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Nachhaltig leben: Unverzichtbarer Konsumverzicht

Die ständige Verfügbarkeit von Waren bereitet Umwelt und Klima große Probleme. Würden die Menschen bewusster konsumieren, könnten die CO2-Emissionen halbiert werden. Einblicke in gelebte Praxis.
Eine Frau sitzt auf einer Couch umringt von einem riesigen Berg Kleidung
Von allem zu viel: Die Überproduktion von Konsumgütern schadet Umwelt und Klima – und am Ende uns selbst.

Wir leben in einer Zeit, in der wir ständig, immer und überall einkaufen können: Wer möchte, kann sich innerhalb weniger Minuten online ein neues Handy bestellen, eine Kettensäge oder ein Schlauchboot. Fast egal, was es ist – schon am folgenden Tag wird es nach Hause geliefert, kostenlose Retoure inklusive. Die ständige Verfügbarkeit von Waren, die oft selbstverständlich erscheint, ist jedoch noch ein recht junges Phänomen. Die Überflussgesellschaft, in der die westliche Bevölkerung heute lebt, nahm ihren Anfang in den 1970er und 1980er Jahren. Doch erst im 21. Jahrhundert sind die Konsummöglichkeiten durch Globalisierung und Onlinehandel allumfassend geworden.

Das ist praktisch – bereitet Umwelt und Klima aber auch große Probleme: Weil CO2 und andere klimaschädliche Gase die Klimaerwärmung weiter anheizen, muss ihr Ausstoß deutlich reduziert werden. Aktuell liegen die Emissionen in Deutschland pro Person und Jahr bei 10,8 Tonnen CO2-Äquivalenten. Das Bundesumweltministerium nennt als Zielmarke einen Jahresausstoß von weniger als einer Tonne CO2 pro Person bis spätestens 2050. Auf mehr als 70 Prozent der Emissionen können die Verbraucherinnen und Verbraucher direkt Einfluss nehmen, indem sie ihr Konsumverhalten ändern. Die möglichen Einsparungen sind beträchtlich: Würden die Menschen bewusster konsumieren, weniger Auto fahren, Ökostrom nutzen, auf Flugreisen verzichten, sich pflanzenbetont ernähren, Wasser sparen und Wohnraum stärker dämmen, könnten die durchschnittlich emittierten klimawirksamen Gase halbiert werden.

Und tatsächlich gibt es immer mehr Menschen, die bewusst verzichten: Sie lassen das Auto stehen oder schaffen es ganz ab, fliegen nicht mehr, kaufen ausschließlich Bioprodukte, ernähren sich vegan oder vermeiden Plastikverpackungen. Die Zahl der Vegetarier etwa hat sich von 6,1 Millionen im Jahr 2019 auf 7,9 Millionen im Jahr 2022 erhöht. Die Zahl der Veganer liegt aktuell bei 1,58 Millionen, hat sich aber seit 2016 verdoppelt.

Christiane Sieg hat den Verzicht auf Verpackungen zu ihrem Beruf gemacht: Seit Ende 2017 betreibt die studierte Biologin den Unverpacktladen »Der Sache wegen« im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Für Sieg ist der eigene Laden ein konkreter Beitrag zum Umweltschutz. »Jeder, der etwas für Umwelt oder Klima tun will, kann oder sollte sogar beim eigenen Kaufverhalten anfangen«, sagt sie.

Es geht ihr darum, der Kundschaft Produkte anzubieten, die ethisch und ökologisch vertretbar sind. Der Standard, den sie sich selbst gesetzt hat, geht dabei zum Teil weit über den herkömmlicher Biomärkte hinaus: »Unsere Produkte suchen wir nach den Kriterien bio, regional und fair produziert aus. Außerdem sollen sie plastik-, tierleid- sowie palmölfrei sein«, sagt sie. So stammen etwa die Linsen im Sortiment aus Europa oder sogar Deutschland und sind deshalb teurer als die Linsen aus China, die in vielen Biosupermärkten verkauft werden. Angeboten wird auch ein fair gehandelter Biokaffee, der nicht im Container, sondern – wegen der besseren Ökobilanz und der besseren Arbeitsbedingungen – im Segelschiff nach Europa transportiert wird. So viel Aufwand schlägt sich dann auch im Preis nieder. Das Kilogramm Kaffee kostet knapp 40 Euro.

