Zeitstrahl Nahostkonflikt: Ein Jahrhundert der Feindschaft
Seit Israel im Jahr 1948 gegründet wurde, wird der Nahe Osten von schier endlosen Auseinandersetzungen, Gewalt und Kriegen erschüttert. Trotz zahlreicher großer Friedenspläne kommt die Region nicht zur Ruhe.
Über 100 Jahre kämpfen Israelis und Palästinenser bereits für ihre eigene Heimat und gegen die des anderen. Nach zwischenzeitlicher Annäherung in den 1990er Jahren hatte sich der Konflikt zusehends zugespitzt. Im Oktober 2023 eskalierte die Lage mit einem verheerenden Angriff der palästinensischen Hamas auf israelische Zivilisten.
Wo liegen die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts? Und welche Ereignisse verschärften ihn? Die Geschichte der israelisch-palästinensischen Dauerkrise im Zeitstrahl.
- 1895: Die »Zionistische Bewegung« beginnt
Vor dem Hintergrund von steigendem Antisemitismus und Pogromen in Europa veröffentlicht der österreichisch-ungarische Publizist Theodor Herzl 1895 sein Buch »Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage«. Bis zu diesem Zeitpunkt leben Juden und Jüdinnen weltweit verstreut, ein eigener Staat existiert nicht. Herzl gilt als Begründer des Zionismus – einer religiös-politischen Bewegung, die darauf abzielt, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten. Nur zwei Jahre später fordert genau das der erste zionistische Weltkongress.
Schon jetzt, ausgangs des 19. Jahrhunderts, emigrieren mehr und mehr Juden, vor allem aus Osteuropa, nach Palästina. Das Land entlang der Mittelmeerküste gehört zum Osmanischen Reich und ist mehrheitlich arabisch besiedelt: 1914 leben dort bereits 85 000 Juden gegenüber 600 000 Arabern.
- 1917: Balfour-Deklaration verspricht Juden eine Heimat in Israel
Während des Ersten Weltkrieges verspricht der britische Außenminister Lord Arthur Balfour den zionistischen Führern Unterstützung bei der »Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina«. Im selben Text heißt es aber auch, dass »nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften in Palästina … in Frage stellen könnte«. Diese Erklärung, die so genannte Balfour-Deklaration, wird zum Grundstein des Nahostkonflikts.
Als das Osmanische Reich zerfällt, übernimmt Großbritannien 1922 die Mandatsherrschaft über Palästina. In den folgenden Jahren – verstärkt durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten – strömen immer mehr Juden nach Palästina: 1939 ist dort bereits jeder dritte Einwohner jüdischen Glaubens. Konflikte und Gewalt zwischen Juden und Arabern spitzen sich weiter zu.
- 1948: Der Staat Israel wird gegründetAm 14. Mai 1948 verlassen die letzten britischen Truppen das Mandatsgebiet Palästina. Noch am selben Tag ruft der designierte israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion die Unabhängigkeit Israels aus: »Am heutigen Tag endet das britische Mandat über das Land Israel. Wir rufen einen jüdischen Staat im alten Land Israel aus. Er wird Israel heißen.« Ben-Gurion bezieht sich dabei auf den UN-Teilungsplan von 1917. Darin hatte die UN-Vollversammlung die Aufteilung Palästinas in einen arabischen und jüdischen Staat vorgesehen. Jerusalem sollte unter internationaler Verwaltung stehen. Die arabischen Regierungen und Palästinenser hatten den Plan abgelehnt.
- 1948 – 1949: Mit der Gründung beginnt der Krieg
Noch am Abend nach der Ausrufung des israelischen Staates marschieren ägyptische, jordanische, syrische, libanesische und irakische Truppen in Israel ein. Es ist der Beginn des ersten israelisch-arabischen Kriegs, der 1949 mit einem Waffenstillstand endet. Israel kann den Angriff erfolgreich abwehren und beherrscht nun 77 Prozent der Landfläche Palästinas – weit mehr, als nach dem UN-Teilungsplan vorgesehen war.
