Vogelnester: Zu Wasser, zu Lande und im Gebüsch
»Vögel, die sich bei der Verwendung von Materialien fast immer an die Gegebenheiten anpassen, sind selbst auf dem Lande oft sehr exzentrisch bei der Wahl ihres Nistplatzes«, berichtete 1870 ein nur mit C. W. W. bezeichneter Autor in »Nature«. »Ich habe ein Nest einer Mönchsgrasmücke gesehen, das aus gewöhnlichen Materialien gebaut wurde, und zwar in einem offenen Blumentopf, der auf der Spitze einer Gartenmauer stand. Offensichtlich gab es dafür keinen Grund, da es in der Nähe viele Hecken und Böschungen gibt. Aber in der Nähe von London kann man den Vögeln eine Entschuldigung für ihre Exzentrik zugestehen«, schrieb er weiter.
Ob der Nistplatz nun exzentrisch ist oder nicht, eine so exponierte Stelle wie bei dieser Mönchsgrasmücke ist nicht die Regel. Im Gegenteil, Vögel bauen ihre Nester oft im Verborgenen oder an unzugänglichen Stellen, damit Eier und Nachwuchs gut geschützt sind. Mancher Gartenbesitzer entdeckt im Herbst in den blattlosen Gebüschen verblüfft Vogelnester in nächster Nähe, die den Sommer über unsichtbar gewesen waren. Vögel wenden viel Zeit und Energie für den Bau der Nester auf, die meistens so gut getarnt sind, dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt.
Vögel wie Störche, Adler oder Graureiher leisten sich hingegen öfter gut sichtbare Einzelhorste, manchmal auch in großen oder kleinen Kolonien angelegt. Vogelnester findet man auf der ganzen Welt, von der Arktis bis in die Tropen, sie sind mal mehr, mal weniger kompliziert gebaut und so charakteristisch, dass man Vogelart und Nest immer sicher zuordnen kann. Die größten Nester bauen Adler und die kleinsten die Kolibris, deren Nester nicht größer als eine Walnussschale sind. Aber wie bauen die Vögel, und woher wissen sie, wie und wo sie das machen können? Und wieso variieren Nestdesign und Materialien derartig, von Felsspalten bis hin zu meterhohen Bruthügeln?
Die enorme Vielfalt der Nester
Lange Zeit ging man davon aus, dass der Nestbau eine angeborene Fähigkeit ist. Heute sehen die Wissenschaftler das ein bisschen differenzierter. So können Vögel wohl aus ihren eigenen Erfahrungen beim Nestbau wie auch aus der Beobachtung von Artgenossen beim Bauen lernen. Dieses soziale Lernen ermöglicht es einem Tier, Informationen zu gewinnen, ohne sich auf kostspieliges Trial-and-Error-Lernen einzulassen.
Ein Nest zu bauen, ist ein komplexer Prozess. Der Vogel muss zunächst einen geeigneten Platz finden, sei es auf dem Boden, in Felsspalten oder Höhlen oder in Sträuchern und Bäumen, an Häusern oder selbst auf Strommasten. Dann muss er das Nest entsprechend anbringen – es gibt hängende Konstrukte, horizontale Befestigungen zwischen Halmen und Ähnlichem, und dann finden sich natürlich noch die Nester, die auf einem wie auch immer gearteten Untergrund gebaut werden.
Und zu guter Letzt geht es dann an den Bau selbst. Vogelnester sind außerordentlich variabel, angefangen bei einfachen Stockansammlungen über halb offene Napfnester bis hin zu geschlossenen Bauten. In allen Fällen aber sucht die Architektur der Vogelnester ihresgleichen, vielleicht auch als Folge davon, dass die Vögel Jahrmillionen Zeit hatten, Standorte und Materialien sowie die Bauweise zu perfektionieren; was sich nicht bewährte, setzte sich eben einfach nicht durch.
Eines der bemerkenswertesten Konstrukte baut wohl das Thermometer- oder Mallee-Huhn (Leipoa ocellata), ein in Australien beheimatetes Großhuhn, das mit den Arbeiten rund um den Nestbau bis zu elf Monate beschäftigt ist. Denn die Tiere bauen keine Nester im bekannten Sinn, sondern errichten große Bruthügel, die gut einen Meter hoch sind und einen Durchmesser von bis zu zwölf Metern haben können. Zu Beginn der Regenzeit gräbt das Männchen zunächst eine Grube und füllt diese mit feuchten Mallee-Eukalyptuspflanzen, darauf kommt dann zur Isolierung Sand.
