG-Stiftung finanzierten Forschungszentrums Nachbergbau will mit Sonden die Dynamik des reindrückenden Wassers überwachen. Dafür montiert er unter Tage kilometerlange Spezialkabel in den Gängen. Mit ihnen kann er überprüfen, ob das Wasser mit der richtigen Geschwindigkeit und in die richtige Richtung fließt. Die tiefseetauglichen Sonden überstehen die hohen Drücke und messen Temperatur, Salzgehalt, Fließgeschwindigkeit, Druck und Wasserstand. »Wenn sich das Wasser im Grubenraum verteilt, kann da keiner mehr rein und nachschauen«, erläutert er. Die Messgeräte müssen einiges aushalten, und das ziemlich lange: Das Volllaufen kann bis 2035 dauern. Aus den Daten berechnet Melchers mit seinem Team, wie das Wasser strömt. »Läuft es nicht wie gewollt, dann kann mit den Pumpen gegengesteuert werden«, so der Wissenschaftler.
Melchers stellt auch in Frage, wie voll die Grube laufen soll und was ein sinnvoller zukünftiger Wasserspiegel wäre. Denn er hätte nichts dagegen, die Pumpen überhaupt nie wieder anzustellen. Dann würden die Gruben mehr als bis zu den anvisierten 600 Metern Tiefe gefüllt. »Mit steigender Höhe wird auch der Druck geringer und es stellt sich ein natürlicher Zulauf von weniger mineralisiertem Wasser ein. Selbst wenn sich dann irgendwann die unterschiedlich salzigen Wasserschichten berühren, stellt sich eine klar definierte Schichtung ein – ähnlich wie in der Ostsee.« Das dortige Tiefenwasser sei immerhin zwei- bis drei-, manchmal bis zu zehnmal salziger als das Meereswasser darüber. Auch in dem Bergwerk würde sich eine scharfe Grenze mit einem Dichtesprung einstellen, so der Forscher. An so einer Schicht, im Meer als Halokline bezeichnet, vermischen sich die unterschiedlichen Wassermassen kaum, bei Prosper Haniel wäre das Grundwasser außerdem durch eine dicht gepackte Mergelschicht hydrologisch getrennt und damit geschützt, erklärt Melchers die Situation. Erforschen will er das mit einem wissenschaftlichen Monitoring, denn »bislang hat das noch nie einer wissenschaftlich untersucht«. Zeit hat er dafür, denn das Volllaufen geschieht langsam und wird viele Jahre dauern.
Was ist mit Altlasten?
Doch das Grubenwasser ist nicht nur etwas sehr salzig und warm. In den 1980er Jahren leitete die RAG geschätzt über 12 000 Tonnen Hydrauliköl mit Krebs erregenden polychlorierten Biphenylen (PCB) in den Boden. Wo und in welcher Tiefe sich die Stoffe genau befinden, ist unbekannt. Die PCB gehören zu jener als »dreckiges Dutzend« bezeichneten Gruppe von Chemikalien, die Krebs erregend und weltweit verboten sind, in Deutschland seit 1989. Da Grubenwasser schon immer abgepumpt wird, sind diese Stoffe allerdings bereits während der Betriebszeit der Zeche in den Flüssen der Region angekommen. Das Landesamt für Umweltschutz (LANUV) fand im März 2015 erstmals bis zu dreifach höhere Werte für PCB in der Emscher, in die Wasser aus Prosper Haniel eingeleitet wurde. Die Werte lagen über der geltenden Umweltnorm für Oberflächengewässer – vorher war schlicht falsch gemessen worden.
Andere Flüsse wie die Lippe waren ähnlich belastet. Würde man also den Tagebau bis zur Halskrause volllaufen lassen, würden auch diese höher gelegenen und kontaminierten Strecken komplett durchströmt. Die PCB-getränkten Schichten können dann intensiver ausgewaschen werden. Über deren Gefahrenpotenzial sind sich die Fachleute allerdings nicht einig. Melchers meint, PCB sind schwer wasserlöslich, binden sich an feine Schwebstoffe und gelangen somit nicht ins abtransportierte Wasser. Jedenfalls wenn langsam gepumpt wird. Auch die Wissenschaftler der RWTH Aachen und der TU Clausthal waren zum Schluss gekommen, dass die Grubenflutung dazu führt, dass das PCB besser im Bergwerksboden verbleibt. Doch schon jetzt gelangt PCB in die Flüsse der Region, an einigen saarländischen Orten mit Bergbau in solchen Konzentrationen, dass nach Protesten von Umweltschutzverbänden die RAG Absetzweiher über Tage einsetzen will, um die Schwebstoffe zu sammeln.