Das ist wohl der angemessene Preis dafür, wenn man neben Bioqualität auch noch klimafreundliche Transportwege und faire Arbeitsbedingungen garantieren möchte. Eine Tatsache, die in Anbetracht von Discounter-Kaffee, der für 10 Euro pro Kilogramm zu haben ist, oft vergessen wird. Unter solchen Bedingungen wird Kaffee zum Luxusprodukt. Doch war die Kundschaft auch vorher schon auf einen recht kleinen Kreis begrenzt, und die Corona-Pandemie und die gestiegene Inflation haben den Unverpacktläden überall zusätzlich stark zu schaffen gemacht. In Berlin hat nur eine Hand voll weiterer solcher Geschäfte überlebt. Zudem haben mittlerweile auch reguläre Supermärkte kleinere oder größere Unverpacktstationen.

Ein Jahr kein Plastik? Fast unmöglich!

Vor gerade einmal zehn Jahren eröffnete in Berlin der erste Unverpacktladen. Entsprechend schwierig war es deshalb zu der Zeit für Jan Korte, ein Jahr lang auf Kunststoffe aller Art zu verzichten. »Ich habe damals in einer WG gewohnt und die Küchenschränke quollen über vor Plastikverpackungen«, sagt der 38-Jährige heute. Korte arbeitete damals beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und entwickelte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die Idee, auch andere Menschen zu einem einjährigen Verzicht auf bestimmte Konsumgüter zu bewegen.

»Ich habe für ganz alltägliche Besorgungen viel mehr Zeit und Geld gebraucht als vorher, das war wahnsinnig aufwändig«Jan Korte, Rat für Nachhaltige Entwicklung

»Plastik, das steht für mich sinnbildlich für den fossilen Lebenswandel«, sagt der Politikwissenschaftler. »Ich wollte einmal sehen, wie schwierig es ist, ohne auszukommen.« Ein Experiment, um etwas über Selbstdisziplin zu lernen, aber auch über die Strukturen des Systems. Im Praxistest zeigte sich schnell: fast unmöglich! Kurz in den Supermarkt, um alles Nötige zu kaufen? Geht nicht! Dort ist nahezu alles in Kunststoff verpackt. »Ich habe für ganz alltägliche Besorgungen viel mehr Zeit und Geld gebraucht als vorher, das war wahnsinnig aufwändig«, sagt Korte.

Auch die Journalistin Almut Gaude gehörte zu der BUND-Gruppe. »Über die Arbeit war ich schon immer dicht dran an Umwelt- und Klimathemen. Mit dem Faktenwissen war es mir fast unmöglich, meinen Konsum nicht umzustellen«, sagt sie. Als der BUND schließlich einen Monat Plastikfasten propagiert, probiert sie es selbst ebenfalls aus. »Das war echt schwierig«, gibt sie zu. Als Jahresaufgabe stellte sie sich aber einer anderen Herausforderung: 365 Tage ohne neue Kleidung. »Früher bin ich super gerne shoppen gegangen, habe das Gefühl gemocht, die Sachen auszusuchen und aus dem Laden zu tragen. Darauf zu verzichten, kam mir zunächst ganz schön schwierig vor«, sagt sie. Wie sich schnell herausstellte, war es das aber gar nicht: »Berlin machte mir das recht einfach, weil es hier so viele Secondhandläden gibt«, sagt Gaude. Die Challenge passte zu ihrem alternativen Lebensstil: Würde sie nicht für Umwelt-NGOs arbeiten, sondern etwa als Anwältin in einer großen Kanzlei, hätten die gebrauchten Kleidungsstücke vermutlich den strengen Dresscode gesprengt. So aber bekam sie Komplimente für ihren individuellen Kleidungsstil.

Bis heute kauft Gaude nur sehr selten neue Kleidung; wenn, dann möglichst von Fairtrade-Labels oder aus Bio-Materialien. Auch, weil sie die zum Teil Menschen verachtenden Bedingungen kennt, unter denen Kleidung in Indien oder Bangladesch hergestellt wird, und weiß, welche Umweltschäden und wie viel Tierleid mit der Produktion verbunden sind. Als weitere Anpassungen für einen nachhaltigeren Lebensstil isst sie nur noch wenig Fleisch und verzichtet grundsätzlich auf Flugreisen innerhalb Europas. Als große Einschränkung will sie das aber nicht verstehen. »Im Gegenteil. Ich finde Bahnreisen, auch über lange Strecken, großartig.«

»Es ist heute selbstverständlicher, dass über den Klimawandel geredet wird. Das war bis vor einigen Jahren nicht so. Da haben sich die Leute zum Teil persönlich angegriffen gefühlt, wenn sie gehört haben, dass ich aus Umweltgründen aufs Fliegen verzichte«Almut Gaude, Autorin

Korte und Gaude sind bis heute dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich beruflich treu geblieben. Jan Korte arbeitet inzwischen für den Rat für Nachhaltige Entwicklung – ein Beratungsgremium der Bundesregierung. Gaude ist als Autorin für verschiedene Umweltorganisationen tätig. Beide beobachten, dass Klimawandel und Konsum als Themen stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. »Es ist heute selbstverständlicher, dass über den Klimawandel geredet wird. Das war bis vor einigen Jahren nicht so. Da haben sich die Leute zum Teil persönlich angegriffen gefühlt, wenn sie gehört haben, dass ich aus Umweltgründen aufs Fliegen verzichte«, sagt Gaude.