Die Pflanzen beginnen irgendwann zu gären und erzeugen Wärme; das Ganze kann mit einem Brutkasten verglichen werden, dessen Temperatur vom männlichen Thermometer-Huhn regelmäßig kontrolliert wird. Erreicht sie etwa 30 Grad, beginnt das Weibchen über einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten mit der Eiablage. Das Gelege wird durch die gleichmäßige Temperatur im Bruthügel ausgebrütet. Die Brutzeit selbst dauert nur sieben Wochen, entsprechend der zeitversetzten Eiablage insgesamt dann letztendlich ein paar Monate. Über diesen gesamten Zeitraum hinweg kontrolliert das Männchen aktiv die Temperatur im Hügel: Wird es zu warm, wird der Hügel durch gegrabene Lüftungsschächte abgekühlt, bei Kälte werden die Öffnungen wieder verschlossen. Das Thermometer-Huhn hat also sowohl eine Vorstellung von den gewünschten Temperaturen als auch von den Methoden zu deren Regulierung.
Probleme am Boden
Das komplette Gegenteil zu diesem aufwändigen Baustil bilden die Nester, die eigentlich nur aus leicht ausgescharrten Bereichen im Boden bestehen, in die die Eier hineingelegt werden, wie zum Beispiel bei Fasanen oder Seeschwalben. Hier besteht der Schutz hauptsächlich in einer perfekten Tarnung der Eier, die für das ungeübte Auge nicht zu erkennen sind. Andere Bodenbrüter wie Kiebitze, Brachvögel oder Haubenlerchen kratzen oder drehen sich flache Vertiefungen in den Boden, die zumindest mit Pflanzen aus der Umgebung ausgelegt werden. Auch hier sind die Eier sehr gut getarnt, ebenso wie der brütende Vogel auf dem Nest.
Diese Strategie der Tarnung funktionierte bei Wiesenbrütern jahrtausendelang problemlos; in der heutigen Zeit ist sie aber von Nachteil. Die intensivierte Landwirtschaft führt ebenso zum Verlust von Nestern und Jungvögeln wie die Änderung der Bewirtschaftungsplanung. »So wird beispielsweise der Mais heute früher eingesät. Das heißt, die abgeernteten Äcker werden bereits ab März statt erst im Verlauf des April umgebrochen. Damit ist die erste Brut des früh brütenden Kiebitzes dann auch weg«, erklärt dazu Martin Boschert, promovierter Biologe vom Büro Bioplan in Bühl, der sich schon seit mehr als 30 Jahren mit den Wiesenvögeln am badischen Oberrhein beschäftigt.
Bei dem früheren »Allerweltsvogel« Kiebitz habe es in den vergangenen 25 Jahren bundesweit einen Rückgang von rund 93 Prozent der Bestände gegeben, so Boschert. Er hat im Rahmen verschiedener Schutzprojekte die Nester der Brachvögel und Kiebitze eingezäunt, damit Eier und Vögel vor Füchsen geschützt werden. »Das funktionierte ganz gut. Allerdings haben wir dann feststellen müssen, dass vermehrt Eier mit schlüpfreifen Küken einfach liegen blieben, eine mögliche Ursache sind Giftrückstände. Nun werden im Rahmen des Artenschutzprogramms ›Vögel des Landes Baden-Württemberg‹ im Auftrag der Regierungspräsidien Karlsruhe und Freiburg einzelne Eier von Brachvogel- und Kiebitznestern entnommen und im Karlsruher Zoo im Brutkasten ausgebrütet, die Jungvögel werden dann bis zur Auswilderung dort betreut. Die Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe unterstützt dieses erfolgreiche Projekt fachlich und finanziell«, erklärt Boschert.
Auch in der Höhe hat man nicht immer seine Ruhe
Ganz andere Probleme haben die Kiebitze, die ausgerechnet das steinige Flachdach eines Verwaltungsgebäudes als »Boden« ansehen und dort brüten wollen. »Denn die Jungen hüpfen nach dem Schlüpfen vom Dach, was sie als ›Flaumkugel‹ zwar überleben, sie werden am Boden von den Altvögeln aber nicht mehr angenommen«, so Boschert. Hier versuchen die Fachleute, den Kiebitzen eine benachbarte Brachfläche schmackhaft zu machen – bis jetzt leider erfolglos –, und so werden auch diese Kiebitzküken vom Zoo betreut und später ausgewildert.
