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Verhaltensforschung: Naturtalente

Geschickt vermögen Geradschnabelkrähen aus natürlichen Materialien Hilfsmittel zu basteln, um damit in Baumhöhlen oder sonstigen Verstecken nach Futter zu angeln. Und diese Fertigkeit scheint den Rabenvögeln zumindest teilweise mit ins Nest gelegt zu sein.
<i>Corvus moneduloides</i>
Lange Zeit galt es als alleinige Domäne des Menschen, Werkzeuge herzustellen und einzusetzen – bis Verhaltensforscher entdeckten, dass auch Tiere in freier Wildbahn dieses Kunststück beherrschen. Ein Paradebeispiel ist die Geradschnabelkrähe (Corvus moneduloides), die auf der Insel Neukaledonien im Südpazifik heimisch ist. Mit Hilfe ihres Schnabels schneidet und reißt sie aus den langen Blättern von Schraubenbäumen (Pandanus sp.) Sägeblatt ähnlich aussehende Stücke heraus. Auf diese Weise fertigt sie Spieße, mit denen sie in unzugänglichen Fugen und Ritzen nach Insekten stochert. Auch zu Haken umfunktionierte Zweige gehören in ihren "Werkzeugkasten".

Corvus moneduloides | Die auf der Insel Neukaledonien heimische Geradschnabelkrähe (Corvus moneduloides) nutzt Zweige und Blätter, um in unzugänglichen Baumhöhlen und Ritzen nach Insekten zu stochern – ohne diese Fähigkeit erlernt oder erwachsene Artgenossen beobachtet zu haben. Offenbar besitzt sie einen angeborenen Instinkt, Werkzeuge zu fertigen und zu verwenden.
Rätselhaft blieb bislang, ob die raffinierten Rabenvögel dieses Geschick durch den Kontakt zu erwachsenen Artgenossen erlernen oder ob es sich gar um ein angeborenes Talent handelt. Um dieses Geheimnis zu lüften, zogen Ben Kenward und seine Kollegen von der Universität Oxford vier Krähenküken von Hand in künstlichen Nestern auf. Anschließend setzten sie die Jungvögel in Volieren um, die Zweige von unterschiedlicher Gestalt und Größe sowie in Löchern und Spalten verborgene Nahrungsobjekte enthielten. Keinem einzigen Versuchstier erlaubten sie, jemals eine erwachsene Krähe zu beobachten.

Zwei Individuen – ein Weibchen und ein Männchen – teilten sich zusammen einen Vogelkäfig und erlebten regelmäßig Vorführungen ihrer menschlichen Pflegeeltern, wie sich Stöckchen zum Aufspüren von Futter nutzen lassen. Die beiden anderen männlichen Krähen lebten hingegen allein in ihrer Behausung und erhielten keinerlei Unterricht im Werkzeuggebrauch.

Krähen-Werkzeuge | In Gefangenschaft stellten Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) aus Zweigen Werkzeuge her, mit denen sie erfolgreich in Spalten nach Futter fischten.
Das Ergebnis: Alle vier Rabenvögel entwickelten die Fähigkeit, Zweige als Hilfsmittel einzusetzen. Obwohl die zwei belehrten Tiere den "Demonstrationen" große Aufmerksamkeit schenkten, konnten die Forscher keine qualitativen Unterschiede im Werkzeug orientierten Verhalten zwischen ihnen und den nicht unterrichteten Krähen ausmachen. Im Alter von 68 und 72 Tagen gelang es den Individuen mit "Nachhilfestunden", erfolgreich Futter aus einer Spalte zu fischen. Ihre unbelehrten Artgenossen vollbrachten diese Leistung, als sie 63 beziehungsweise 79 Tage alt waren. Und alle Jungtiere fuhren fort, mit Hilfe der Zweige Löcher zu erforschen – wann immer sich die Gelegenheit bot.

Zudem untersuchten die Wissenschaftler, wie die Vögel auf Blätter von Bäumen aus der Gattung Pandanus reagieren – ähnlich jenen, aus denen die Krähen in der Wildnis Hilfsmittel fertigen, die je nach Region in Gestalt und Komplexität variieren. Die Blätter waren an Holzrahmen befestigt, sodass die Tiere sie vergleichbar wie in der Natur erreichen konnten. Als das Männchen namens Corbeau im Alter von 99 Tagen zum ersten Mal mit den Blättern in Kontakt kam, stellte es aus dem Pflanzenmaterial flink ein geradliniges 13 Zentimeter langes Werkzeug her. Unmittelbar nach dieser Handlung transportierte es sein Instrument zu einer Spalte mit verstecktem Futter und setzte es als Tastkopf ein.

Wie die Forscher beobachteten, attackierten alle vier Krähen die präsentierten Blätter: Sie schnitten und rissen sie in eine Vielfalt verschiedener Formen. Doch nur einige von den "Stochern" hätten sich als brauchbare Werkzeuge geeignet und keiner ähnelte jenen deutlich abgestuften Hilfsmitteln, welche die erwachsenen Tiere in der Natur aus Pandanus-Blättern modellieren. Und nur Corbeau nutzte die hergestellten Spieße zum Aufspüren von Nahrung.

Der spontane Werkzeugeinsatz ist zwar von einer Reihe von Primatenspezies sowie vom Spechtfinken (Cactospiza pallida) auf den Galapagos-Inseln bekannt. Doch bezogen sich diese früheren Beschreibungen auf Primatengruppen mit erwachsenen Tieren, die bereits Erfahrung im Gebrauch von Hilfsmitteln aufwiesen. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Fähigkeit dieser Krähenart, Werkzeuge zu fertigen und zu verwenden, mindestens teilweise vererbt ist und nicht von der sozialen Eingabe abhängt", folgern die Wissenschaftler um Kenward. Möglicherweise – so spekulieren sie – ist jener Input aber wichtig, um spezielle Techniken und Formen der Instrumente an die Jungen zu übermitteln.

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