Anthropologie: Neandertaler-Gen im Erbgut des modernen Menschen?
US-amerikanische Forscher spekulieren, dass der Neandertaler doch Spuren im Erbgut des anatomisch modernen Menschen hinterlassen haben könnte: Ein Gen, welches das Hirnwachstum kontrolliert, soll sich in der heutigen Menschheit verbreitet haben. Bisher fehlen hierfür allerdings genetische Belege.
Bereits im vergangenen Jahr hatten Wissenschaftler um den Genetiker Bruce Lahn von der Universität Chicago berichtet, dass eine bestimmte Version des Gens Microcephalin (auch MCHP1 genannt) sich vor etwa 37 000 Jahren im Erbgut des Homo sapiens verbreitet hat. Diese Version, die Haplogruppe D, kommt heute bei siebzig Prozent der Menschheit vor [1].
Defekte in diesem Gen führen zur Mikrozephalie, einer krankhaften Störung des Hirnwachstums. Die Forscher hatten daraus im Umkehrschluss vermutet, dass Microcephalin eine wichtige Rolle für das große Gehirn des Menschen spielt.
Jetzt haben sich Lahn und seine Kollegen die Haplogruppe D von Microcephalin noch einmal genauer angeschaut. Aus Genvergleichen von 89 Individuen schließen sie, dass die Variante bereits vor 1,1 Millionen Jahren entstand – also lange vor dem ersten Auftreten des Homo sapiens.
Demnach müssten die vor etwa 30 000 Jahren ausgestorbenen Neandertaler und anatomisch moderne Menschen gemeinsame Nachkommen gezeugt haben – eine unter Anthropologen äußerst umstrittene Annahme. Genvergleiche zwischen den beiden Spezies – die dann als Unterarten klassifiziert werden müssten – hatten bisher keinerlei Spuren auf eine Kreuzung ergeben.
Der amerikanische Paläontologe Erik Trinkaus von der Washington-Universität in St. Louis – einer der hartnäckigsten Vertreter der Kreuzungshypothese – hat dagegen in der vergangenen Woche von 30 000 Jahren alten Homo-sapiens-Knochen aus Rumänien berichtet, deren anatomische Merkmale zum Teil typisch für Neandertaler seien [3]. Diese Interpretation wird von anderen Forschern jedoch angezweifelt.
Warum sich die D-Version des Microcephalin-Gens beim Neandertaler durchgesetzt haben soll – falls er sie je besessen hat –, bleibt ebenfalls rätselhaft. Tatsächlich war das durchschnittliche Hirnvolumen des Neandertalers etwas größer als beim heutigen Menschen – was keinerlei Hinweise auf eine höhere Intelligenz zulässt. Die Forscher um Lahn spekulieren, die Haplogruppe D könnte für einen Anpassungsvorteil an das europäische Eiszeitklima gesorgt haben. Doch worin dieser Vorteil läge, wissen sie nicht.
Lahn betont, dass sein Ergebnis keinen eindeutigen Beweis für eine Kreuzung der beiden Menschenarten darstelle. Eindeutigere Belege erhofft er sich, wenn das Neandertaler-Genom vollständig entziffert ist – was in fünf bis zehn Jahren der Fall sein könnte. (aj)
Bereits im vergangenen Jahr hatten Wissenschaftler um den Genetiker Bruce Lahn von der Universität Chicago berichtet, dass eine bestimmte Version des Gens Microcephalin (auch MCHP1 genannt) sich vor etwa 37 000 Jahren im Erbgut des Homo sapiens verbreitet hat. Diese Version, die Haplogruppe D, kommt heute bei siebzig Prozent der Menschheit vor [1].
Defekte in diesem Gen führen zur Mikrozephalie, einer krankhaften Störung des Hirnwachstums. Die Forscher hatten daraus im Umkehrschluss vermutet, dass Microcephalin eine wichtige Rolle für das große Gehirn des Menschen spielt.
Jetzt haben sich Lahn und seine Kollegen die Haplogruppe D von Microcephalin noch einmal genauer angeschaut. Aus Genvergleichen von 89 Individuen schließen sie, dass die Variante bereits vor 1,1 Millionen Jahren entstand – also lange vor dem ersten Auftreten des Homo sapiens.
Wenn die D-Version des Gens jedoch erst vor 37 000 Jahren beim anatomisch modernen Menschen auftauchte, muss sie von einer archaischen Homo-Linie übernommen worden sein, argumentiert Lahn. Und da sie vor allem bei Europäern auftritt, habe der Gentransfer vermutlich in Europa stattgefunden. Für den Überträger käme daher wohl nur ein Kandidat in Frage: Homo neanderthalensis, der Neandertaler [2].
Demnach müssten die vor etwa 30 000 Jahren ausgestorbenen Neandertaler und anatomisch moderne Menschen gemeinsame Nachkommen gezeugt haben – eine unter Anthropologen äußerst umstrittene Annahme. Genvergleiche zwischen den beiden Spezies – die dann als Unterarten klassifiziert werden müssten – hatten bisher keinerlei Spuren auf eine Kreuzung ergeben.
Der amerikanische Paläontologe Erik Trinkaus von der Washington-Universität in St. Louis – einer der hartnäckigsten Vertreter der Kreuzungshypothese – hat dagegen in der vergangenen Woche von 30 000 Jahren alten Homo-sapiens-Knochen aus Rumänien berichtet, deren anatomische Merkmale zum Teil typisch für Neandertaler seien [3]. Diese Interpretation wird von anderen Forschern jedoch angezweifelt.
Warum sich die D-Version des Microcephalin-Gens beim Neandertaler durchgesetzt haben soll – falls er sie je besessen hat –, bleibt ebenfalls rätselhaft. Tatsächlich war das durchschnittliche Hirnvolumen des Neandertalers etwas größer als beim heutigen Menschen – was keinerlei Hinweise auf eine höhere Intelligenz zulässt. Die Forscher um Lahn spekulieren, die Haplogruppe D könnte für einen Anpassungsvorteil an das europäische Eiszeitklima gesorgt haben. Doch worin dieser Vorteil läge, wissen sie nicht.
Lahn betont, dass sein Ergebnis keinen eindeutigen Beweis für eine Kreuzung der beiden Menschenarten darstelle. Eindeutigere Belege erhofft er sich, wenn das Neandertaler-Genom vollständig entziffert ist – was in fünf bis zehn Jahren der Fall sein könnte. (aj)
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