Neben dem Boden bieten sich natürliche Höhlen oder Felsspalten als »Brutplatz ohne großen Aufwand« an. Eier und Jungvögel sind dort vor Feinden besser geschützt und auch dem Wetter weniger ausgeliefert. Uhus legen ihre Eier in Felsspalten ab – man hat sie allerdings genauso schon in Steinbrüchen oder unter Brückenpfeilern beobachtet. Turmfalken wählen Fensternischen in Kirchtürmen aus und lassen sich dort weder durch Gerüste noch durch Baubetrieb stören, vielleicht sehen sie die Menschen in dieser Höhe einfach nicht als ihre Feinde an.
Wanderfalken brüten in Felsspalten, sind jedoch Störungen gegenüber deutlich empfindlicher. In Baden-Württemberg sind beispielsweise die Battertfelsen beim Schloss Hohenbaden auf Grund ihrer Lage und Formation ein äußerst günstiger Brutstandort für den Wanderfalken, gleichzeitig aber auch sehr beliebt bei Kletterern und Wanderern. Leider können Störungen im Umfeld des Wanderfalkenhorstes zum Verlust der Gelege oder Jungvögel führen. Die Falkeneier können ohne Schutz der Altvögel durch Auskühlen oder Überhitzen schnell absterben.
Gleiches gilt für bereits geschlüpfte Jungvögel. Halten Störungen durch Menschen fütternde Elterntiere vom Horst fern, können die Jungvögel verhungern. In den vergangenen zehn Jahren waren am Battert wohl nur vier Bruten erfolgreich, weil die Vögel immer wieder gestört wurden. Deswegen müssen die Felsen nun zum Schutz der Vögel teilweise ganzjährig für Kletterer und Wanderer gesperrt werden, was für kontroverse Diskussionen zwischen Kletterern und Regierungspräsidium sorgt.
Zu Lande, zu Wasser und im Gebüsch
Andere Vögel wie Kleiber, Trauerschnäpper oder Feldsperling wählen bestehende Baumhöhlen als Neststandort, die mal mehr, mal weniger mit Moos, Haaren, Federn oder Gräsern ausgepolstert werden. Spechte zimmern ihre Höhlen mit großem Aufwand selbst; ziehen sie dann nach der Brutzeit wieder aus, werden die Höhlen im darauf folgenden Jahr von Staren oder Kleibern belegt. Auch der Wiedehopf, der Vogel des Jahres 2022, baut in Baumhöhlen oder in verlassenen Spechthöhlen. Die Jungvögel haben übrigens eine spezielle Feindabwehr entwickelt – sie verteidigen sich durch gezieltes Kotspritzen. Diese Taktik ist sehr erfolgreich, allerdings auch weithin zu riechen.
Im Lauf der Evolution wurden die Vogelnester immer komplexer. Es überlebt umso mehr Nachwuchs, je besser die Jungen vor Wetter, Nesträubern und auch vor Parasitenbefall geschützt waren. Die Nestformen und Nestbautechniken sind ausgefeilt und Beispiele für architektonische Meisterwerke.
Das gilt selbst für scheinbar wahllose Stockansammlungen, die zum Beispiel Taubennester auszeichnen und bei denen es nicht ersichtlich ist, wie das Nest überhaupt zusammenhalten kann. Dort scheinen die Stöcke lediglich lose ineinandergesteckt zu sein, aber man hat herausgefunden, dass sie auf Grund der Reibung erstaunlich stabil zusammenhalten.
Es gibt Nester in klassischer Napf- oder Schalenform, die nach oben hin offen sind, wie bei Amseln oder Rotkehlchen. Die Tiere bauen aus Stöcken zunächst eine Basisplattform, darauf kommen die Wände aus Stöcken und aus Schlamm, und der Vogel passt durch seine Bewegungen im Inneren die Nestform seiner Größe an. Ein Geflecht aus Gräsern und Moosen sorgt dann für die notwendige Isolierung. Diese plattformbasierten Schalennester sind individuell an die jeweiligen Vögel angepasst, und ihre Form ist nicht durch bereits bestehende Höhlen oder Spalten vorgegeben, was die Nistmöglichkeiten enorm erweiterte.