In Israel wird dieser Krieg Unabhängigkeitskrieg genannt, im arabischen Sprachgebrauch wird von der Nakba (»Katastrophe«) gesprochen. Rund 700 000 Palästinenser und Palästinenserinnen fliehen oder werden vertrieben, vor allem in den Gasastreifen, der von Ägypten besetzt ist, sowie ins Westjordanland, das von Jordanien kontrolliert wird.
- 1956: In der Sueskrise gewinnt Ägypten Einfluss und eine Führungsfigur
Ägypten verstaatlicht den von einer mehrheitlich britisch-französisch dominierten Gesellschaft betriebenen Sueskanal und blockiert Israels Zugang zum Handel über das Rote Meer. Das Ziel Ägyptens ist es, die eigene Machtposition in der Region auszubauen. Daraufhin greifen Israel, Großbritannien und Frankreich Ägypten an. Für Israel geht es vor allem um den Sturz des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, auf dessen Aufrüstungspolitik das Land mit Sorge blickt. Auf Druck der USA hin ziehen Großbritannien, Frankreich und Israel ihre Truppen wieder ab. Am Ende dieses zweiten israelisch-arabischen Kriegs wird Gamal Abdel Nasser zu einer Führungsfigur der arabischen Welt.
- 1967: Im Sechstagekrieg bringt Israel das ganze Land unter Kontrolle
Am 5. Juni 1967 beginnt der dritte israelisch-arabische Krieg. Mit einem Überraschungsangriff gelingt es Israel, binnen weniger Tage den Gasastreifen und die Sinai-Halbinsel von Ägypten, die Golanhöhen von Syrien und das Westjordanland sowie Ost-Jerusalem von Jordanien zu erobern und zu besetzen. Dem Präventivschlag waren Spannungen mit Nassers Ägypten und eine erneute Blockade des israelischen Seehandels vorausgegangen. Am Ende des Krieges stehen nun praktisch alle Gebiete des historischen Landes Israel unter Kontrolle des israelischen Staates. Insbesondere im Westjordanland beginnen bereits kurz darauf die ersten Siedler, durch Anlage eigener Dörfer das Gebiet in Beschlag zu nehmen. In der arabischen Welt trägt die Niederlage den Namen »al-Naksa« (Rückschlag).
- 1973: Der Jom-Kippur-Krieg trifft Israel empfindlichAn Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, greifen Ägypten und Syrien Israel an, um die besetzten Gebiete zurückzugewinnen. Mit Unterstützung der USA kann Israel den Angriff abwehren, zeigt allerdings auch seine Verwundbarkeit. Erst nach äußerst verlustreichen Kämpfen endet der Krieg am 24. Oktober mit einem UN-Waffenstillstandsabkommen.
- 1979: Camp-David-Abkommen und ägyptisch-israelischer Friedensvertrag
Der Jom-Kippur-Krieg leitete eine Phase der Annäherung ein. Sechs Jahre später, am 26. März 1979, symbolisiert ein Handschlag eine vorsichtige Beruhigung des Nahostkonflikts: Der ägyptische Staatspräsident Anwar as-Sadat und Israels Premierminister Menachem Begin reichen sich in Washington die Hand. Im Jahr zuvor hatten sie unter Vermittlung des US-Präsidenten Jimmy Carter das Camp-David-Abkommen geschlossen. Nun unterzeichnen beide Männer einen Friedensvertrag. Die Sinai-Halbinsel geht 1982 wieder an Ägypten zurück. Ägypten erkennt das Existenzrecht Israels an.
