News: Nerven sterben anders
Auch Nervenzellen sind manchmal auf Tod programmiert - allerdings wählen sie für ihren letzten Gang einen anderen Weg als sonstige Zelltypen.
Manchmal ermöglicht erst der Tod das Leben: längst nicht mehr allein philosophische Überlegung, sondern auch biologisch belegte Tatsache. Deutlich wird dies am Beispiel der Apoptose, des programmierten Zelltods. Dabei werden im vielzelligen Organismus Selbstzerstörungsmechanismen einzelner Zellen zum Wohle des Ganzen ausgelöst – beispielsweise dann, wenn die Zellfunktionen nicht länger für das Überleben und Gedeihen des Gesamtorganismus hilfreich sind oder ihm sogar gefährlich werden könnten. Demnach ist der programmierte Zelltod ein lebenswichtiger Regelmechanismus – der leider nicht immer perfekt funktioniert. Dies kann zu Krebs und einer Vielzahl weiterer Krankheiten führen: Hinter manchen der bedrohlichen Auswirkungen von Hirnschlag, Parkinson-Krankheit und traumatischen Hirnverletzungendem vermuten Forscher das fatale Wirken von Nervenzellen mit fehlgesteuerten Selbstzerstörungsschutz. Erschwert wurde die Erforschung solcher neuronaler Erkrankungen bislang dadurch, dass der übliche Freitodmechanismus von Nervenzellen sich offenbar von dem anderer Zelltypen unterscheidet: Einige der klassischen Apoptose-Eiweißmoleküle, deren Präsenz üblicherweise mit dem programmierten Zelltod einhergehen, fehlen in sterbenden Neuronen.
Identisch ist bei Nervenzellen und anderen Zelltypen allerdings der hauptverantwortliche Entscheidungsträger über Leben und Tod: das Enzym PARP, die Poly-ADP-Ribose-Polymerase. PARPs Aufgabe im zellulären Alltag ist eigentlich die des genomischen Sicherheitsdienstes. Üblicherweise erkennt das Enzym beschädigte DNA-Abschnitte und initiiert daraufhin deren Reparatur. Von jenem Zeitpunkt an, ab dem Reparaturmaßnahmen am Genom wegen zu starker Schäden nicht länger möglich sind, wird der Schutz- allerdings zum Todesengel: PARP betätigt einen zellulären Selbstzerstörungsschalter und setzt damit eine Kaskade verschiedener Prozesse in Gang, die letztlich in der Zerstörung der Zelle enden. Was dabei im einzelnen passiert war bisher ungeklärt, nun aber haben Valina Dawson von der Johns Hopkins University und Kollegen der University of Rochester sowie der Laval University etwas Licht ins Dunkel gebracht. Vermutet wurde bereits eine Beteiligung der Mitochondrien, der zelleigenen Energiefabriken, am neuronalen Zelltod; und tatsächlich entdeckten die Forscher nun einen in den Mitochondrien gebildeteten "Apoptose-induzierenden Faktor" (AIF). AIF wird im Zuge der tödlichen Reaktionskaskade in den Zellkern transportiert, holt dort zum entscheidenden Schlag aus und bewirkt einen vollständigen Zusammenbruch jeglicher genomischer Organisationsstruktur. Bevor das finale Ausführungsorgan AIF seine Arbeit beginnt, so fanden die Forscher heraus, kann die Zelle durch eine Blockade von AIF selbst, oder des Entscheiderenzyms PARP, noch vor der Zerstörung bewahrt werden. Danach ist sie aber endgültig verloren – der AIF-Wirkung nachfolgende enzymatische Funktionen sind bereits der letzte Dienst an einer unwiderruflich todgeweihten Zelle. Das Enzym Caspase beispielsweise, bereits bekannt aus den klassischen Apoptoseprozessen anderer Zelltypen als den Neuronen, verpackt nur mehr Reste des abgebauten Genoms zur späteren Vernichtung oder der Wiederverwertung durch benachbarte Zellen mit glücklicherem Schicksal.
Dawson und ihre Kollegen hoffen nun, mit Hilfe der neuen Erkenntnisse degenerative Nervenerkrankungen besser verstehen – und vielleicht einmal besser behandeln zu können. Dafür ist noch einige Forschungsarbeit nötig. Beispielsweise müssten die Moleküle identifiziert werden, die dem AIF die Passage von den Mitochondrien zum Zellkern überhaupt erst ermöglichen, so Dawson. "Sie könnten einer der Ansatzpunkte sein, an dem man den Tod einer Zelle vielleicht stoppen könnte". Für therapeutische Fernziele bleibt dann wohl nur noch zu klären, welchen Nervenzellen es überhaupt erlaubt und welchen verwehrt werden soll, den finalen Weg allen Irdischen anzutreten.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.