Schwieriger zu bauen sind die hängenden Nester wie bei Pirolen oder Beutelmeisen. Solche Vögel schlingen zunächst als Grundlage Pflanzenfasern um einen Ast; Meisen flechten dann darauf komplizierte geschlossene Beutel aus Fasern und Halmen mit dicken verfilzten Innenwänden. Pirole flechten auf der Grundlage einen nach oben offenen Napf, dessen Ränder fest um die stützenden Äste geschlungen sind und die in dem Baum mehr oder weniger unsichtbar werden. Eine Besonderheit sind hier die Gemeinschaftsnester der afrikanischen Webervögel, die von mehreren Vögeln gemeinsam bewohnt werden und mehr als vier Meter breit werden können.
Es gibt auch Nester im Wasser, wie beispielsweise jene der Haubentaucher, die im Schilf zunächst eine Plattform aus den Halmen schaffen und darauf aus verrottenden Wasserkräutern das Nest bauen, das sich so der schwankenden Wasserhöhe anpassen kann.
Viel Aufwand für den Nachwuchs
Manchmal gibt es vor dem Nestbau auch aufwändige Vorbereitungen. Die Männchen der Seidenlaubenvögel bauen für ihr Balzritual komplizierte Bogengänge aus Zweigen, die sie innen mit zerdrückten Früchten und Speichel »bemalen«, und sie schmücken den Boden der Laube mit eigens gesammelten blauen Gegenständen. All das passiert, um ein Weibchen zu beeindrucken, bevor es überhaupt um den Nestbau gehen kann.
Der Aufwand, den die Vögel für den Nachwuchs betreiben, ist also überaus bemerkenswert. James Gould, Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie, und Carol Grand Gould, wissenschaftliche Autorin, beschreiben in ihrem Buch »Animal Architects«, dass man ein Spottdrosselnest in 542 Bestandteile zerlegt habe, dass Felsenschwalben 1400 Schlammkügelchen für ihre Nester sammeln müssten und Dorfwebervögel rund 230 Meilen fliegen würden, um ihre hängenden Nester zu bauen. »Doch trotz der technischen Vielfalt der Nester ist das Ziel aller Nestbauten dasselbe: ein trockener, warmer (oder wärmbarer) Ort, der vor Fressfeinden sicher ist.«
Und wo bekommt man solche ausgefeilten Vogelnester zu sehen? Wenn man nicht auf die Sammlungen in den Museen zurückgreifen möchte, müsste man ehrlicherweise sagen: in der Regel gar nicht, denn die Tarnung ist meistens perfekt. »Ich fotografiere viele Vögel, zu jeder Jahreszeit und jeder Tageszeit«, erzählt Rainer Deible, der als Naturfotograf am Oberrhein unterwegs ist. Bei Nestern sei das aber so eine Sache, denn das oberste Gebot sei nun einmal, die Vögel nicht zu stören. Manchen Arten sage man zwar nach, dass sie unempfindlich gegenüber Störungen seien, das könne er jedoch nicht bestätigen. »Das hängt wohl immer auch vom jeweiligen Vogel ab«, so Deible. Nester wie beispielsweise in Graureiher-Kolonien seien aus der Entfernung gut zu fotografieren, ohne dass die Vögel einen überhaupt zur Kenntnis nehmen würden. Aber auf andere Vögel sei er unerwartet im Vorbeigehen nur auf Grund ihrer Rufe aufmerksam geworden und habe dann das Nest entdeckt. »Davon konnte ich aus der Entfernung Fotos machen wie auch von den jungen Singdrosseln im Nest, das war irgendwo in irgendeinem Auwald«, schmunzelt Deible.
Eine spektakuläre Alternative für Beobachtungen sind die Livecams, die in der Nähe von Nestern oder direkt in Nisthilfen installiert sind, so dass Brüten und Jungenaufzucht für jedermann aus sicherer Entfernung zu beobachten sind und man sich Aug in Aug mit Fischadlern, Wanderfalken, Uhus, Wiedehopfen oder auch Störchen und Mauerseglern wiederfindet.
Dass Vogelnester so vielfältig und komplex sind, macht sie nicht nur zu einem eindrucksvollen Naturphänomen – die Bauwerke sind zudem bis heute ein großes Rätsel. Evolutionsbiologen fragen sich schon lange, wie sich die Nestbauweisen der Vögel entwickelt haben könnten und inwiefern die Tiere beim Bauen bereits eine Vorstellung davon haben, welche Bauweisen und welche Materialien sinnvoll sind, was als Alternative zu nutzen wäre und was schlicht dem persönlichen Geschmack der Vögel zuzuordnen ist. Fragen, die selbst nach vielen Untersuchungen nicht leicht zu beantworten sind.