- 1982: Erster Libanon-Krieg
Die Lage im Nahen Osten und vor allem zwischen Palästinensern und Israelis bleibt angespannt. Von Beirut aus organisiert die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organisation, PLO) Anschläge auf Israel. Am 6. Juni 1982 greift Israel den Libanon an – der erste Libanon-Krieg beginnt, bei dem etwa 10 000 Menschen sterben. Wenige Tage später kommt es zu einem Waffenstillstand, 1983 zum Friedensvertrag. Die PLO unter Führung Jassir Arafats zieht sich aus Beirut zurück.
- 1987: Die Erste Intifada
In den jüdischen Siedlungsgebieten im Gasastreifen und dem Westjordanland nehmen die Spannung in den 1980er Jahren auf Grund der prekären Lebenssituation der arabischen Bevölkerung und immer stärkeren Kontrollen zu. Als bei einem Zusammenstoß zwischen palästinensischen Taxis mit einem israelischen Lastwagen am 8. Dezember 1987 vier Palästinenser sterben, eskaliert die Situation, die angestaute Wut entlädt sich: Es kommt zu Massendemonstrationen, Boykotten und Ausschreitungen.
Es ist der Beginn der Ersten Intifada, benannt nach dem arabischen Wort für »sich erheben« oder »abschütteln«. 1000 Palästinenser und 160 Israelis kommen dabei ums Leben. Das Werfen von Steinen gegen Panzer und Soldaten wird zum Symbol und zur Tradition, weshalb auch vom »Krieg der Steine« die Rede ist.
- 1993: Das Osloer Friedensabkommen
Neue Hoffnung für die krisengeschüttelte Region bietet erstmals wieder das Osloer Friedensabkommen. In der Übereinkunft zwischen Israel und der PLO – die 1974 von den Vereinten Nationen als offizielle Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt wurde – erkennen beide Seiten einander an und vereinbaren eine eingeschränkte palästinensische Selbstverwaltung. Darüber hinaus sollen israelische Truppen aus den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten abziehen.
In einem zweiten Abkommen (Oslo II) legen im September 1995 beide Parteien einen Abzug Israels aus Teilen des Westjordanlands fest und unterteilten dieses in verschiedene Zuständigkeitsgebiete für den israelischen Staat und die palästinensische Autonomiebehörde. Die Abkommen zwischen Jassir Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin gelten bald als Durchbruch auf dem Weg zur Lösung des Nahostkonflikts. 1994 erhalten die beiden gemeinsam mit dem israelischen Außenminister Schimon Peres den Friedensnobelpreis. Im Jahr darauf, am 4. November 1995, wird Rabin bei einer Friedenskundgebung von einem rechtsextremen Israeli ermordet.
- 2000: Die Zweite Intifada
Der Friedensprozess, den das Osloer Abkommen angestoßen hatte, endet im Juli 2000 endgültig. Der israelische Premierminister Ehud Barak und PLO-Chef Jassir Arafat können sich weder auf die Grenzziehung zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten noch auf die Teilung Jerusalems oder die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge einigen. Als der israelische Oppositionsführer Ariel Scharon am 28. September 2000 den Tempelberg / Haram al-Scharif in Jerusalem besucht, eskaliert der Konflikt: Die von den Palästinensern als Provokation gedeutete Aktion löst die Zweite Intifada aus, in deren Zuge bis ins Jahr 2005 hunderte Menschen sterben.
- 2005: Israels Rückzug aus dem Gasastreifen
Nach der Zweiten Intifada und mehreren Terroranschlägen beschließt Israel, seine Truppen aus dem Gasastreifen abzuziehen und die dort vorhandenen jüdischen Siedlungen zu räumen. In Ost-Jerusalem sowie im Westjordanland wird hingegen weiter gebaut.
Die radikalislamische Hamas (der Name ist ein Kurzwort für »Harakat al-Muqawama al-Islamiya« / »Bewegung des Islamischen Widerstands«), die anlässlich der Ersten Intifada im Gasastreifen gegründet wurde und ein regionaler Ableger der Muslimbruderschaft ist, nutzt das Machtvakuum aus, das der Abzug israelischer Truppen hinterlassen hat. Bei den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 gewinnt sie die absolute Mehrheit. 2007 setzt sich die Hamas gewaltsam gegen die gemäßigtere Fatah durch und übernimmt die Kontrolle über den Gasastreifen.
