Nanomedizin: Nanomagnete im Kampf gegen Krebs
Vor allem im Frühstadium der Krankheit kann es noch gelingen: Ein präziser Schnitt – und der Chirurg hat den Krebstumor erfolgreich entfernt. Doch viele Tumoren sind nicht operierbar, weil sie inmitten von gesundem, oft lebenswichtigem Gewebe sitzen, vielleicht sogar im Gehirn; hier können die Ärzte nicht so radikal vorgehen. Stattdessen verabreichen sie ihren Patienten in der Regel eine kombinierte Therapie aus Medikamenten und Bestrahlung, um auch unerkannte Metastasen zu bekämpfen. Diese Verfahren gehen allerdings meist mit schweren Nebenwirkungen einher, weil sie den gesamten Körper belasten. Wissenschaftler suchen nach Wegen, die Therapien lokal im Tumor anzuwenden, um gesunde Zellen zu schonen und den Tumor gleichzeitig so effektiv wie möglich zu bekämpfen.
Einen Schritt in diese Richtung geht Christoph Alexiou. Der Nanomediziner aus Erlangen macht sich dafür die magnetischen Eigenschaften von Eisenoxidnanopartikeln zu Nutze [1]. Die Idee ist simpel: Das Medikament, ein Chemotherapeutikum, wird an die Nanopartikel gebunden und als Kombinationspräparat in eine Arterie gespritzt, die zum Tumor führt. Von außen bringt der Arzt dann einen Magneten an, der die medikamentenbeladenen Nanoteilchen in die Krebsgeschwulst zieht: Sie gelangen direkt in die erkrankte Region, wo die Chemotherapeutika dann ihre Wirkung entfalten.
So wird der Körper viel weniger belastet als bei einer konventionellen Chemotherapie: Die Dosis ist niedriger und die Behandlungsdauer kürzer. Abgebaut werden die Teilchen über die normalen Stoffwechselwege, wie Alexious Gruppe mit Hilfe von radioaktiven Eisenatomen festgestellt hat. "Zwei Drittel werden über die Leber und die Niere ausgeschieden, und ein Drittel des Eisens setzt der Körper für den Hämoglobinstoffwechsel ein."
Bisher führt Alexiou seine Versuche noch an Tieren durch. Dabei kommt ein bereits auf dem Markt erhältliches, für menschliche Patienten geeignetes Präparat zum Einsatz – dieses müsste allerdings neu zugelassen werden, bevor es als Komplex mit Eisenoxidnanopartikeln verwendet werden darf. Die Mediziner suchen darum auch nach möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen – bislang ohne Grund zur Besorgnis, denn bei den Tieren zeigten sich keine negativen Effekte. Vermutlich auch, weil die für die Behandlung notwendigen Mengen sehr gering waren, wie der Biomediziner Volker Mailänder aus Mainz erklärt. Denn "Eisenoxidnanopartikel, wie sie in der Nanokrebstherapie verwendet werden, benutzt man schon lange als Leberkontrastmittel in der Magnetresonanztomografie", so Mailänder. "Zwar können durch die Eisenoxidpartikel vermehrt Sauerstoffradikale in den Zellen entstehen. Aber weil in den Zellen ohnehin stets ein Eisenstoffwechsel stattfindet, haben sie Gegenmechanismen erfunden." Mit den geringen zusätzlichen Mengen, die im Rahmen der Therapie eingesetzt werden müssen, kommt der Körper daher problemlos zurecht. Trotzdem liegt noch ein langer Weg vor Alexiou, bis er mit klinischen Studien am Menschen beginnen darf: "Drei bis fünf Jahre", schätzt er, "eher fünf. Vorausgesetzt eine entsprechende finanzielle Förderung ist vorhanden."
Mit Hitze gegen den Tumor
Ein etwas anderer Ansatz wird an der Berliner Charité verfolgt. Mediziner setzen hier gemeinsam mit der Firma MagForce Nanotechnologies AG ebenfalls auf die magnetischen Eigenschaften von Eisenoxidteilchen [2, 3]. Sie legen ein magnetisches Wechselfeld an, dessen Polarität sich permanent umkehrt. In der Folge richten sich auch die Eisenoxidpartikel ständig neu aus und fangen an zu vibrieren. Auf diese Weise entsteht Wärme: so viel, dass die anvisierten erkrankten Zellen ganz gezielt abgetötet werden, benachbarte Zellen aber gesund bleiben.
