Neandertaler: Verlierer der Spermienkonkurrenz
Vor rund 40 000 Jahren verschwanden die Neandertaler aus Europa. Warum, darüber ist sich die Fachwelt uneins. War es ein Klimawandel? Oder schleppten die modernen Menschen gefährliche Krankheitserreger ein, als sie vor zirka 45 000 Jahren einwanderten? Kamen sie gar in so großen Gruppen, dass die Neandertaler schlicht chancenlos waren? Fachleute um Joshua Akey von der Princeton University haben darauf eine Antwort im Genom der Neandertaler gesucht. Wie sie kürzlich in »Science« darlegten, wurden die Neandertaler von Homo sapiens relativ rasch genetisch assimiliert, als beide Menschenformen gemeinsame Nachfahren zeugten. Zwei Forscher, die nicht an der Studie von Akey und seinen Kollegen beteiligt waren, bauten nun auf deren Ergebnissen auf und erklärten ebenfalls in »Science«: Eine entscheidende Rolle habe dabei die Spermienkonkurrenz gespielt. So habe es zahlenmäßig nicht nur mehr anatomisch moderne Männer gegeben als männliche Neandertaler, sondern sie seien auch genetisch besser auf die Konkurrenz mit anderen Männern ihrer Sexualpartnerin eingestellt gewesen. In Sachen Fortpflanzung waren die Homo-sapiens-Männer also offenbar überlegen.
Akey und sein Team durchsuchten für ihre Studie das Erbgut von 2000 heutigen Menschen sowie die Genomdaten von einigen Neandertalern und einem Denisovaner. Mit Hilfe statistischer Algorithmen berechneten sie, dass sich beide Menschenformen in der Zeit von vor 250 000 bis 50 000 Jahren immer wieder vermischt hatten.
Besonderes Augenmerk richteten die Forscher dabei auf das Erbgut der Neandertaler. Sie fanden heraus, dass in deren Genom mehr Gensequenzen steckten, die ursprünglich vom anatomisch modernen Menschen stammten, als bislang angenommen. Dieses Ergebnis hat Folgen für die Rekonstruktion der damaligen Bevölkerungsgrößen. Denn die Vielfalt der DNA-Abschnitte in einem Genpool liefert Hinweise auf die ungefähre Zahl der Individuen. Demzufolge zählten die Gruppen der Neandertaler in dem Zeitraum, aus dem Erbgutdaten vorliegen, von vor 122 000 bis 52 000 Jahren, immer weniger fortpflanzungsfähige Individuen. Zudem: Statt vermuteter 3400 Personen seien es im Durchschnitt nur 2400 gewesen.
In Sachen Spermienkonkurrenz war Homo sapiens überlegen
Bei den Neandertalern sollte also nicht von Aussterben die Rede sein, sondern von Assimilieren, sagen Akey und sein Team. Die Population der Neandertaler sei allmählich geschrumpft und in den Gruppen der modernen Menschen aufgegangen. Welche biologischen Mechanismen dabei eine Rolle gespielt haben, überlegten nun Markus Neuhäuser von der Universität Koblenz und Graeme Ruxton von der University of St Andrews. Ihres Erachtens sei die Spermienkonkurrenz entscheidend gewesen. Damit ist einerseits der Wettbewerb zwischen den einzelnen Spermien eines Mannes gemeint, die versuchen eine Eizelle zu befruchten, und andererseits der Wettbewerb zwischen verschiedenen Männern, die mit derselben Frau Nachwuchs zeugen möchten. Wer von ihnen mehr Spermien produziert, dürfte größere Chancen auf Erfolg haben.
Neuhäuser und Ruxton gehen davon aus, dass die Menschen der Altsteinzeit weniger streng monogam lebten als Paare in heutigen Gesellschaften. Außerdem waren die Neandertaler den Homo-sapiens-Gruppen zahlenmäßig unterlegen. Damit sei es wahrscheinlicher, dass eine Frau, sei sie nun Neandertalerin oder Homo sapiens, eher mit einem anatomisch modernen Mann Nachkommen zeugte als mit einem Neandertaler.
Hinzu kommt, so Neuhäuser und Ruxton, dass die Homo-sapiens-Männer auch in ihren eigenen Gemeinschaften einer größeren Spermienkonkurrenz ausgesetzt waren als die Neandertaler – weil ihre Gruppen sehr viel größer waren. Körperlich könnte dies dazu geführt haben, dass sie im Durchschnitt größere Hoden ausgebildet hatten als Neandertaler und so mehr Spermien produzieren konnten. Am Ende waren die Neandertaler chancenlos unterlegen.
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