Napoleon-Komplex: Psychopathen wollen größer sein
Gibt es den »Napoleon-Komplex« wirklich? Die Forschung ist uneins. Jetzt hat eine weitere Studie Hinweise darauf gefunden, dass an der Theorie etwas dran ist. Allerdings nicht in ihrem ursprünglichen Sinn, wonach Männer mit kleiner Körpergröße – wie sie dem französischen Feldherrn Napoleon zugeschrieben wird – diesen vermeintlichen Nachteil auf unangenehme Weise zu kompensieren versuchen. Typisch sei das vielmehr für jene, die gerne größer wären, selbst wenn sie gar nicht klein sind, wie die Studie in der Fachzeitschrift »Personality and Individual Differences« zeigt.
Das Forschungsteam aus Polen und Australien hatte mehr als 360 Erwachsene in den USA online befragt, darunter überwiegend weiße heterosexuelle Männer und Frauen. Erfasst wurden unter anderem Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus, das heißt die Neigung dazu, andere Menschen zu manipulieren, gefühllos zu reagieren und nach Bewunderung zu streben. Gemeinsam bilden diese Persönlichkeitsmerkmale die »Dunkle Triade«, eine Kombination von eher unerwünschten, sozial unverträglichen Eigenschaften.
Ihren eigenen Angaben zufolge neigten kleinere Männer zwar tatsächlich eher zu machiavellistischen und narzisstischen Zügen, aber der Zusammenhang war sehr schwach. Mehr als doppelt so stark hingen Machiavellismus und Narzissmus mit dem Wunsch zusammen, größer zu sein – und das Merkmal Psychopathie sogar dreimal so stark. Insgesamt ließen sich bei beiden Geschlechtern mehr als ein Fünftel der Unterschiede in der »Dunklen Triade« aus den Antworten zum Thema Körpergröße vorhersagen. Objektive Maße und subjektives Empfinden erwiesen sich dabei als durchaus verschieden: Die tatsächliche Körpergröße erklärte nur drei Prozent der Unterschiede im Wunsch, größer zu sein.
Der Napoleon-Komplex, neu interpretiert
Wenn sich Menschen körperlich nicht groß (genug) fühlen, wollen sie auf andere Weise »großartig« erscheinen, so die Interpretation. Die Forschenden deuten ihre Befunde aus evolutionärer Perspektive: Die »Dunkle Triade« könnte durch natürliche Selektion entstanden sein, um sich im Konkurrenzkampf zu behaupten. Die Annahme, dass es sich um ein rein männliches Phänomen handelt, sei ihren Daten zufolge jedoch falsch.
Bislang sprachen Studien eher dafür, dass der Napoleon-Komplex vorwiegend bei Männern auftritt. Beispielsweise berichtete ein Team um die Psychologin Jill Knapen, dass kleine Männer, nicht aber kleine Frauen angesichts eines deutlich größeren Mitspielers mehr Ressourcen für sich behalten. Die Gruppe interpretierte das eigennützige Verhalten als »flexiblere« Strategie im Wettbewerb um Ressourcen.
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