Entwicklungsbiologie: Nasen der Hirnverschaltung
Um das Gehirn zu verstehen, so eine althergebrachte Meinung, könnte unser eigenes vielleicht nicht groß genug sein. Kein Grund, nicht ständig dazuzulernen und so neue Hirnverschaltungen zu bilden - etwa beim Erforschen des biochemischen Know-hows, das Neuronen beim Verschalten im Einzelnen beherrschen.
Nur reine Masse bringt es nicht, auch im Gehirn: Die Massen, wie groß auch immer, müssen ja auch koordiniert zusammenarbeiten, um effektiv zu sein. Um mit großen wie kleinen Gehirnen vernetzt zu denken, sollten Hirnnerven also sinnvoll miteinander verknüpft und querverschaltet werden.
Nur wie? Oder genauer: Wer behält im neuronalen Chaos eines arbeitenden Zentralnervensystems den Überblick und gibt die Richtungsempfehlungen beim Bau neuer Schaltungen? Und womit verstehen Neunerven die Navigationsbefehle? Ein unübersichtliches Problem, an dem Forschergruppen schon seit längerem tüfteln.
Durchaus nicht ohne Erfolg: Längst konnte theoretisch und praktisch nachvollzogen werden, wie junge Hirnneuronen unter dem Einfluss verschiedener Wachstumsfaktoren und chemischer Signale in bestimmte Richtungen wachsen – offenbar auf der Suche nach einem attraktiven Nerven-Verschaltungspartner in der angestrebten Wuchsrichtung. Dabei richten sie sich nach Gewebe-Konzentrationsgefällen von Proteinen, die schöne Namen wie "Netrine" oder "Neurotrophine" tragen.
Weniger bekannt aber war bislang, wie eigentlich die Lockstoff erschnuppernden Nasen der herbeizulockenden Neuronen funktionieren. Irgendwo besorgt, soweit war klar, am wuchernden Vorderende der Nerven – dem so genannten Wachstumskegel – ein Rezeptormolekül die Wahrnehmung der Wegweiser-Moleküle. Und irgendwie muss daran, auch soviel war bis dato klar, Kalzium als Agent der Informationsweiterleitung fungieren: Wird das Element aus der Umgebung der Zelle entfernt – etwa durch kalziumbindende Moleküle – so irrten die wachsenden Nerven nur mehr desorientiert durch die von wegweisenden Signalen durchsetzte Gegend.
Als kalziumabhängigen Verantwortlichen verdächtigten die am Problem kniffelnden Forschergrupppen um Yan Li von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sowie Gordon Wang von der Universität von Kalifornien in Berkeley nun einen Rezeptortyp aus einer vielseitigen Sensor-Sippe, die bei der Wahrnehmung von Temperatur, Salzkonzentration, mechanischer Belastung und Geschmack in verschiedenen Zellen häufig beteiligt sind: die TRP-Rezeptoren (transient receptor potential channel). Beiden Forschergruppen fehlte allerdings noch der Beweis für diese Theorie. Um ihn zu erbringen, leisteten die Wissenschaftler nun molekularbiologische Detektivarbeit – auf zwei verschiedenen Wegen.
Die Forscher um Li untersuchten Kulturen wachsender cerebellärer Körnerzellen aus Rattenhirnen [1]. Ihre Wachstumsrichtung ließ sich durch das Neurotrophin-Signalmoleküle BDNF (brain derived neurotrophic factor) gut dirigieren. Abrupt beendet aber wurde die anlockende Wirkung des Signals auf die Versuchsnerven, sobald die Forscher spezielle Blockademoleküle zugaben, die an den Rezeptor andocken und diesen wirkungslos machen.
Ähnliches geschah, wenn die Wissenschaftler größere Mengen an funktionslosen TRP-Konkurrenz-Rezeptoren zusetzten, oder die TRP-Proteine in den Neuronen auf genetischem Wege per RNA-Interferenz ausschalteten. Einzig logische Schlussfolgerung, so Li und Kollegen: die BDNF-Nase der Ratten-Neuronen ist ein TRP-Rezeptor.
Das fanden, zeitgleich, auch Wang und Kollegen an Neuronen des Wirbeltier-Modellversuchsorganismus Xenopus, dem Krallenfrosch [2]. Hier war bislang überhaupt nur ein Vertreter der TRP-Rezeptor-Sippe gefunden worden. Die Wissenschaftler blockierten versuchsweise dessen Produktion in Xenopus-Embryonen und beobachteten, dass plötzlich die sonst unbedingt befolgten Netrin-1-Navigationssignale von den wachsenden Neuronen ignoriert wurden. Das Protein, TRPC1, erwies sich in weiteren Versuchen als unabdingbar für die kalziumabhängige Reaktion der Axone.
