News: Nachruf auf einen Kometen
Doch warum zerbrach LINEAR? "Wir wissen immer noch nicht, was genau das Ende des Kometen besiegelte", antwortet Harold Weaver von der Johns Hopkins University. "Allerdings steht fest, dass Kohlenmonoxid-Eis nicht die Ursache war." Die Spektrografen des Hubble Space Telescope hatten nämlich gezeigt, dass die Kohlenmonoxid-Konzentrationen im Inneren von LINEAR sehr niedrig waren – rund fünfzig mal niedriger als in den Kometen Hale-Bopp und Hyakutake. Kohlenmonoxid (CO) geht direkt und ziemlich explosiv vom eisförmigen in den dampfförmigen Zustand über und hätte den Kometen selbst bei relativ niedrigen Temperaturen förmlich zerreißen können.
Und noch etwas verwirrt die Forscher. Bevor LINEAR zerbrach, hatte er eine Masse von etwa 300 Milliarden Kilogramm – das entspricht etwa der Ladung von 600 der größten Supertanker. Nach dem Ende des Kometen blieben indes nur wenig mehr als drei Milliarden Kilogramm übrig, also nur ein Hundertstel dessen, was LINEAR ursprünglich "wog".
Und wo ist der ganze Rest geblieben? Auch darauf weiß Harold Weaver keine Antwort. Er könnte sich aber vorstellen, dass der Großteil des Kometen in Stücke zerbrach, die zwischen einigen Millimetern und etwa 50 Metern groß waren. Diese Fragmente bleiben für die optischen Teleskope nämlich unsichtbar. Ihre Oberfläche ist schlicht zu klein, als dass sie ausreichend viel Sonnenlicht reflektieren.
Während die feineren Partikel in so großer Zahl vorkommen, dass das Sonnenlicht auf ihren Oberflächen reflektiert, lassen sich die größeren – einige jener 16 massereichen Fragmente durchmaßen bis zu 100 Meter – ohne weiteres von Hubble oder dem irdischen Very Large Telescope des European Southern Observatory ausmachen.
Wenn also ein Großteil von LINEAR, einer eisigen Mischung aus Gesteinsbrocken und gefrorenen Gasen, aus jenen unsichtbaren Anteilen besteht, dann hat dies wohl Konsequenzen für alle Kometen. Denn bisher gingen die Forscher davon aus, dass sich in den Kernen dieser Zeugen aus den frühen Tagen unseres Sonnensystems vorwiegend Fußballplatz-große Überreste der Planetenentstehung finden.
Doch Harold Weaver und all die Kollegen, die im Sommer 2000 gebannt an ihren Teleskopen saßen, wissen auch, dass sie Zeugen eines überaus seltenen Ereignisses waren. Noch nie zuvor war so etwas beobachtet worden, der Komet Shoemaker-Levy 9 zerfiel zwar auch bevor er auf dem Jupiter niederging, doch war dies Folge der Gezeitenkräfte des Riesenplaneten. Und ein so überaus seltenes Ereignis muss eben kein repräsentatives sein.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.