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Milchzähne: Neandertaler- und Homo-sapiens-Kinder waren gar nicht so verschieden

Starben die Neandertaler aus, weil sie ihre Kinder so viel länger stillen mussten als Homo sapiens? Eine Analyse altsteinzeitlicher Milchzähne legt das Gegenteil nahe.
Neandertaler-Milchzahn aus einer Höhle in Nordostitalien.

Neandertalerinnen stillten ihre Säuglinge ähnlich lange wie anatomisch moderne Frauen. Das ergab die Untersuchung von vier Milchzähnen aus Nordostitalien, die zwischen 40 000 und 70 000 Jahren alt sind. Wie Forscher um Alessia Nava von der Universität La Sapienza in Rom im Fachblatt »PNAS« schreiben, widersprechen sie damit der Annahme, dass die Neandertaler ausgestorben wären, weil sie ihre Kinder länger stillten und so durchschnittlich weniger Nachkommen durchbringen konnten.

Nava und ihre Kollegen führten Wachstums- und Isotopenanalysen an drei  Milchzähnen von Neandertalern und einem Exemplar eines anatomisch modernen Menschen durch. Die Stücke stammen aus drei verschiedenen Höhlen in Nordostitalien. Mit Hilfe eines Massenspektrometers ermittelten sie die Strontium- und Kalziumanteile im Zahnschmelz, genauer gesagt in den einzelnen Schichten des Zahnschmelzes, die sich täglich während des Wachstums eines Kindes bilden. Weil Muttermilch deutlich mehr Kalzium als Strontium enthält, konnten die Forscher aus dem Verhältnis der beiden Isotopen schließen, dass die Kleinkinder im Alter von zirka vier bis fünf Monaten abgestillt wurden – sowohl die Neandertaler-Kinder als auch der Homo-sapiens-Säugling.

Daraus folgern die Forscher, dass sich bei beiden Menschenformen offenbar der Energiebedarf im Säuglingsalter ähnelte. Auch das Wachstum der Zähne schritt gleich schnell voran. »Wann Frauen abstillen, hängt mit der Physiologie [der Kinder] zusammen, weniger mit kulturellen Faktoren«, sagt Alessia Nava laut einer Pressemitteilung der Universität Bologna. In vielen Gesellschaften weltweit ließe sich beobachten, dass Kleinkinder im Alter von zirka sechs Monaten feste und energiereichere Nahrung bräuchten. Offenbar sei dies ebenso bei Neandertalern der Fall gewesen. Bei beiden Menschenformen, Neandertaler und Homo sapiens, hätten sich zudem die Kinder dem Anschein nach ähnlich schnell entwickelt.

Die Wissenschaftlergruppe stellte zudem fest, dass die Neandertalerfrauen ihre Kinder nahe dem Fundort der Zähne aufgezogen hatten. Das ergab eine Auswertung der Strontiumdaten. Sie liefern Hinweise darauf, in welcher Umgebung ein Lebewesen aufgewachsen ist. Die Homo-sapiens-Mutter hingegen verbrachte das Ende der Schwangerschaft und die ersten 25 Tage nach der Geburt nicht in der Höhle, in der 40 000 Jahre später der Milchzahn ihres Kindes ans Licht kam.

Warum die Neandertaler ausstarben, ist nicht endgültig geklärt. Forscher vermuten unter anderem, dass ihre Population vor rund 40 000 Jahren zu stark geschrumpft war; irgendwann gab es zu wenige von ihnen, um den Fortbestand zu sichern.

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