Vogelnester bleiben bis heute rätselhaft
In Laborversuchen untersuchen Fachleute immer mehr Details von Nestbau und Nestverhalten, man vergleicht verschiedene Materialien, misst deren physikalische Eigenschaften oder geht der Frage nach, inwieweit die Schalendicke der Eier mit der Nestform zusammenhängt; sind kugelförmige Nester tatsächlich mit dickeren Eierschalen korreliert?
Außerdem kann man zwar beobachten, wie die Schwalben den Lehm für ihr Nest an die Wand oder unter das Dach kleben, und hat detailliert die Art des Lehmeinbaus in das Nest untersucht. Trotzdem weiß man bis heute nicht, wie die Vögel den richtigen Winkel für den Ansatz an der Wand finden, damit das Nest dort dann auch hält. Dass das nicht ganz einfach sein kann, zeigen schon die Schwierigkeiten, die die Schwalben selbst haben, sich an den häufig unzugänglichen Stellen festzuhalten. »Der Vogel krabbelt oft verzweifelt, wobei er seinen Schwanz nicht nur zum Halten des Gleichgewichts, sondern auch als Stütze an der Klippe einsetzt, da die Schwerkraft ihn unaufhaltsam nach unten zieht«, schreiben James und Carol Grand Gould in »Animal Architects«.
Immerhin kann man heute beantworten, warum die Wände der Schwalbennester trotz des bröckeligen Baumaterials so stabil und hart werden. Wissenschaftler fanden durch chemische Analysen heraus, dass in dem Speichel-Schlamm-Gemisch der Wände ungefähr drei Prozent Glukose enthalten sind, was anscheinend die mechanischen Eigenschaften, insbesondere die Druckfestigkeit, erhöht. Man überlegt nun sogar, diese Erkenntnisse beim Bau von Lehmhäusern anzuwenden.
Aber auch die klassischen Beobachtungen führen immer noch zu neuen Erkenntnissen, wie Daniel Schmidt-Rothmund, der Leiter des Vogelschutzzentrums in Mössingen, berichtet. Er beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit Fischadlern, kennt viele ihrer Horste und bietet den Vögeln erfolgreich künstliche Horste als Nisthilfen an. »Fischadler sind sehr eigen, wenn es um die Wahl des Nistplatzes geht«, so Schmidt-Rothmund. Er müsse exponiert sein, sei es über den Baumwipfeln in den breiten Spitzen alter Kiefern oder in denen von Stromleitungsmasten, die allerdings oben ebenfalls abgeflacht sein müssten.
Schmidt-Rothmund konnte beoachten, dass die Tiere den Nestbau auf solchen Strommasten auch voneinander abschauen und lernen. »Da gab es ein Paar, das aus unerfindlichen Gründen beschlossen hatte, nicht mittig, sondern seitlich auf dem Mast zu bauen. Der Grund dafür ist völlig unklar, ich vermute, dass dort bereits Stöcke von einem alten Krähennest lagen«, erklärt er. »Auf jeden Fall war der Nistplatz versetzt und auch der Anflug war umständlicher. Trotzdem wurde dort gebaut. Und im nächsten Jahr konnte ich beobachten, dass die Fischadler in der Nachbarschaft ihre Horste ebenfalls versetzt bauten«, so der Experte.
Ein besonderes Beispiel für die Lernfähigkeit der Vögel beim Nestbau lieferten auch Krähen, die nachweislich flexibel auf neue Situationen reagieren und ihr Verhalten anpassen können. Das demonstrierten sie eindrucksvoll in der Millionenstadt Tokio, wo die Krähennester nicht besonders gerne gesehen sind. Anders als hier war es der dortigen Feuerwehr erlaubt, die Nester mit hohem Wasserdruck einfach aus den Bäumen zu spritzen. Woraufhin sich die Krähen auf die Suche nach anderem Nistmaterial machten und es in Form von Drahtkleiderbügeln auf diversen Balkonen fanden. Diese Bügel wurden von ihnen nestgerecht gebogen und verbaut und mit Stofffetzen als Polsterung versehen. Derartig befestigt waren sie vor den Wasserschläuchen der Feuerwehr sicher.
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