Dirk Jansen, Geograf und Leiter des BUND in Nordrhein-Westfalen sieht in Zukunft durch den Grubenwasseranstieg kritische Umweltbelastungen auf die Region zukommen. Die Organisation fordert, das Wasser erst in Rhein, Ruhr oder Lippe einzuleiten, wenn es gereinigt worden ist. Im Rahmen von Pilotversuchen werde in Ibbenbüren derzeit eine Methode dazu getestet.
Zusätzlich lagern in elf anderen Bergwerken des Ruhrgebiets weitere Altlasten. Zukünftig werden sie durch den Wasseranstieg unterirdisch miteinander und mit der Zeche Prosper Haniel verbunden sein. In den betroffenen und zu Endlagern umfunktionierten Stollen wurden insgesamt an die 1,6 Millionen Tonnen bergbaufremde Reststoffe eingelagert, darunter 600 000 Tonnen als Werkstoffe umdeklarierte Sonderabfälle wie Filterstäube aus Verbrennungsanlagen und Gießereialtsande. Ihr Inhalt: polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Schwermetalle, Dioxine, Furane. Die Stäube wurden in die Gänge mit zementartigen Zuschlagstoffen als pastenartige Masse hineingepumpt. Meist in die Alten Männer, die ausgekohlten Bereiche. Mitte 2017 veröffentlichte die Landesregierung ein Gutachten, das sie bei der RWTH Aachen in Auftrag gegeben hatte. Im Text zur »Prüfung möglicher Umweltauswirkungen des Einsatzes von Abfall- und Reststoffen« finden sich allerdings sehr oft die Sätze: »Zu den Inhaltsstoffen liegen nur sehr wenige Informationen vor. Eine umfassende Bewertung kann nicht erfolgen.« Denn Analysen von einem großen Teil der dort gelagerten Schlämme liegen nicht vor. Die Gutachter kommen dennoch zum Schluss, dass die PAK von der Kohle absorbiert werden und Dioxine an Partikel gebunden im Untergrund verbleiben, solange kaum Fließgeschwindigkeiten vorhanden sind. Wie sich die 12 000 Tonnen PCB verhalten, darüber seien konkrete Prognosen über die Konzentrationen, die sich im Wasser lösen, oft nicht möglich. Sie empfehlen ein kontinuierliches Monitoring, letztendlich seien sie aber nur durch eine technische Nachbehandlung zu entfernen.
Erste, geringe Frachten an Schwermetallen im Wasser erwarten die Prüfer in 26 Jahren im Wasser, höhere frühestens in 1000 Jahren. Insgesamt würden sie aber keine Risiken auf das Grundwasser zukommen sehen, eingeschränkt auf heutige Bewertungsmaßstäbe. »Mit einer erforderlichen Langzeitsicherung hat das nichts zu tun«, so Dirk Jansen. Er vermutet eher eine dauerhafte zusätzliche Gewässerbelastung und warnt davor, es zu verharmlosen.
Land unter im Ruhrgebiet?
Doch wie sich die Grubenwasserexperten auch einigen werden, die oberirdischen Pumpen müssen auf alle Fälle immer funktionstüchtig laufen. Denn die unterirdischen Stollen sind an einigen Stellen eingestürzt, und die Oberfläche ist sichtbar eingedellt – in Prosper Haniel um 14 Meter, anderswo um 30 Meter. Diese Senken würden mit Regenwasser volllaufen und ein Fünftel des Ruhrgebiets zur Seenplatte werden lassen. Dann wäre Land unter, ob mit oder ohne giftige Kontaminationen.
Damit das nicht passiert, zahlt die RAG-Stiftung alles in allem zukünftig geschätzte 220 Millionen pro Jahr, Tendenz steigend. Schon jetzt zweifeln einige, ob das reicht. Und ob das ohne den Einsatz von Steuergeldern geht? Der Stiftungschef der RAG, Werner Müller, sagte 2017 noch dazu: »Ich kann in den nächsten 50 Jahren nicht erkennen, dass wir zur Finanzierung der Bergbaulasten den Steuerzahler benötigen – eine friedliche Welt vorausgesetzt.« Immerhin haben wir »Wohlstand und die wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Region der Steinkohle zu verdanken«, so Bernd Tönjes, Vorstand der RAG auf dem Bergbauforum. Allerdings gilt das nur auch dann für die Zukunft, wenn die oberirdischen Pumpen ewig weiterlaufen. Ohne Halbwertszeit.
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