Jan Korte hat das persönliche Plastikverbot über das Jahr hinaus nicht aufrechterhalten. »Das war für mich einfach nicht praxistauglich. Es ging auch eher darum, auszuloten, wie allgegenwärtig Plastik in unserer Gesellschaft ist und wie schwierig, darauf zu verzichten«, sagt er. Korte und auch Gaude erkennen bei der Politik viel zu häufig noch den Hang dazu, Entscheidungen auf die Verbraucher abzuwälzen, statt selbst zu handeln. »Dass To-go-Einwegbecher zehn Jahre später immer noch nicht verboten sind, finde ich ziemlich merkwürdig«, sagt Korte. Der Berg von Plastikmüll wäre jedenfalls deutlich kleiner, wenn die Politik zu Anfang des Jahres ein echtes Einweg-Verbot erlassen hätte und nicht bloß eine Mehrweg-Angebotspflicht. Andere Beispiele sind die Haltungsstufen bei der Tierhaltung, die mittlerweile auf etlichen Produkten prangen, und auch die diversen Fairtrade-Siegel. Anstatt selbst für die Einhaltung fairer Produktionsbedingungen und für gewisse Standards bei der Tierhaltung zu sorgen, wird die Kaufentscheidung allein den Verbrauchern aufgebürdet.

Möglichkeiten, auf Konsum zu verzichten

  1. Verzicht auf Fleisch oder sämtliche tierischen Produkte: Vegetarismus oder Veganismus sind die häufigsten Formen des Konsumverzichts. Gründe dafür sind häufig die Vermeidung von Tierleid und die Emissionsverringerung. Es kann ein wirksames Instrument sein, um die Ernährungssicherheit von künftig zehn oder elf Milliarden Menschen zu gewährleisten.
  2. Verzicht auf konventionell erzeugte landwirtschaftliche Produkte: Der Marktanteil von Bioprodukten wächst kontinuierlich. Aktuell liegt er bei knapp sieben Prozent. Einer der Gründe, die für Produkte von biologisch bewirtschafteten Flächen sprechen, ist eine im Vergleich zu konventionellen Flächen um durchschnittlich 30 Prozent höhere Artenvielfalt.
  3. Verzicht auf Plastik und andere Verpackungen: Fast jedes Produkt im Supermarkt ist verpackt. Bei jedem Verbraucher fallen im Jahr durchschnittlich 78 Kilogramm Verpackungsmüll an: 32 Kilogramm Leichtverpackungen, 25 Kilogramm Glasverpackungen und 20 Kilogramm Papier, Pappe und Karton. Wer auf Verpackungen verzichten möchte, kann in Unverpacktläden einkaufen.
  4. Verzicht auf lange Transportwege: In der globalen Welt von heute werden Waren aus aller Welt in aller Welt verkauft. In den Obst- und Gemüseabteilungen der Supermärkte finden sich viele Produkte aus Übersee, selbst wenn die Produkte auch regional angebaut werden. Es gibt Initiativen, die sich auf eine Vermarktung regionaler Produkte spezialisiert haben. Hier werden zudem Standorte von Obstbäumen aufgelistet, an denen man sich kostenlos bedienen kann.
  5. Verzicht auf Neuware: Wer in kurzen Abständen immer das neueste Handymodell oder die neueste Modekollektion kauft, sorgt dafür, dass immer neue Konsumgüter produziert werden. Wesentlich ressourcenschonender und klimafreundlicher ist es, Kleidung oder technische Geräte erst dann zu ersetzen, wenn sie kaputtgehen. Wer secondhand kauft, spart nicht nur Geld, sondern schont auch Ressourcen. Deutschlandweit gibt es knapp 1000 so genannte Repair-Cafés, in denen die Geräte zu bestimmten Terminen für wenig Geld repariert werden können.

