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Endurance: NASA-Mission weist drittes Energiefeld der Erde nach

Neben dem Magnetfeld und der Gravitation wirkt noch ein weiteres Energiefeld auf unseren Planeten: ein elektrostatisches. Was vor 60 Jahren vorhergesagt wurde, konnte nun bestätigt werden.
Blick auf die Erdatmosphäre aus dem Weltall
Sehen kann man das ambipolare elektrische Feld, das die Erde umspannt, natürlich nicht. Aber es beeinflusst die oberste Schicht unserer Atmosphäre, die Ionosphäre.

Seit 60 Jahren wird seine Existenz vermutet, nun gibt es den Beweis: Ein Team der US-Raumfahrtbehörde NASA hat nachgewiesen, dass die Erde von einem ambipolaren elektrischen Feld umgeben ist. Neben dem Magnetfeld und dem Schwerefeld ist es somit das dritte bekannte Energiefeld und könnte, wie auch die beiden anderen, grundlegende Eigenschaften unseres Planeten beeinflussen. Die Forscherinnen und Forscher der Endurance-Mission berichten davon im Fachmagazin »Nature«. Es handelt es sich bei dem Phänomen um ein schwaches elektrostatisches Feld in der oberen Atmosphärenschicht der Erde. Es entsteht, wenn Elektronen in der Ionosphäre durch die Sonnenstrahlung von den Atomen getrennt werden. Während die Elektronen nach außen in Richtung Weltall streben, sinken die Atomrümpfe (Ionen) durch die Schwerkraft nach unten. Doch auf Grund der entgegengesetzten Ladung ziehen Elektronen und Ionen aneinander und bilden ein in beide Richtungen wirkendes, ambipolares elektrisches Feld aus.

Bereits in den 1960er Jahren hatten die Geophysiker Peter Banks und Thomas Holzer im Rahmen ihrer Untersuchungen zu den so genannten Polarwinden die Theorie aufgestellt, dass diese Strömungen geladener Teilchen, die aus der oberen Atmosphäre in der Nähe der Pole in den Weltraum entweichen, auf ein solches Feld zurückzuführen sein müssten. Zwar könnten einige leichte Teilchen wie Elektronen unter Einfluss der Sonnenenergie aus der Atmosphäre herausgeschleudert werden – wie Dampf, der aus einem Kessel mit heißem Wasser aufsteigt. Als alleinige Erklärung reicht das aber nicht aus, denn der Polarwind besteht überwiegend aus kühlen Partikeln und enthält zudem nicht nur Elektronen, sonder auch ionisierten Wasserstoff. Bislang fehlte allerdings der Beweis für die Vermutungen der Theoretiker.

Deshalb begann ein Team um Erstautor und Missionsleiter Glyn Collinson bereits vor etwas mehr als zehn Jahren damit, ein Photoelektronen-Spektrometer zu entwickeln, das selbst schwächste elektrische Felder detektieren kann. Im Mai 2022 schließlich schickten sie den Detektor vom norwegischen Svalbard aus in eine Höhe von 768 Kilometern. »Svalbard ist die einzige Raketenbasis der Welt, von der aus man durch den Polarwind fliegen und die von uns benötigten Messungen durchführen kann«, wird Suzie Imber, Physikerin an der Universität Leicester und Mitautorin der Studie, in einer NASA-Mitteilung zitiert. 19 Minuten nach dem Start stürzte die Sonde bereits wieder ins Meer vor Grönland.

»Ein halbes Volt ist fast nichts, es ist nur etwa so stark wie eine Uhrenbatterie. Aber dieser Wert ist ausreichend, um den Polarwind zu erklären«Glyn Collinson, Missionsleiter »Endurance«

Und tatsächlich wurden die Fachleute anschließend in den Daten fündig: In einer Höhe zwischen 250 und 768 Kilometern detektierten die Messinstrumente einen elektrischen Potentialabfall von 0,55 Volt – ein Indiz für ein elektrisches Feld. »Ein halbes Volt ist fast nichts, es ist nur etwa so stark wie eine Uhrenbatterie«, sagte Collinson. »Aber dieser Wert ist ausreichend, um den Polarwind zu erklären.«

Wasserstoffionen, die am häufigsten vorkommende Teilchenart im Polarwind, erfahren durch dieses Feld eine Kraft, die 10,6-mal stärker ist als die Schwerkraft. »Das ist mehr als genug, um der Gravitation entgegenzuwirken – es reicht sogar aus, um sie mit Überschallgeschwindigkeit nach oben in den Weltraum zu schleudern«, sagt Alex Glocer, Wissenschaftler im Endurance-Projekt bei der NASA und ebenfalls Mitautor der Studie.

Doch damit nicht genug: Das neu entdeckte Feld prägt auch die Struktur der irdischen Ionosphäre. Denn über die elektrostatische Anziehungskraft der nach außen strebenden Elektronen nehmen diese etwa positiv geladene Sauerstoffionen mit und heben die Ionosphäre somit an – um 271 Prozent, von 77 auf 208,9 Kilometer Höhe, berichten die Forschenden. »Das ist wie eine Art Förderband, das die Atmosphäre ein Stück weiter gen Weltraum transportiert«, sagt Collinson.

Die Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten, um die Dynamik der Erdatmosphäre und die Entwicklung anderer Planeten mit Atmosphären zu erforschen, wie Mars oder Venus. Denn: »Jeder Planet mit einer Atmosphäre sollte ein ambipolares Feld haben«, sagt Collinson. »Jetzt, da wir es endlich gemessen haben, können wir herausfinden, wie es unseren Planeten und andere Himmelskörper im Laufe der Zeit geformt hat.«

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  • Quellen
Nature 10.1038/s41586–024–07480–3, 2024

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