Von Ratte bis Krallenfrosch verlassen sich wachsende Neuronen demnach auf ihre TRP-Spürnase, um ihren Weg im Verschaltungsirrgarten des Gehirns zu finden. Natürlich aber sind auch sie nur Teil des Ganzen: Als Befehlsempfänger leiten sie weiter, was andernorts signalisiert wurde – und bilden nur ein Bindeglied der komplizierten zellulären Zytoskelett-Maschinerie, die ein wachsendes Neuron dann um wenige Grad ablenkt und in die richtigen Bahnen lenkt. Das Gehirn, soviel stand eben schon vorher fest, ist mehr als die Summe seiner Teile – es potenziert sich aus den zusammenwirkenden Funktionen aller beteiligten Einzelteile.
Nur wie? Oder genauer: Wer behält im neuronalen Chaos eines arbeitenden Zentralnervensystems den Überblick und gibt die Richtungsempfehlungen beim Bau neuer Schaltungen? Und womit verstehen Neunerven die Navigationsbefehle? Ein unübersichtliches Problem, an dem Forschergruppen schon seit längerem tüfteln.
Durchaus nicht ohne Erfolg: Längst konnte theoretisch und praktisch nachvollzogen werden, wie junge Hirnneuronen unter dem Einfluss verschiedener Wachstumsfaktoren und chemischer Signale in bestimmte Richtungen wachsen – offenbar auf der Suche nach einem attraktiven Nerven-Verschaltungspartner in der angestrebten Wuchsrichtung. Dabei richten sie sich nach Gewebe-Konzentrationsgefällen von Proteinen, die schöne Namen wie "Netrine" oder "Neurotrophine" tragen.
Weniger bekannt aber war bislang, wie eigentlich die Lockstoff erschnuppernden Nasen der herbeizulockenden Neuronen funktionieren. Irgendwo besorgt, soweit war klar, am wuchernden Vorderende der Nerven – dem so genannten Wachstumskegel – ein Rezeptormolekül die Wahrnehmung der Wegweiser-Moleküle. Und irgendwie muss daran, auch soviel war bis dato klar, Kalzium als Agent der Informationsweiterleitung fungieren: Wird das Element aus der Umgebung der Zelle entfernt – etwa durch kalziumbindende Moleküle – so irrten die wachsenden Nerven nur mehr desorientiert durch die von wegweisenden Signalen durchsetzte Gegend.
Als kalziumabhängigen Verantwortlichen verdächtigten die am Problem kniffelnden Forschergrupppen um Yan Li von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sowie Gordon Wang von der Universität von Kalifornien in Berkeley nun einen Rezeptortyp aus einer vielseitigen Sensor-Sippe, die bei der Wahrnehmung von Temperatur, Salzkonzentration, mechanischer Belastung und Geschmack in verschiedenen Zellen häufig beteiligt sind: die TRP-Rezeptoren (transient receptor potential channel). Beiden Forschergruppen fehlte allerdings noch der Beweis für diese Theorie. Um ihn zu erbringen, leisteten die Wissenschaftler nun molekularbiologische Detektivarbeit – auf zwei verschiedenen Wegen.
Die Forscher um Li untersuchten Kulturen wachsender cerebellärer Körnerzellen aus Rattenhirnen [1]. Ihre Wachstumsrichtung ließ sich durch das Neurotrophin-Signalmoleküle BDNF (brain derived neurotrophic factor) gut dirigieren. Abrupt beendet aber wurde die anlockende Wirkung des Signals auf die Versuchsnerven, sobald die Forscher spezielle Blockademoleküle zugaben, die an den Rezeptor andocken und diesen wirkungslos machen.
Ähnliches geschah, wenn die Wissenschaftler größere Mengen an funktionslosen TRP-Konkurrenz-Rezeptoren zusetzten, oder die TRP-Proteine in den Neuronen auf genetischem Wege per RNA-Interferenz ausschalteten. Einzig logische Schlussfolgerung, so Li und Kollegen: die BDNF-Nase der Ratten-Neuronen ist ein TRP-Rezeptor.
Das fanden, zeitgleich, auch Wang und Kollegen an Neuronen des Wirbeltier-Modellversuchsorganismus Xenopus, dem Krallenfrosch [2]. Hier war bislang überhaupt nur ein Vertreter der TRP-Rezeptor-Sippe gefunden worden. Die Wissenschaftler blockierten versuchsweise dessen Produktion in Xenopus-Embryonen und beobachteten, dass plötzlich die sonst unbedingt befolgten Netrin-1-Navigationssignale von den wachsenden Neuronen ignoriert wurden. Das Protein, TRPC1, erwies sich in weiteren Versuchen als unabdingbar für die kalziumabhängige Reaktion der Axone.
Von Ratte bis Krallenfrosch verlassen sich wachsende Neuronen demnach auf ihre TRP-Spürnase, um ihren Weg im Verschaltungsirrgarten des Gehirns zu finden. Natürlich aber sind auch sie nur Teil des Ganzen: Als Befehlsempfänger leiten sie weiter, was andernorts signalisiert wurde – und bilden nur ein Bindeglied der komplizierten zellulären Zytoskelett-Maschinerie, die ein wachsendes Neuron dann um wenige Grad ablenkt und in die richtigen Bahnen lenkt. Das Gehirn, soviel stand eben schon vorher fest, ist mehr als die Summe seiner Teile – es potenziert sich aus den zusammenwirkenden Funktionen aller beteiligten Einzelteile.
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