Auf der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus

Auch Tobias Rosswog hat sich vor zehn Jahren entschlossen, sein Konsumverhalten zu ändern. Nicht mit einer temporären Challenge, sondern grundsätzlich und auf die radikalste Art, die in unserer Gesellschaft möglich ist: »Ich hatte dieses wachstumskapitalistische Monster satt und wollte einfach mal ausprobieren, wie weit ich ohne Geld kommen kann«, sagt Rosswog. Schon damals, während seines Studiums in Hannover, suchte er nach Alternativen zur kapitalistischen Gesellschaft, hielt wachstumskritische Vorträge und lebte in einer solidarischen Wohngemeinschaft, in der jeder zur Miete so viel beisteuerte, wie er oder sie abgeben konnte.

Doch selbst das reicht Rosswog irgendwann nicht mehr: Er bricht sein Studium ab, verschenkt seine Ersparnisse und zieht durchs Land, um Vorträge zu halten und Gleichgesinnte zu finden. Bis zu 200-mal im Jahr spricht er vor Studierenden, Gewerkschaften, Parteien und Unternehmen. Für seine Vorträge nimmt er kein Geld an. Er fährt per Anhalter zu den Veranstaltungsräumen, versorgt sich in Umsonstläden mit Kleidung. Zweieinhalb Jahre geht das so.

Dann zieht ihn das System zurück in seine Arme: »Als ich 25 wurde, brauchte ich 200 Euro im Monat, weil ich mich selbst krankenversichern musste«, sagt Rosswog. Seither versucht er zwar weiterhin, so geldfrei wie möglich zu leben. Vortragshonorare nimmt er heute bei Bedarf allerdings an. Geld, das er nicht braucht, landet wie früher in einer Gemeinschaftskasse. Rosswog kommt mit sehr wenigen Konsumgütern aus. Er hat – natürlich – kein eigenes Auto und auch keine eigene Mietwohnung. Aktuell übernachtet er in aller Regel in der »Amsel 44«, einem spendenfinanzierten Aktions- und Projekthaus in Wolfsburg, das er mitinitiiert hat. »Bislang ist Wolfsburg als die Volkswagen-Stadt bekannt, Sitz von einem der größten Autokonzerne der Welt. Wenn es nach uns geht, soll VW künftig für die Verkehrswende stehen, die wir von hier voranbringen wollen«, sagt Rosswog. Die »Amsel« steht allen offen, die sich einbringen wollen. Für längere Aufenthalte gibt es auch Schlafplätze. Dort werden Aktionen und Kampagnen gemeinsam mit Arbeitern und Arbeiterinnen von VW geplant, mit dem Ziel, dass der Konzern in Zukunft keine Autos mehr produziert, sondern Bahnen, Busse und Lastenräder.

Rosswog ist auch mit anderen Projekthäusern verbunden, die Alternativen zum Kapitalismus zu leben versuchen: so etwa mit dem Funkenhaus und der K20, beide in der Nähe von Göttingen. Es sind »tauschlogikfreie« Orte, die er mit aufgebaut hat. Tauschlogikfreiheit ist ein Konzept, das das kapitalistische Grundprinzip von Tauschwerten, also von Leistung und Gegenleistung, ablehnt. Wenn Rosswog zum Beispiel in seiner geldfreien Zeit einen Vortrag hielt, dann tat er das nicht, um dafür Kost und Logis zu bekommen, sondern nur, weil er einen Vortrag halten wollte. »Wenn mir jemand eine Übernachtungsmöglichkeit als Gegenleistung für einen Vortrag anbieten wollte, habe ich abgelehnt – und den Vortrag trotzdem gehalten«, sagt Rosswog. An die K20 ist der Bahnhofskiosk »Zur Molli« angeschlossen, ein Ort der Begegnung, der von einer Gruppe Freiwilliger gemeinschaftlich organisiert wird. Es ist ein nichtkommerzielles Café, in dem jeder für sein Essen und Trinken so viel bezahlt, wie er oder sie kann.

Wann droht der Systemkollaps?

Zwei Fragen drängen sich beim Konsumverzicht auf: Würde es die Gesellschaft überhaupt verkraften, wenn alle plötzlich aufhörten zu konsumieren? Und umgekehrt: Hat es überhaupt einen Effekt, wenn nur eine kleine Minderheit den Konsumverzicht übt?

Hörten alle schlagartig auf, neue Klamotten zu kaufen, würde die Bekleidungsindustrie zu Grunde gehen. Versuchten alle plötzlich, ohne Geld zu leben, würde das gesamte System kollabieren. Auch Tobias Rosswog kann logischerweise nur deshalb per Anhalter fahren und umsonst übernachten, weil andere Geld für ein Auto und für eine Miet- oder Eigentumswohnung ausgegeben haben.