- 2008: Erster Gasakonflikt
Am 27. Dezember 2008 greift Israel Mitglieder und Stützpunkte der Hamas im Gasastreifen an. Israel begründet die Offensive mit dem wiederholten Raketenbeschuss von Hamas-Kämpfern auf Israel. Eine Bodenoffensive folgt im Januar 2009, kurz darauf wird eine Waffenruhe vereinbart. Bei den Kämpfen sterben mehr als 1400 Palästinenser.
Eine zweite und dritte Gasa-Offensive finden im November 2012 und August 2014 statt, bei der mehr als 2000 Palästinenser sterben. Der Gasastreifen wird verwüstet, tausende Häuser wurden bei den Luftangriffen in Schutt und Asche gelegt. Israel wirft der Hamas vor, die Einwohner des Gasastreifens als menschliche Schutzschilde eingesetzt zu haben.
- 2012: Palästina erhält Beobachterstatus
Palästina erhält am 29. November 2012 von den Vereinten Nationen den Status als Beobachterstaat. Mit dieser völkerrechtlichen Aufwertung können Palästinenser im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung an Diskussionen teilnehmen, die sie betreffen, und Resolutionen einbringen – es ist ein diplomatischer Sieg für die Palästinenser.
Knapp ein Jahr später kommen Palästinenser und Israelis unter Vermittlung der USA kurzzeitig zurück an den Verhandlungstisch. Doch schnell stocken die Gespräche erneut.
- 2019: Benjamin Netanjahu wird am längsten regierender Ministerpräsident Israels
Der rechtskonservative Politiker überholt Staatsgründer David Ben-Gurion, was die Länge der Amtszeit angeht. Seit 1996 bekleidet Netanjahu mit Unterbrechungen das Amt des Ministerpräsidenten sowie verschiedene Ministerämter. 2005 trat er aus Protest gegen die Entspannungspolitik Ariel Scharons aus der Regierung aus, 2009 wurde er erneut zum Ministerpräsidenten gewählt und dominiert seitdem die Politik auch gegenüber den Palästinensern.
- 2020: Donald Trump stellt Friedensplan vor
Bereits 2018 erkennt der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump mit der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Diese Entscheidung löst Massenproteste in den Palästinensergebieten aus und stößt international auf Kritik. Ein Jahr später erklären die USA und Israel gemeinsam ihren Austritt aus der UNESCO, wodurch sich die Trump-Regierung erneut symbolträchtig an die Seite der konservativen israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu stellt. Und 2020 stellen Trump und Netanjahu einen Friedensplan vor, der nicht mit der palästinensischen Autonomiebehörde abgestimmt wurde und von dieser als parteiisch und völkerrechtswidrig abgelehnt wird.
- 2021: Erneuter Israel-Gasakonflikt
Im Mai kommt es erneut zu massiven militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas. Auslöser waren Zusammenstöße zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei, die zu einem Raketenbeschuss der Hamas auf Israel führten. Israel antwortet mit Luftangriffen.
- 2023: Die Hamas greift Israel an
Am Morgen des 7. Oktober beginnt die Hamas mit einem Großangriff auf Israel: Nach massiven Raketenangriffen überqueren tausende bewaffnete Kämpfer den Grenzzaun um Gasa, nehmen Geiseln und töten mehr als 1300 Zivilisten. Israel erklärt den Kriegszustand und startet eine Gegenoffensive. Bei den Luftangriffen auf den Gasastreifen sind nach Angaben der Behörden in Gasa mehr als 1500 Palästinenser ums Leben gekommen, darunter viele Zivilistinnen und Zivilisten.
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