Nanomaschinen: Molekularer Transporter gibt Fracht gezielt frei
Ein nanometerkleines Werkzeug, das bei Bedarf einzelne Substanzen absondert, könnte für viele Zwecke nützlich sein: Solche winzigen Maschinen könnten etwa Wirkstoffe an einen bestimmten Ort im menschlichen Körper bringen. In industriellen Prozessen wiederum ließen sich damit Katalysatoren an der gewünschten Stelle passgenau dosieren. Bestehende molekulare Transportsysteme entlassen ihre Fracht meist auf ein Lichtsignal, eine Temperaturänderung oder einen veränderten pH-Wert hin. In den letzten Jahren hat sich allerdings eine neue Alternative herauskristallisiert: mechanische Aktivierung. Ein Forschungsteam von der University of Manchester hat jetzt einen molekularen Apparat erschaffen, der einzelne Frachtmoleküle nacheinander ablädt, wenn man Ultraschall oder Druckkraft auf ihn einwirken lässt.
Die Autoren um Lei Chen konstruierten ein System, das seine Ladung nur auf einen äußeren mechanischen Reiz hin aktiv abgibt: ein Rotaxan. In Rotaxanen sitzt ein ringförmiges Molekül frei beweglich auf einer langen Achse. Als Ring nutzten den Autoren ein Molekül namens pillar[5]aren, in dem fünf Kohlenwasserstoffringe über zusätzliche CH2-Gruppen zu einem großen Ring verbunden sind. Als Achse diente ihnen eine lange Kette aus Kohlenwasserstoffen mit regelmäßig angeordneten chemischen Gruppen. Die beiden Bestandteile des Rotaxans sind nicht durch eine kovalente chemische Bindung aneinandergeknüpft, so dass sich der Ring auf der Achse frei bewegen kann. Ein Stopper an einem Ende der Achse sorgte dafür, dass der Ring nicht herunterrutschte.
Solche Bewegungen auf Nanometereben zu steuern ist extrem schwierig. Um den Ring durch mechanische Kräfte entlang der Achse in eine bestimmte Richtung zu bewegen, befestigte das Team aus Manchester eine lange Polymerkette am Ende der Achse und eine weitere am Ring. Auf der Achse brachten sie in regelmäßigen Abständen chemische Verknüpfungspunkte an, die an die zu transportierenden Moleküle – die Fracht – chemisch banden. Somit ließ sich das Frachtgut sicher befördern, ohne dass es unterwegs herabfiel. Wirkt eine mechanische Kraft auf dieses System – beispielsweise über Ultraschall –, strecken sich die angehefteten Polymerketten und ziehen den Ring entlang der Achse.
Dann passiert das Entscheidende: Wenn der Ring das erste Frachtmolekül auf der Achse erreicht, bricht die Bindung zu dieser durch mechanische Kraft auf, und die Fracht wird entlassen. Der Ring setzt anschließend seinen Weg fort, bis er das zweite Paket erreicht, und der Freigabeprozess läuft erneut ab. Wie die Autoren zeigten, funktioniert die Freisetzung des Transportguts nur mit dem Ring; und auch nur, wenn er bei der Begegnung mit der Fracht genügend mechanische Energie mitbringt, um sie von der Achse abzuspalten. Es ist also ausgeschlossen, dass die Moleküle unabsichtlich ihren Platz auf dem Nano-Gepäckwagen verlassen.
Im Prinzip ist das System also eine molekulare Maschine – erfährt es eine mechanische Kraft, beginnt der Ring sich entlang der Achse zu bewegen. Dadurch bringt er so viel Energie mit, um die Frachtmoleküle eins nach dem anderen aus der Achse auszuhaken. Solange die mechanische Kraft bestehen bleibt, läuft der Prozess so lange weiter, bis alle Moleküle abgeladen sind.
Die Forscher beobachteten aber noch mehr: Ihr Rotaxan entließ nicht nur in Lösung gezielt seine Fracht, sondern auch, wenn man Druck auf eine feste Probe des Molekülverbands ausübte. Hier erwies sich das System als effizienter als bisherige mechanisch aktivierte Einheiten. Neu ist außerdem, dass die molekulare Maschine bis zu fünf Moleküle des Transportguts abliefern kann. Andere mechanisch aktivierte molekulare Instrumente können bisher meist nur eine Einheit des gewünschten Stoffs freisetzen. Die neuen Ergebnisse sind damit ein Schritt auf dem Weg zu komplexeren Systemen, in denen Hunderte solcher mit mehreren Päckchen beladenen Frachter in dreidimensionalen Netzwerken bestehen. Auf Knopfdruck könnte man damit gleichzeitig die Ladung aus mehreren Rotaxanen freisetzen.
Das System der Fachleute um Chen konnte verschiedene Moleküle freisetzen, darunter das weit verbreitete Chemotherapeutikum Doxorubicin. Molekulare Maschinen dieser Art haben also offenbar das Potenzial, gezielte Wirkstoffe im Körper abzugeben. Außerdem beförderten sie Organokatalysatoren – kleine organische Moleküle, die bestimmte chemische Reaktionen in Gang setzen oder beschleunigen können.
Solche Rotaxan-Systeme herzustellen, die mehrere Frachtmoleküle tragen, ist allerdings nach wie vor sehr schwierig. Diesen Prozess zu vereinfachen ist essenziell, um die Werkzeuge günstiger und leichter verfügbar zu machen – besonders für biomedizinische Anwendungen. Trotzdem sind die Ergebnisse ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung effizienter molekularer Maschinen, die sich durch äußere mechanische Kräfte aktivieren lassen.
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