Allerdings besteht die Gefahr eines Systemkollapses derzeit nicht. Die Zahl derer, die auf Konsum verzichten, kann den Konsumhunger der Mehrheitsgesellschaft bei Weitem nicht ausgleichen. Anfang des Jahres 2022 gab es in Deutschland so viele Autos wie nie: 48,5 Millionen Fahrzeuge. Das sind 300 000 mehr als im Vorjahr und sieben Millionen mehr als vor 15 Jahren. Trotz Bevölkerungswachstum wird die Wohnfläche, die jedem Einzelnen in Deutschland zur Verfügung steht, immer größer und die Zahl der Flugpassagiere hat sich von 1990 bis 2019 vervierfacht. Sie wird schon bald das Rekordniveau von vor der Coronakrise übertreffen.

»Einzelbeispiele können Alternativen zum Status quo aufzeigen und Vorbildfunktion haben, indem sie die Möglichkeit eines anderen Konsums sichtbar machen«Maike Sippel, Professorin für nachhaltige Ökonomie

Maike Sippel sieht daher die Politik in der Pflicht, mit entsprechenden Vorgaben und breiter Unterstützung den Weg in eine nachhaltige Zukunft gangbar zu machen. Dennoch sei das Verhalten Einzelner von großer Bedeutung. »Einzelbeispiele können Alternativen zum Status quo aufzeigen und Vorbildfunktion haben, indem sie die Möglichkeit eines anderen Konsums sichtbar machen«, sagt die Professorin für nachhaltige Ökonomie an der Hochschule Konstanz. »Wenn ich mich zum Konsumverzicht entschließe, ist es wichtig, auch öffentlich für meine Position einzutreten.« Beide Aspekte könnten sich dann gegenseitig verstärken: Komme man zu der Überzeugung, dass weniger Konsum eine wichtige Stellschraube ist, um die Erde lebensfähig zu erhalten, sei man eher bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Und es bestehe die Chance, dass andere das Verhalten nachahmen. »Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen, die aus Umweltgründen aufs Fliegen verzichten, andere Menschen dazu motivieren können, ebenfalls weniger zu fliegen«, sagt Sippel.

Weil sie sich bereits so lange mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt, hat die Professorin auch ihr eigenes Konsumverhalten umgestellt: Sie besitzt kein eigenes Auto, verzichtet seit zehn Jahren aufs Fliegen und versucht, sich weitgehend vegan zu ernähren. Als praktische Übung hat es der Konsumverzicht bis in den Lehrplan der Hochschule geschafft: »Zum Seminar ›Nachhaltige Ökonomie 1‹ gehört auch eine vierwöchige Climate-Challenge«, sagt Sippel. Dazu, erklärt sie, wählen die Studierenden einen Bereich aus, in dem sie ihr Verhalten vier Wochen lang nachhaltig verändern wollen. Das könne sein, aufs Auto zu verzichten oder auf vegetarische oder vegane Ernährung umzustellen. »Vier Wochen sind dafür eine gute Zeitspanne. Kurz genug, um durchzuhalten. Lang genug, dass sich neue Routinen herausbilden können«, sagt sie. Neben dem Selbstversuch gehört zur privaten Climate-Challenge verpflichtend auch der Schritt an die Öffentlichkeit. »In diesem Semester haben die Studierenden Kontakt zu Bundestagsabgeordneten aufgenommen, um mit ihnen über den Nachbesserungsbedarf bei der CO2-Steuer zu diskutieren. So eine CO2-Steuer muss sich auch in der Industrie bemerkbar machen, wo es ja ebenfalls große Veränderungen braucht«, sagt Sippel.

Die praktische Challenge kann im Kleinen zeigen, dass Veränderungen des Verhaltens tatsächlich möglich sind. Der Schritt an die Öffentlichkeit – bei einem Unikurs zum Thema »Nachhaltige Ökonomie« gehört auch eine Prise Aktivismus dazu – ist dann der Versuch, in der Bevölkerung genügend Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu finden, damit eine kritische Masse erreicht wird, die die Politik zum Handeln bringt.

So viel Aktivismus ist möglicherweise nicht jedermanns Sache. Aber ohne den verpflichtenden Schritt an die Öffentlichkeit kann eine Climate Challenge für viele Menschen funktionieren. Im Mittelpunkt steht der Wechsel vom unbewussten zum bewussten Umgang mit dem eigenen Konsumverhalten: Wer sich einmal die Zeit nimmt und in Ruhe über Produktionsbedingungen, Nachhaltigkeit und Klimaauswirkungen bestimmter Produkte nachdenkt, kommt vermutlich von ganz allein darauf, dass ungehemmter Konsum nicht das Beste für unseren Planeten ist.

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