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Flüchtende Forscher: Netzwerk für geflüchtete Wissenschaftler

Mit der Flüchtlingswelle kommen auch viele Akademiker. Eine Professorin von der Universität Leipzig sucht gezielt nach ihnen und vermittelt Kontakte zu Fachkollegen.
Netzwerk

Unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland strömen, sind auch viele Akademiker, vermutet Carmen Bachmann. Die Wirtschaftsprofessorin der Universität Leipzig hat am 15. September mit der Online-Plattform Chance-for-Science ein soziales Netzwerk ins Leben gerufen, über das heimische und geflüchtete Wissenschaftler Kontakte knüpfen können. Sie berichtet von ihren ersten Erfahrungen.

Frau Bachmann, was hat Sie auf die Idee gebracht, eine Kontaktbörse für geflüchtete Akademiker zu starten?

Der Hintergrund war einfach der, dass wir unter der großen Zahl von Flüchtlingen einen gewissen Anteil Akademiker vermuten, die – nachdem ihre ersten Grundbedürfnisse in den Erstaufnahmeeinrichtungen befriedigt worden sind – auch das Bedürfnis nach intellektuellem Austausch haben. Wissen, das man nicht anwendet, geht bekanntermaßen schnell verloren. Wenn die Menschen monatelang keine Gelegenheit haben, sich mit ihrem Fachgebiet auseinanderzusetzen, dann werden sie den Anschluss verlieren und sich schwertun, wieder in ihre Berufe zurückzukehren. Das wäre nicht nur ein Verlust für den einzelnen Akademiker, sondern auch für die Forschergemeinde und die gesamte Gesellschaft.

Haben Sie denn schon Zahlen, wie viele Wissenschaftler unter den Flüchtlingen sind?

Zu Beginn des Projekts habe ich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angefragt, wie viele Wissenschaftler und Akademiker sich unter den Flüchtlingen befinden. Leider werden dort solche Daten nicht erhoben. Sie dürften auch aus Datenschutzgründen gar nicht weitergegeben werden. Unsere Idee wurde dort aber sehr positiv aufgenommen.

Professor Dr. Carmen Bachmann | Prof. Dr. Carmen Bachmann ist seit Mai 2013 Inhaberin des Lehrstuhls für BWL / betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Leipzig und bestellte Steuerberaterin. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf der Entwicklung von Modellen zur Bewertung von Investitionen und Finanzierungsstrukturen zur Unterstützung unternehmerischer Steuerplanung und der Analyse der Wirkungsweise von Steuersystemen.

Wie ist denn bisher die Resonanz auf Ihre Plattform?

Wir stehen noch am Anfang. Bisher haben sich bei uns überwiegend deutsche Wissenschaftler registriert. Inzwischen haben wir die Plattform auf Studierende und graduierte Akademiker ausgeweitet. Ich habe mehrere Flüchtlingsunterkünfte besucht und festgestellt, dass auch bei diesen Personengruppen ein großer Bedarf besteht, sich fachlich auszutauschen.

Von welcher Fachrichtung waren denn die geflüchteten Akademiker?

Es sind sehr viele Ingenieure dabei, aber auch Ärzte und Juristen. Der Anteil der Akademiker unter den Flüchtlingen ist natürlich klein, und man muss gezielt nach ihnen suchen, aber ich habe schon das Gefühl, dass sie sich sehr darüber freuen.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich bei Ihren Besuchen in den Flüchtlingsunterkünften gemacht? Haben Sie denn schon einen Fachkollegen getroffen?

Also aus meinem Fach, dem Steuerrecht, habe ich unter den Flüchtlingen noch niemanden getroffen. Ich hatte aber auf jeden Fall viel Gelegenheit zum Austausch. Es ist eine große Belastung für viele, wenn sie untätig herumsitzen müssen und ihr Wissen nicht anwenden können. Derzeit fahre ich gezielt in die Flüchtlingseinrichtungen und versuche die Leute zu finden, einfach um einen Einblick in die Community der geflüchteten Akademiker zu bekommen. Oft bestehen seitens der Flüchtlinge aber noch große Hemmungen, sich auf unserer Plattform zu registrieren. Viele schreiben mir erst einmal E-Mails. Um Vertrauen aufzubauen, lade ich einige auch in unser Institut ein. Neulich hatte ich zum Beispiel einen Informatiker aus Afghanistan zu Gast. Wir haben gemeinsam nachgedacht, wie wir unsere Plattform weiter verbessern können.

Gibt es denn irgendwelche bestimmten Wünsche, die von Flüchtlingen an Sie herangetragen werden? Welche Bedürfnisse werden da geäußert?

Online-Jobbörse für geflüchtete Forscher

Die Europäische Kommision hat Mitte Oktober das Portal science4refugees freigeschaltet. Dort können Forscher auf der Flucht ihren Lebenslauf und andere Informationen hinterlegen, Hochschulen können Stellen ausschreiben.

Natürlich steht bei vielen im Vordergrund, dass sie Deutsch lernen möchten. Sie haben auch den Wunsch zu wissen, ob sie letztendlich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, und möchten möglichst schnell einen Job. Das ist natürlich etwas, was wir nicht leisten können. Aber ich glaube, es wird leichter für sie, in das Berufsleben einzusteigen, wenn erste Kontakte mit Fachkollegen schon geknüpft sind.

Glauben Sie, dass sich die geflüchteten Wissenschaftler in die Hochschulen und Forschungseinrichtungen integrieren lassen?

Sicher geht es auf der einen Seite um Integration und Austausch, aber es geht auch darum, dass, selbst wenn die Menschen wieder zurückgehen in ihr Land, sie dort ihre Arbeit besser wieder aufnehmen können, wenn sie hier nicht zur Untätigkeit verdammt sind.

Wie finanziert sich Ihre Plattform?

Die Plattform lebt bisher gänzlich von ehrenamtlichem Engagement. Fördermittel erhalten wir keine. Die Universität Leipzig stellt uns bislang ihren Server und Räumlichkeiten zur Verfügung. Am Anfang bin ich allein mit einer studentischen Hilfskraft gestartet. Inzwischen sind noch fünf weitere Studenten dazugekommen. Über Unterstützung unserer Arbeit, gerne auch von Studierenden anderer Universitäten, würden wir uns natürlich sehr freuen.

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