Nervenstimulation: Implantat lässt Gelähmte kurze Strecken gehen
Eine Forschergruppe der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) stellt die nächste Generation ihres Systems vor, das vollständig Querschnittsgelähmte zumindest teilweise wieder laufen lässt. Die Fachleute um Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine implantierten ihren drei Patienten dazu eine Folie ins Rückenmark, die elektrische Signale von einem Computer empfängt und an die Rückenmarksnerven weiterleitet. So werden Bein- und Rumpfmuskeln im Rhythmus der Bewegung gesteuert.
Laut dem Fachbeitrag in »Nature Medicine« konnten die Versuchsteilnehmer schon am ersten Tag nach der Aktivierung des Implantats erste Schritte gehen. Durch geduldiges Training steigerten sich die Fähigkeiten der drei Teilnehmer erheblich. Michel Roccati, ein Italiener, der nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt war, kann nun nach monatelangem Training mit einem Rollator 500 Meter am Stück laufen und Treppen hoch- und heruntersteigen. Auch in die Pedale treten und schwimmen soll mit Hilfe des Implantats möglich sein.
Das so genannte Elektrodenarray besteht aus einer gut sieben Zentimeter langen und knapp anderthalb Zentimeter breiten Folie, auf der 16 kleine Elektroden angeordnet sind. Das Implantat und die Steuerbefehle an die Muskeln müssen für die individuellen Gegebenheiten der Versuchsperson angepasst werden.
In einer Pressemitteilung beschreibt die EPFL den Ablauf: Zunächst müssen die Anwender auf einem Tabletcomputer das gewünschte Bewegungsprogramm auswählen und an einen im Bauchraum implantierten Computer senden. Dann ergreifen die Versuchspersonen ihre Gehhilfe, zum Beispiel einen Rollator, und drücken den Knopf am rechten Handgriff; gleichzeitig konzentrieren sie sich darauf, einen Schritt mit dem linken Bein machen zu wollen. »Wie von Geisterhand« hebe sich dann das Bein und falle einige Zentimeter weiter vorn zu Boden, schreibt die EPFL. Dann folgt das gleiche Prozedere mit dem Knopf auf der linken Seite.
Im Jahr 2018 hatten die Forscher die grundsätzliche Machbarkeit ihrer Methode unter Beweis gestellt. Damals testeten sie aber noch bei Patienten, denen eine Restbeweglichkeit ihrer unteren Gliedmaßen geblieben war.
Auch die neueste Version der Technologie sei nicht für jeden Patienten und jede Patientin geeignet, sagt Winfried Mayr von der Medizinischen Universität Wien auf Anfrage des Science Media Center. Es könne »nicht oft genug betont werden, dass ganz bestimmte Ausprägungen der Verletzung gegeben sein müssen, um auf diesem Weg weiterzukommen, und leider bei sehr vielen Betroffenen diese nicht gegeben sind«.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.