Die Idee, Tumorgewebe mit Hitze abzutöten, ist zwar schon Jahrzehnte alt, und auch in der Berliner Charité wird daran seit den 1980er Jahren gearbeitet. Bei der so genannten Hyperthermie war aber stets auch gesundes Gewebe gefährdet: Die nötige Temperatur im Tumor ließ sich nicht erreichen, ohne dass der Patient äußere Verbrennungen der Haut erlitt. "Wir wollen daher möglichst nur das kranke Gewebe erhitzen", so Peter Wust, Oberarzt an der Charité. "Auch die Nanotherapie kann unter ungünstigen Bedingungen zu Verbrennungen führen", räumt er ein, "doch insgesamt sind die Nebenwirkungen gering." Außerdem wurde die Nanotherapie jahrelang in klinischen Studien untersucht, und die Patienten zeigten keine negativen Reaktionen auf die Verabreichung der Nanopartikel [4]. Im März dieses Jahres erhielt MagForce für seine Nanokrebstherapie daher die EU-Zulassung zur Behandlung von Hirntumoren [5].
Die Zulassung erfolgte als so genanntes Medizinprodukt, was einige Forscher bemängeln. Dabei gelten andere Auflagen als für Arzneimittel, weil die medizinische Wirkung physikalisch und nicht pharmakologisch erfolgt. Medizinprodukte sind Gegenstände oder Substanzen, die zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken eingesetzt werden, zum Beispiel ein Katheter. Die Abgrenzung zu einem Arzneimittel ist allerdings nicht immer eindeutig. So auch bei den Eisenoxidpartikeln: Da sie in einer Flüssigkeit injiziert werden, sehen manche Mediziner sie eher als Arzneimittel statt als Medizinprodukt.
"Für mich handelt es sich hier um ein therapeutisches Agens und daher um eine, meines Erachtens, arzneimittelrechtlich zuzulassende Substanz", meint etwa Volker Mailänder. "MagForce hatte Glück, dass ihre Methode als Medizinprodukt zugelassen wurde", ergänzt Alexiou. Dessen ungeachtet bewegen sich die Magnetteilchen aber tatsächlich nicht frei im Körper, sondern bleiben an Ort und Stelle, weil sie – wie winzige Implantate – von Gewebe umschlossen werden. Somit gelangen wenn überhaupt nur Spuren des Eisenoxids in den normalen Stoffwechselkreislauf des menschlichen Körpers, und das hält die Folgen überschaubar: "Wenn eine Substanz langsam, aber stetig im Körper abgebaut wird, sind prinzipiell weniger Nebenwirkungen zu erwarten, als wenn der Körper damit überschwemmt wird", erklärt Mailänder. "Jede Chemotherapie hat ein höheres Risiko einer akuten Nebenwirkung als auch die Gefahr von Langzeitfolgen. Die Eisenoxidnanopartikel sind die am wenigsten toxische Alternative für die Behandlung von Hirntumoren." So kann man sich zwar über die korrekte Zulassungsart streiten – doch die Experten sind sich einig darüber, dass die neue Therapie Erfolg verspricht.
Die Nanomedizin steht noch am Anfang
Während die Nanotechnologie in der Gesellschaft ein zwiespältiges Image hat, stehen Patienten dem neuen Verfahren oft sehr positiv gegenüber. "Manche kommen sogar mit übersteigerter Hoffnung auf eine Wundermethode zu uns", so Wust. Doch es gebe noch viel zu optimieren. "Derzeit steht und fällt die Therapie mit dem Neurochirurgen, der die Nanoteilchen in den Tumor injiziert." Dosis und Position der Partikel sind entscheidend. Meist kommen darum zusätzlich konventionelle Behandlungsmethoden zum Einsatz, um das Ergebnis der Therapie abzusichern.
Ein Allheilmittel werden die Nanoteilchen ohnehin nicht sein. Wissen die Ärzte, wo sich ein Tumor befindet, können sie ihn mit den neuen Therapieansätzen zwar direkt vor Ort bekämpfen. Doch sehr kleine Tumoren oder Metastasen bleiben von den diagnostischen Methoden oft unentdeckt und lassen sich darum auch nicht mit Nanopartikeln behandeln. Bestrahlung oder Chemotherapie, die auf den ganzen Körper wirken, werden also ihre Berechtigung behalten.
Allerdings träumen die Forscher von einem weiteren Fortschritt: von Partikeln, welche die Tumorzellen von allein finden. Dazu müssten sie für ihre Nanoteilchen beispielsweise eine Hülle entwickeln, deren Moleküle sich über eine Schlüssel-Schloss-Reaktion mit Proteinen auf den Tumorzellen verbinden. "Eine solche Verabreichungsform wäre ein ganz großer Durchbruch", so Mailänder. "Eine flexible und doch gezielte Therapie ist das – noch uneingelöste – Versprechen der Nanomedizin."
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